Personalrat: Mehr als 100 Lehrerstellen noch nicht besetzt. Besonders schwierig ist es in Neukölln
Auch gut eine Woche nach Ende der Sommerferien sind an vielen Schulen der Hauptstadt die Stundenpläne noch nicht komplett. Fachlehrer fehlen. Mathe, Physik und Biologie müssen fachfremd unterrichtet werden. Vor allem an Brennpunktschulen ist die Personalsituation offenbar längst nicht so gut, wie von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) zum Schuljahresauftakt angekündigt. Dieter Haase vom Gesamtpersonalrat der Lehrer sagt, dass insgesamt noch weit über 100 Stellen an den Schulen offen sind. Beate Stoffers, Sprecherin von Bildungssenatorin Scheeres, dementiert diese Zahlen. „Die Angaben sind nicht aktuell“, sagt sie. Der Stand zum Schulstart habe anders ausgesehen. Gegenwärtig seien höchstens 60 Stellen noch nicht besetzt. Der Gesamtpersonalrat beziehe sich dagegen auf Vorgänge der vergangenen zwei Monate.
Dieter Haase sieht die Sache anders. Abgesehen von den Stellen, die noch gar nicht besetzt werden konnten, gebe es viele Bewerber, die ihre Zusage im letzten Moment zurückgezogen hätten, um eine Stelle in einem anderen Bundesland anzunehmen, sagt er. „In vielen Bundesländern sind jetzt noch Schulferien, dort werden noch immer Einstellungen vorgenommen. Und wie jeder andere Arbeitnehmer auch, bewerben sich die Lehrer parallel bei verschiedenen Arbeitgebern.“ Besonders extrem sei die Situation in Neukölln. Dort seien bei 78 zu besetzenden Stellen 30 Bewerber wieder abgesprungen.
Quereinsteiger sollen es richten
In den anderen Bezirken müssten jeweils mindestens zehn Stellen wieder neu besetzt werden. Der Bewerbermarkt sei allerdings dünn. „Jetzt können die Schulen nicht mehr auswählen, sie müssen alles nehmen, was sie bekommen können, egal welche Fachrichtung die Bewerber haben“, sagt Haase. Da könne es schon vorkommen, dass ein Deutschlehrer Biologie unterrichten muss.
Beate Stoffers betont indes, dass in Neukölln am vergangenen Mittwoch lediglich noch 15 Stellen offen gewesen sind. „Die betroffenen Schulen führen gerade Auswahlgespräche mit verschiedenen Bewerbern.“ Dass Lehrer sich kurzfristig anders entscheiden würden, weil sie bestimmte Wunschstandorte hätten, sei normal, sagt Stoffers. Das passiere jedes Jahr. „Das bedeutet aber nicht, dass die Stellen unbesetzt bleiben.“
Dieter Haase sagt, dass vor allem Schulen in Brennpunkten oder in Randlagen von Lehrermangel betroffen sind. Auch befristete Stellen seien schwer zu besetzen. Die Heinrich-Böll-Sekundarschule in Spandau beispielsweise benötigte 13 Lehrer zum neuen Schuljahr. Nach Angaben des Personalrats hätten jedoch sechs Bewerber wieder abgesagt. Noch immer würden vier Lehrer fehlen. Für fünf Stellen habe die Schule auf Quereinsteiger zurückgreifen müssen, die berufsbegleitend eine Ausbildung absolvieren und deshalb nicht mit voller Stundenzahl einsetzbar sind.
Neuköllns Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD) bestätigt, dass in ihrem Bezirk viele Bewerber wieder abgesprungen sind. „Die Lehrer wollen nicht an Schulen unterrichten, die in sozial schwierigen Gebieten liegen.“ Bei den zentralen Einstellungsrunden hätten zwar viele zunächst zugesagt, kurze Zeit später ihre Zusage aber wieder zurückgenommen. Diese Kollegen hätten in einem anderen Bezirk oder sogar in einem anderen Bundesland eine Stelle angenommen. Im Moment könnten es sich die Lehrer aussuchen, wo sie gern arbeiten wollen. „Wenn die Verbeamtung in Brandenburg winkt, wird eben kurzfristig abgesagt“, so Giffey.
Wechsel sind möglich
Die Neuköllner Bildungsstadträtin fordert Anreizsysteme für Lehrer, die an Brennpunktschulen unterrichten. „Diese Kollegen müssten besser bezahlt werden“, sagt sie. Eine andere Möglichkeit bestehe darin, die Unterrichtsverpflichtung für Lehrer an Brennpunktschulen zu senken. „Entscheidend ist auch, dass von vornherein klar ist, dass die Lehrer nicht ewig an einer Brennpunktschule bleiben müssen, sondern nach einiger Zeit an eine andere Schule wechseln können.“
Für Wolfgang Lüdtke, Schulleiter der Keppler-Sekundarschule in Neukölln, ist das Problem nicht neu. Er kämpft seit Jahren darum, geeignete Lehrer zu finden. In diesem Jahr hat er sogar noch in den Sommerferien herumtelefonieren müssen, um Ersatz für eine Französischlehrerin zu bekommen, die kurzfristig abgesagt hatte. „Zum Glück hat es geklappt“, sagt er. Auch eine zweite Stelle habe er erst vor Kurzem besetzen können. „Einen kompletten Stundenplan gibt es bei uns deshalb noch nicht, weil wir bisher gar nicht wussten, wer was unterrichten kann“, sagt Lüdtke.
Andere Schulen haben ebenfalls Probleme und zwar nicht nur Brennpunktschulen. Sie sind noch immer auf der Suche nach geeigneten Fachkräften. Auf der Internetseite der Initiative „Bildet Berlin“, der Tausende angestellte Lehrer angehören, haben sich Anfang des Schuljahres einige von ihnen zu Wort gemeldet. So schreiben Kollegen der Sophie-Charlotte-Schule in Charlottenburg, dass zwei ihrer Mathematiklehrer in diesem Sommer nach Brandenburg gegangen sind.
Lehrer des Goethe-Gymnasiums in Lichterfelde berichten, dass eine junge Lehrerin mit den Fächern Mathematik und Biologie ihrer Schule den Rücken gekehrt habe und nach Hessen gegangen sei. Auch Grundschulen haben sich auf dieser Plattform zu Wort gemeldet. Aus Tempelhof-Schöneberg heißt es, dass aufgrund des Lehrermangels vor allem in den fünften und sechsten Klassen oft fachfremd unterrichtet werden muss.
Florian Bublys, Sprecher der Lehrerinitiative Bildet Berlin, warnt angesichts des Fachkräftemangels vor einer Verschlechterung der Schulqualität in Berlin. Für ihn ist klar, dass die angestellten Lehrer nach Tarif bezahlt und die Rahmenbedingungen an den Schulen deutlich besser werden müssen. „Nur dann bleiben die gut ausgebildeten Fachkräfte in Berlin“, sagt er.
Die Tarifkonferenz der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat unterdessen am Donnerstag beschlossen, dass die angestellten Lehrer am 21.und 22. August streiken sollen. Dieser Empfehlung muss der GEW-Landesvorstand am heutigen Montag noch zustimmen. Die Zustimmung des Gremiums gilt jedoch als sicher. Die angestellten Lehrer fordern Tarifverhandlungen mit dem Land Berlin, damit ihr Einkommen an das der verbeamteten Kollegen angeglichen wird. Die Tatsache, dass die Lehrer in Berlin anders als in vielen anderen Bundesländern nicht mehr verbeamtet werden, könnte sonst zur Abwanderung führen, drohen die in der GEW organisierten Lehrer.
Bildungssenatorin Scheeres betont indes, dass die Schüler gerade zu Beginn des Schuljahres verlässliche Strukturen brauchen. Ein Streik der Lehrer würde diese Verlässlichkeit infrage stellen.