Gewalt

Misshandlung in Jugendstrafanstalt

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Hans H. Nibbrig

Schwere Vorwürfe gegen die Justiz. Richter spricht von Versäumnissen

Körperverletzung ist nur ein schwacher Begriff für das, was vier Insassen der Jugendstrafanstalt in Plötzensee nach Überzeugung des Amtsgerichts Tiergarten getan haben. Die jungen Männer, allesamt 19 oder 20 Jahre alt, haben im Sommer wochenlang Mithäftlinge misshandelt, drangsaliert und erniedrigt. Dafür verhängte das Gericht am Donnerstag Jugendstrafen zwischen dreieinhalb und fünfeinhalb Jahren. Für die Angeklagten verdoppelte sich damit ihre ursprüngliche Haftzeit.

„Bestialisch“, „menschenverachtend“, „Foltermethoden“, das waren einige der Begriffe, die in und am Rande der Verhandlung fielen. Die Opfer wurden geschlagen, gezwungen, sich auszuziehen, und zum Oralverkehr aufgefordert. Es kam auch zu sexuellen Übergriffen. In einem Fall wurde ein Opfer aufgefordert, auf einen Schemel zu steigen und sich mit einem Gürtel zu erhängen. Dazu kam es zum Glück nicht. „Das Gericht mag sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn die Opfer den Tätern noch länger ausgesetzt worden wären“, sagte der Vorsitzende des Jugendschöffengerichtes in seiner Urteilsbegründung.

Urteile im Jugendstrafrecht sollen erzieherische Wirkung haben. Dass die in diesem Fall eintritt, erscheint eher unwahrscheinlich. Die erschreckenden Schilderungen veranlasstendie Angeklagten und zwei Dutzend Freunde auf den Zuschauerbänken immer wieder zu Heiterkeitsausbrüchen. Die Urteilsverkündung quittierten sie mit lautem Gejohle. Daraufhin schloss der Vorsitzende drei der vier Angeklagten und ihre Bekannten im Zuschauerraum von der Verhandlung aus. Ein Hauptangeklagter stimmte grölend das Lied „Looking for Freedom“ an, ein anderer hatte zuvor in seinem Schlusswort dem Gericht entgegengeschleudert: „Ich hoffe, ihr fallt alle um und verreckt.“

„Nicht alle Schuldigen sitzen heute auf der Anklagebank“, sagte ein Verteidiger und kritisierte, dass in der JSA offenbar Straftaten begangen werden könnten, ohne dass dies auffällt. Der Anwalt unterstellte den JSA-Mitarbeitern Tatenlosigkeit und Desinteresse. Justizsprecherin Lisa Jani wies die Vorwürfe scharf zurück. Man habe lange Zeit etwas geahnt, aber nichts unternehmen können, kein Opfer habe sich den Anstaltsmitarbeitern anvertraut. „Nachdem die Vorfälle dann im August bekannt wurden, haben wir allerdings schnell reagiert. Die Beschuldigten wurden in Einzelhaft genommen, und schon wenige Woche später konnte Anklage erhoben werden“, sagte sie.

Aber auch der Vorsitzende sprach in seiner Urteilsbegründung von offenbar durch Personalengpässe verursachten unzureichenden Kontrollmaßnahmen. „Wenn da jemand schreit oder gar stirbt, das kriegt doch keiner mit“, zitierte der Richter einen Zeugen.