Bereits 2000 gab es Bedenken gegen Überflug des Müggelsees. Doch der Senat ignorierte sie

Im Streit um die Flugrouten am künftigen Hauptstadtflughafen BER sind erneut Vorwürfe laut geworden, dass der Berliner Senat Warnungen von Experten vor möglichen Umweltgefahren aus politischen Erwägungen ignoriert hat. So hatten bereits Mitte 2000 Experten der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz erhebliche wasserwirtschaftliche Bedenken wegen der geplanten Flugrouten über den Müggelsee im Südosten der Stadt geäußert. Angesichts der Gefahren durch Abgase, abgelassenes Kerosin oder gar Flugzeugabstürze sei es nicht tolerierbar, dass das Wasserschutzgebiet Friedrichshagen mit Landflächen und dem Müggelsee überflogen wird, hieß es in einem Entwurf für eine Stellungnahme der Senatsverwaltung zum Planfeststellungsverfahren im Juni 2000.

In der offiziellen Stellungnahme, die der Senat dann im Juli an die Genehmigungsbehörde in Brandenburg versandte, fehlte die kritische Passage dann aber. Verantwortlich für die Rotstift-Aktion soll der damalige Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) gewesen sein. Auf Nachfrage erhielt der Fachbeamte später behördenintern die Auskunft, dass der Berliner Senat den Flughafenausbau in Schönefeld wolle. „Um dem Land Brandenburg keinen Grund zu geben, dass Berlin mit technischen Feststellungen und Forderungen als Behinderer wirkt, darf das GenRef (das Generalreferat in der Senatsverwaltung, das die einzelnen Stellungnahmen koordiniert – d. Red.) auf Weisung des Senators keine derartigen schriftlichen Aussagen zum Grundwasserschutz weiterleiten“, heißt es in einer Aktennotiz des zuständigen Sachbearbeiters.

Keine Prüfung der Belastung

Auch die von der eigenen Gewässeraufsicht geforderte gründliche Untersuchung, welche Gefahren sich aus dem Flugverkehr für die Trinkwasserversorgung der Berliner ergeben könnten, erfolgte durch die Senatsumweltverwaltung nicht. „Im Gegenteil: Bei der Umweltverträglichkeitsprüfung für den neuen Flughafen wurde das Trinkwasserschutzgebiet rings um den Müggelsee trotz wiederholter Forderungen nicht mit einbezogen“, sagte ein Mitglied des Sprecherrats der Friedrichshagener Bürgerinitiative (FBI) der Berliner Morgenpost. Die Bürgerinitiative kämpft seit Jahren vehement gegen die Lärm- und Umweltbelastung, die durch den neuen Flughafen in Schönefeld droht.

Mit ihren Aktenfunden will die BI die Klagen mehrerer Anwohner gegen das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) unterstützen. Die Behörde hatte im Januar 2012 die Korridore für Starts und Landungen am neuen Flughafen Berlin Brandenburg (BER) in Schönefeld festgelegt, der eigentlich am 4. Juni 2012 in Betrieb gehen sollte. Eine dieser Routen führt dabei abknickend direkt über den Müggelsee. Bei Ostwind, der ungefähr an einem Drittel aller Tage im Jahr weht, könnten bis zu 122 Maschinen pro Tag in diese Richtung starten. Bisher wehrten sich die Anwohner vor allem gegen die hohe Lärmbelastung, die mit diesem – von früheren Festlegungen abweichenden – Flugkorridor verbunden ist.

Inzwischen hoffen viele Anwohner mit umweltrechtlichen Argumenten die Routen-Festlegung der BAF zu Fall zu bringen. Erst jüngst hatten sie mit einer Beschwerde bei der EU Erfolg, in der sie eine bislang fehlende Umweltverträglichkeitsuntersuchung monierten. Die EU-Kommission kam zu dem Schluss, dass der künftige Flugverkehr am BER die Lebensräume von Kranichen, Seeadlern und anderen geschützten Arten einschränkt und rügte die Bundesregierung für ihr Vorgehen.

Die Anwohner-Klage gegen die „Müggelseeroute“ wird ab Dienstag vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verhandelt. Vertreten werden die Beschwerdeführer durch die Würzburger Kanzlei Baumann, die bereits mit einer Klage gegen die Flughafengesellschaft in Sachen Lärmschutz Erfolg hatte.

Wasserbetriebe sehen keine Gefahr

Bei den Berliner Wasserbetrieben (BWB) stößt das von der Bürgerinitiative angeführte Gefahrenszenario auf Kritik. „Ich habe großes Verständnis für alle, die sich gegen Fluglärm wehren. Aber eine Gefährdung der Trinkwasserversorgung herbeizureden, dafür habe ich kein Verständnis“, sagte BWB-Sprecher Stephan Natz. Bereits seit Jahren werde der Müggelsee von Flugzeugen überflogen, ohne dass es bislang eine Beeinträchtigung der Wasserqualität gebe. Das Wasserwerk in Friedrichshagen sei zudem gut vergleichbar mit dem in Tegel. Beide Werke würden etwa ein Fünftel der benötigten Trinkwassermengen für Berlin beisteuern. „Unmittelbarer Nachbar des Wasserwerks Tegel ist der gleichnamige Flughafen. Und das Wasser wird aus dem Tegeler See und dem Ufergebiet gewonnen, der seit vielen Jahren ständig von Flugzeugen überflogen wird“, sagte Natz. Wie kein anderes Lebensmittel werde die Qualität des Trinkwassers überwacht, auch in Tegel habe es bislang keinerlei Mängel gegeben. Wenn es um die Trinkwasserqualität geht, sehen die Wasserbetriebe ganz andere Gefahren. Dazu gehören etwa die Schwefeleinträge über die Spree – Folge des Braunkohle-Bergbaus in der Lausitz. Der Schwefelgehalt in dem Fluss, der auch den Müggelsee durchfließt, beträgt laut Natz bereits 180 Milligramm je Liter, bei der Havel sei es gerade einmal die Hälfte. Der zulässige Grenzwert für den Schwefelgehalt liege bei 240 Milligramm je Liter. Zu schaffen machen den Wasserbetrieben auch Spurenstoffe von Medikamenten, die etwa aus Krankenhäusern in die Abwässer gelangen. „Aus dem Flugverkehr erwachsen keine Risiken, die es nicht jetzt schon gibt“, betonte Natz.

Der frühere Umweltsenator Strieder war am Sonnabend für eine Stellungnahme zu den Vorwürfe ebenso wenig zu erreichen wie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt.