Karin Stötzner, die Patientenbeauftragte für Berlin, ist unzufrieden. Sie kritisiert den Beschluss des gemeinsamen Landesgremiums zur gerechteren Verteilung von Arztpraxen in der Stadt als unzureichend. Er sei zwar ein erster wichtiger Schritt, lasse aber etliche Fragen offen. Das von Senatsgesundheitsverwaltung, Kassenärztlicher Vereinigung (KV) und Krankenkassen ausgehandelte Konzept sei nur der kleinste gemeinsame Nenner. Zudem sei unklar, wie verbindlich es eigentlich ist.
Der Beschluss des gemeinsamen Landesgremiums sieht vor, die ambulante ärztliche Versorgung auf der Ebene der zwölf Berliner Bezirke zu steuern. Die Verlegung einer Arztpraxis soll nur dann gestattet werden, wenn der Umzug in einen Bezirk mit niedrigerem Versorgungsgrad erfolgt. Demnach ist die Verlegung einer Praxis von Mitte nach Steglitz-Zehlendorf, Reinickendorf oder Neukölln möglich, nicht aber nach Charlottenburg-Wilmersdorf. Damit sollen Ungleichgewichte zwischen den Bezirken abgebaut werden.
Weiterhin wird in der Versorgung durch Haus- und Kinderärzte zusätzlich die bezirkliche Sozialstruktur berücksichtigt. Das bedeutet, dass Bezirke mit ungünstiger Sozialstruktur einen Zuschlag für die haus- und kinderärztliche Versorgung zugesprochen bekommen, während Bezirken mit guter Sozialstruktur eine geringere Zahl an Praxen zusteht. Im kommenden Jahr wird geprüft, ob die Berücksichtigung der Sozialstruktur für weitere Facharztgruppen eingeführt werden soll. Im Herbst 2015 folgt eine Einschätzung, ob die verabredeten Maßnahmen erfolgreich waren oder ergänzt werden müssen. Dieser Beschluss wurde in einem „Letter of Intent“ festgehalten. Er hat keine Gesetzeskraft, sondern ist eine Selbstverpflichtung.
Nur eine Absichtserklärung
Karin Stötzner weist dann auch darauf hin, dass die aus Mitgliedern der KV und der Kassen gebildeten Zulassungsausschüsse damit nicht gebunden werden können. Der Bedarfsplan 2013 zur ambulanten ärztlichen Versorgung weist weiterhin als Planungsbereich das Land Berlin aus. Das wird auch in der Präambel zum „Letter of Intent“ ausdrücklich formuliert. Die Empfehlungen aus dieser Vereinbarung seien also formal wenig abgesichert, sondern bedeuteten eine Absichtserklärung, moniert Stötzner. Zwar werde nun eingeräumt, dass Berlin eigentlich nicht als ein Versorgungsbereich beplant werden könne, sondern der Blick auf kleinere Einheiten, die Bezirke, gerichtet werden müsse. Das sei positiv zu bewerten. Zudem sei erstmalig die Bedeutung sozialer Kriterien „formal anerkannt“ und damit „eine der wichtigsten Forderungen der Patientenvertretung“ aufgegriffen worden. Dennoch bleibe offen, „welche Auswirkung die Absichtserklärung für eine Änderung der Berliner Bedarfsplanung tatsächlich haben wird“. Eine Festlegung auf die Bezirke als Planungsgröße sei nicht getroffen worden, der Bedarfsplan bleibe in der gültigen Form unangetastet.
Weiterer Kritikpunkt: Das Verbot einer Arztpraxenverlegung in einen besser versorgten Bezirk betreffe nur einen Teil der Anträge. Es gebe viele Möglichkeiten, diese Vorgabe zu umgehen. Bei Gemeinschaftspraxen, Anträgen von Verwandten und Weitergabe der Praxis an einen Job-Sharing-Partner müsse eine Zulassung erteilt werden. Auf die Rechtslage hatte bereits Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) hingewiesen. Deshalb sei die Verlegung von Arztsitzen der Hebel, um überhaupt etwas bewirken zu können, so Czaja.
Die Patientenbeauftragte begrüßt zwar die Berücksichtigung von Sozialdaten, vermisst aber in dem Beschluss weitere Faktoren, die bei der Steuerung ärztlicher Versorgung berücksichtigt werden müssten, zum Beispiel Angaben zur Auslastung einer Arztpraxis und zu deren Leistungsangebot, Informationen zur Barrierefreiheit und Wege zur Messung und Bewertung von Wartezeiten.
Schließlich formuliert Karin Stötzner die Befürchtung, dass die im „Letter of Intent“ beschriebene Verfahrensweise nachteilig sein könnte – auf dem Weg, Kassen und Kassenärztliche Vereinigung zu einer kleinräumigen Planung der Arztpraxenversorgung zu verpflichten. Allerdings ist die Festlegung einer verbindlichen Bedarfsplanung auf Ebene der Bezirke ein sehr heißes Eisen. Sie würde zunächst dazu führen, dass in den schlechter versorgten Bezirken vermutlich zusätzliche Arztpraxen zugelassen werden müssten. Doch Berlin als Ganzes gesehen ist überversorgt. Also wird dieser Weg von den gesetzlichen Krankenkassen wegen der erheblichen zusätzlichen Kosten nicht gewollt. Von den Kassenärzten auch nicht, die einen gleichbleibend großen Kuchen auf mehr Praxen aufteilen müssten. Stötzners Vorschlag: Das müsse „mittelfristig durch einen mutigen Abbau von Arztsitzen in überdurchschnittlich versorgten Bezirken ausgeglichen werden“. Seit Jahren werde vom Gesetzgeber und in den Kassenärztlichen Vereinigungen diskutiert, durch den Aufkauf von Arztsitzen auch die Überversorgung gezielt abzubauen, um damit Ressourcen für eine bessere Versorgung in schlechter ausgestatteten Regionen frei zu machen.
Die Frage, ob das jetzt vom gemeinsamen Landesgremium verabschiedete Konzept ausreicht, ist auch Thema im „Letter of Intent“. Für Herbst 2015 ist ein Abschlussbericht vorgesehen. Sollte das Ziel einer gleichmäßigeren Verteilung der Arztsitze über die Bezirke bis dahin nicht gelungen sein, würden weitere Maßnahmen vorgeschlagen, so die Senatsverwaltung für Gesundheit.