Morgenpost-Reporter Max Boenke hat getestet, wie schnell und zuverlässig man in der Bundeshauptstadt einen Wagen auf Zeit mieten kann
Ich muss abwägen. 200 Meter zur nächsten Bushaltestelle oder rund 800 Meter zu meinem Citee Car. 1:0 für den Bus. Das Ticket für den Bus kostet mich 2,40 Euro, das Auto pro Stunde nur einen Euro. Im Bus muss ich wahrscheinlich stehen, im Auto gibt es einen Sitz nur für mich. Gedrängel oder Komfort, zwölf Haltestellen bis zu meinem Ziel oder losfahren und ohne Unterbrechung ankommen. Meine Entscheidung ist schnell gefasst.
Online dauert es keine fünf Minuten, mein Auto auf Zeit zu reservieren. Ein paar Tage zuvor habe ich mich online registriert. Name, Adresse und Kontodaten hinterlassen. Nach ein paar Klicks geht es zur CiteeCar-Zentrale in die Luxemburger Straße. Führerschein vorzeigen, Kundenkarte bekommen, so einfach ist das. Eine ausführlich Beratung und eine Einführung in das Techniksystem inklusive. Innerhalb von nur einer Stunde werde ich vom Busfahrenden zum Carsharer. Und liege damit, laut Statistiken, wohl voll im Trend. Laut dem Bundesverband Carsharing (bcs) nutzten im vergangenen Jahr mehr als 450.000 Autofahrer in Deutschland Car-Sharing-Angebote. Sie verzichteten also auf ein eigenes Auto und teilten sich stattdessen ein Fahrzeug mit anderen Autofahrern.
Dabei hatten die Deutschen bundesweit in 343 Städten und Gemeinden die Möglichkeit, sich ein Auto auszuleihen. Wobei hier nicht die Rede von einem Mietwagen ist – denn ausleihen ist nicht gleich mieten. Das Carsharing unterscheidet sich in vielem vom klassischen Mietwagen und lässt sich grundsätzlich in drei Kategorien unterteilen. Zum einen gibt es die stationsbasierten und frei im Straßenraum verfügbaren Angebote, zum anderen die privaten, sogenannte „peer-to-peer“-Angebote. Allein die stationsbasierten Carsharing-Angebote, bei denen ein Auto an einem jeweils festen Ort abgeholt und wieder zurückgebracht wird, nutzten 2012 rund 270.000 Menschen. Das sind 22,7 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Wobei man auch bei diesem Modell ohne Einschränkungen wie Öffnungszeiten eines Autoverleihers an das Auto gelangt. Meist ist die „Abholstation“ ein Straßenzug oder ein ganzes Viertel.
Der Trend zum Kurzzeit-Auto lässt sich auch an der steigenden Zahl der zur Verfügung stehenden Fahrzeuge feststellen. So stieg die Zahl der „geteilten“ Autos innerhalb nur eines Jahres um knapp 20 Prozent auf 6.700 Fahrzeuge, allein bei den stationsbasierten. Bei den sogenannten „free floating“- Fahrzeugen, also jenen Autos, die an einem beliebigen Ort abgeholt und nach der Verwendung wieder abgestellt werden können, wurden innerhalb eines Jahres 146.000 Neukunden hinzugewonnen. Waren 2011 im freien Straßenverkehr rund 1.300 Fahrzeuge unterwegs, so ist die Zahl bis Ende 2012 auf 4.550 hochgeschnellt, Tendenz steigend.
350 Autos mit Ökostrom
In Berlin überschwemmen vor allem drei Autohersteller mit ihrem Angebot die Straßen. Daimler hat unter dem Namen „Car2Go“ derzeit eine Flotte von 1000 Autos, ausschließlich Smarts im blau-weißen Design, auf der Straße. BMW hat sich das nicht lange angesehen und mit „DriveNow“ reagiert. Rund 500 Autos, darunter Mini und verschiedene BMW-Klassen, sind im Berliner Straßenverkehr frei verfügbar. Der Dritte im Bunde der „Free Float“-Carsharer ist Citroen unter dem Namen „Multicity“. Das Besondere: die 350 Fahrzeuge des französischen Autoherstellers fahren allesamt mit Ökostrom.
Mit meiner lila-farbenen Karte von Citee Car ziehe ich nun los, um das Carsharing selbst zu testen. Den 800-Meter-Spaziergang nehme ich gern in Kauf. Hätte ich mich für einen der drei „free float“-Anbieter entschieden, hätte ich auch ein Auto nehmen können, dass direkt auf der Straße steht. Doch ich habe mich für ein stationsbasiertes Angebot entschieden. Diese Autos sollen nachweislich einen positiven Effekt auf die Umwelt haben. Wenn schon, denn schon – auch wenn ich auf meinem Weg mindestens drei blau-weiße Smarts passiere. Gänzlich neu bei dem Anbieter CiteeCar ist sein Konzept von sogenannten Hosts und Members. Während ich, der Member, das Auto nur benutze, wenn ich es akut oder geplant benötige, ist der Host quasi der Aufpasser des Autos. Er kümmert sich größtenteils um die Pflege, Wartung und den allgemeinen Zustand des Wagens. Im Gegenzug bekommt der Host, der idealerweise auch einen Parkplatz stellt, Freiminuten zum Fahren. Nicht nur mit diesem Ansatz punktet der Anbieter. Auch das einfache Preismodell überzeugt. Ein Euro pro Stunde, einfacher geht es kaum. Damit will CiteeCar vor allem Neukunden locken: „Wir haben es uns aber zur Aufgabe gemacht, vor allem die vielen Menschen anzusprechen, die bislang noch nicht Carsharer sind und sie an das Thema heran zu führen“, sagte CiteeCar-CEO Bill Jones der Berliner Morgenpost. Mit dem einen Euro habe man, so Jones, einen Preispunkt gefunden, bei dem Carsharing „für jeden relevant werden kann“. Mit dieser Strategie wolle man zum Ziel des bcs beitragen, bis zum Jahr 2020 zwei Millionen Carsharer zu erreichen.
Willi Loose ist Vorsitzender des Bundesverbands Car-Sharing (bcs) und erklärt, dass die von den Autoherstellern frei im Straßenraum verfügbaren Angebote von ihrem technischen Standard und der Kundenorientierung ohne Frage sehr gute Angebote seien. Allerdings frage er sich, „ob diese genau wie die stationsbasierten CarSharing-Angebote zur Umweltentlastung beitragen. Der bcs hat das festgeschriebene Ziel, private Autos überflüssig zu machen und Anreize zu mehr ÖPNV- und Fahrrad-Nutzung zu geben.“
Skepsis gegenüber der Konkurrenz
Aus einschlägigen Untersuchungen wisse man genau, dass CarSharing-Nutzer von stationsbasierten Angeboten insgesamt weniger Auto fahren als vor ihrer CarSharing-Teilnahme. Und laut dem bcs gebe es Hinweise darauf, dass Nutzer von car2go oder DriveNow die Carsharing-Autos anstelle der eigentlich geplanten ÖPNV-Fahrt nutzten. „Die Bequemheit der Nutzung birgt auch die Gefahr, dass stärker auf das Auto zurückgegriffen wird, als wir es aus dem stationsbasierten CarSharing kennen.“ Auch bei CiteeCar beäugt man die starke Konkurrenz mit Skepsis. „Wir wir an einem kritischen Punkt für den Sektor gelangt, an dem nun auch Autohersteller massiv in den Markt drängen. Bereits im letzten Bericht hat der bcs Zweifel geäußert, ob diese neuen Systeme überhaupt CarSharing-Systeme nach Definition des Bundesverbandes sind“, so Bill Jones von CiteeCar. Man sehe die Modelle von BMW und Daimler durchaus komplementär zu klassischem Carsharing und „sie tragen auch dazu bei, neue Zielgruppen an Mobilitätsalternativen heran zu führen“, sagt Jones. Doch Carsharing solle den ÖPNV ergänzen und nicht ersetzen: „Hier positionieren sich free-float-Anbieter am falschen Ende“, lautet das Urteil von Jones.
Auch der ADAC warnt vor Negativ-Effekten. „Im Prinzip finden wir, dass Carsharing eine gute Sache ist und ein sinnvoller Teil der Mobilität im Stadtverkehr sein kann. Allerdings darf das Carsharing den ÖPNV nicht kannibalisieren“, sagt Andreas Hölzel.
„Pling!“ Mein Smartphone hat eine SMS empfangen „Hallo, dein gebuchtes Auto (B-CC 2584) ist hier: Alte Jakobstraße 130, 10969 Berlin. Geo: 52.5030026, 13.3983494. Frohe CiteeCar Fahrt“. Wie freundlich, der Busfahrer hat mich noch nie gegrüßt. Mit einem guten Gewissen nähere ich mich meinem für zwei Stunden gebuchten Citee Car, einem silbernen Kia mit lila Aufklebern auf Heck und Türen, die mich sofort als Carsharer erkenntlich machen. Endlich kommt die lila Plastikkarte zum Einsatz. Kurz an den Transponder gehalten, der hinter der Frontscheibe angebracht ist, und der Wagen entriegelt. „Klick!“
Die Entwicklung der wachsenden Car-Sharing-Angebote ist eine logische Konsequenz des sich seit Jahren ändernden Mobilitätsverhaltens in Deutschland, vor allem junger Großstädter. Das Institut für Mobilitätsforschung (ifmo) hat bereits 2011 vorgerechnet, dass immer weniger Jugendliche überhaupt einen Führerschein haben. Besaßen 1997 noch 83 Prozent der 18-30-Jährigen eine Fahrerlaubnis, so hat die Zahl innerhalb eines Jahrzehnt um zehn Prozentpunkte abgenommen. Das wirkte sich in der jungen Zielgruppe vor allem auf eine umweltverträglichere Mobilität im Alltag aus. So heißt es unter anderem in der imfo-Studie: „Die deutschen jungen Erwachsenen nutzten 2007 gegenüber 1997 doppelt so häufig den ÖPNV auf ihren Alltagswegen und haben auch ihren Anteil von Fahrrad- und Fußwegen um fünf Prozentpunkte gesteigert.“ Auch der tatsächliche Besitz eines eigenen Fahrzeugs hat bei den 18-30-Jährigen stark abgenommen. Laut einer Studie des Deutschen Studentenwerks waren 2009 nur noch 34 Prozent der Studenten in der Lage, sich ein eigenes Auto zu leisten. 20 Jahre zuvor lag der Wert noch bei 54 Prozent.
Willi Loose freut sich über diese Zahlen, „da damit das Auto mehr als bisher als bloßes Verkehrsmittel angesehen wird, denn als Statussymbol“, sagt er. Dennoch erinnert er daran, diese Entwicklung nicht überzubewerten. „Nach wie vor, und das wird sicherlich auf längere Sicht anhalten, wird von der Mehrzahl der Bevölkerung das eigene Auto als erste Wahl angesehen“, so Loose. Und die Daten des Statistischen Bundesamtes geben ihm Recht. 2011 waren von rund 40 Millionen deutschen Haushalten mehr als dreiviertel mit einem Fahrzeug ausgestattet. Nur geringfügig höher ist die Zahl jener Haushalte mit einem Internetzugang. Dennoch, so Loose, „wird Carsharing zunehmend als kosteneffiziente und umweltgerechte Alternative zum eigenen Auto angesehen.“
Auch der Präsident des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, hat Car-Sharing mittlerweile als „vierte umweltfreundliche Verkehrsform, neben Bus und Bahn, zu Fuß gehen und Fahrradfahren“ erkannt. Dabei hat das Prinzip des geteilten Autos neben der Entlastung der Umwelt noch weitere Vorteile. So lassen sich die Wagen bis zu 15 Minuten im Voraus kurzfristig reservieren, meist sogar per mobiler App. Bei einem Großteil der Angebote entfallen darüber hinaus auch die konventionellen Sorgen des Autofahrers. So ist der verbrauchte Sprit meist im Preis enthalten und bei den „free floating“-Angeboten können die Wagen sogar auf kostenpflichtigen Parkplätzen abgestellt werden, ohne dass der Fahrer blechen muss.
Welche positiven Effekte Carsharing langfristig haben kann, zeigt sich ausgerechnet in Amerika – dem Land der Megatrucks und Sprit-Vernichter. Im Jahr 2009, so rechnete die Agentur Frost & Sullivan aus, konnten durch Carsharing in den Staaten CO2-Emmissionen in Höhe von mehr als 482 Tonnen vermieden werden. Und im gleichen Jahr kauften in den USA erstmals weniger Menschen ein Auto (zehn Millionen), als jene, die sich zugunsten anderer Mobilitätslösungen davon trennten (14 Millionen). Doch auch der Ausblick für Europa ist laut Frost & Sullivan optimistisch. Bis 2020 soll es laut der Prognose in Europa mehr als 20 Peer-to-Peer und über 200 stationsbasierte Carsharing-Unternehmen geben. Insgesamt werden bis dahin bis zu 15 Millionen Carsharing-Nutzer in Europa erwartet. Auch die Zahl der verfügbaren Fahrzeuge soll bis zum Jahr 2020 in Europa von derzeit mehr als 20.000 auf 240.000 steigen.
Ich jedenfalls bin meiner Zeit also voraus. Mein lila CiteeCar fährt problemlos, hat gerade mal 2000 Kilometer auf dem Tacho. Der Tank ist voll und die Fensterheber sind elektrisch. Und den Bus an der Haltestelle vor mir – den überhole ich einfach.