Forschung

Sternenhimmel über dem Krankenbett

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Charité-Projekt zeigt, wie Atmosphäre und Genesung zusammenhängen

Das Beatmungsgerät klingt nach Darth Vader, der Pulsmesser piepst – und irgendwo geht schon wieder gellend der Alarm los. Alltag auf einer Intensivstation, deren hektisch-nervöse Atmosphäre schon Gesunde einschüchtern kann. An der Berliner Charité sehen zwei Krankenzimmer nun für die nächsten 18 Monate völlig anders aus. Architekten haben sie möbliert, die medizinische Überwachungstechnik ist mit ihren vielen Kabeln hinter einer schicken Holzwand verschwunden. Eine Lichtdecke verbreitet behagliche Stimmung – und der Lärm bleibt draußen. So könnte die Intensivstation der Zukunft aussehen.

Doch erst einmal ist es ein wissenschaftliches Forschungsprojekt, in das Charité, Politik und Industrie rund eine Million Euro stecken. Die Mediziner wollen klären, ob sich Heilungsprozesse in einer menschlicheren Umgebung beschleunigen lassen.

„Wir wollen weg von dem Gefühl des hilflosen Ausgeliefert-Seins auf Intensivstationen“, sagt Claudia Spies, Direktorin der Charité-Klinik für Anästhesiologie in Berlin-Wedding. „Aber dafür müssen wir beweisen, dass sich Angst, Schmerz oder Bewusstsein wirklich durch Wohlfühlfaktoren beeinflussen lassen.“ Für die Intensivmedizin sei diese Forschung weltweit einmalig. Gelingt dieser Beweis, könnte das ein Durchbruch für Umgestaltung oder Neubau von Kliniken sein. Denn in Serie gebaut wären solche Krankenzimmer vielleicht gar nicht so viel teurer.

In den neuen Zimmern soll es möglichst keine dahindämmernden und desorientierten Schwerkranken geben, die bei ständigem Neonlicht kaum noch wissen, ob Tag oder Nacht ist. Die neue Idee: Eine 2,5 mal sieben Meter große Lichtdecke über dem Patientenbett imitiert das Draußen: vom Sternenhimmel in der Nacht bis zu Sonnenaufgang und Tageslicht.

Sie kann aber noch viel mehr. Die LED-Technik zaubert Bäume mit rauschenden Blättern an die Decke. Sie blendet SMS-Grüße der Angehörigen ein oder dient Kranken als Spielkonsole. Rund 2000 Arbeitsstunden haben Günter Hohensee und sein Team vom Unternehmen Philips in die neue Technik investiert. Und das ist alles weit mehr als Spielerei. „Wir wissen, dass Patienten im künstlichen Tiefschlaf häufiger sterben“, sagt Charité-Arzt Alawi Lütz. Besser sei es, sie auch nach schweren Operationen so früh wie möglich wieder ins Bewusstsein zu holen – auch, um Hirnschäden vorzubeugen. Doch bisher gibt es oft einen Teufelskreis: Lassen Ärzte die Patienten wach, kann die ganze Atmosphäre einer Intensivstation sie so stressen, dass sie Beruhigungsmittel brauchen.

Was beim Charité-Pilotprojekt messbar ist, sind nicht nur Liegezeiten und damit möglicherweise weniger Kosten. Es geht auch um den Schlaf- und Schmerzmittelverbrauch. Und um den Blick darauf, ob es weniger negative Langzeitfolgen wie Konzentrationsschwächen nach schweren Operationen gibt. „30 Prozent der Patienten haben bei ihrer Entlassung heute noch kognitive Schäden“, sagt Ärztin Spies.

( rm/dpa )