Dort, wo zu Zeiten der DDR russische Militärflieger in Richtung Osten abhoben, schleichen heute zwei Füchse umher. Ihr Winterfell haben sie abgeworfen, doch ihr Schweif ist noch sehr buschig. Angst vor den Menschen haben sie kaum. Denn sie werden hier nur selten gestört. Besucher dürfen ohne Genehmigung nicht auf den ehemaligen Militärflugplatz Sperenberg. Das Gelände ist nicht sicher. Noch immer liegen Blindgänger und Munition in Wiesen und Wäldern verstreut. Es sind die Überreste des Zweiten Weltkriegs. Sie werden nur langsam aus dem märkischen Boden entfernt.
Nach einer Weile verschwinden die Füchse in den Büschen. Gleichzeitig schwingt sich ein Seeadler empor und fliegt seitlich der Startbahn entlang. Sein braunes Gefieder spannt sich einen Meter breit. Ganz langsam heben und senken sich die Flügel. Dann entschwindet er über den Wipfeln der Bäume. Es ist still, nichts rührt sich mehr, außer den wilden Gräsern im Wind.
Es ist eine der ganz großen Eigentümlichkeiten im Berliner Flughafendrama, dass ausgerechnet dieser verlassene Ort heute vielen wie ein Wunschtraum erscheint. Noch immer taucht der Name Sperenberg in der Diskussion um den richtigen Standort für den neuen Hauptstadt-Airport BER auf. Anwohner rund um den Flughafen Schönefeld glauben beharrlich, dass der BER irgendwann noch dorthin verlegt wird. Dafür suchen sie in alten Akten nach Verfahrensfehlern und führen Kämpfe vor Gericht.
Der Flugplatz Sperenberg ist ein Ort, den es mehr in der Fantasie als in der Realität gibt. Man findet ihn auf der Karte, aber man darf ihn nicht betreten, er hat keine Funktion. Es gibt keinen Plan der brandenburgischen Landesregierung, was mit ihm geschehen soll. Sperenberg gibt es vor allem in den Köpfen der Anwohner rund um den Flughafen Schönefeld, die glauben, wäre der BER dort gebaut worden, wäre alles besser.
Kurz nach der Wende lag der ehemalige Militärflugplatz Sperenberg für West-Berliner „in Sibirien“. So spotteten viele jedenfalls, als Politiker Anfang der 90er-Jahre nach einem Standort für den Hauptstadtflughafen suchten. Heute fällt es schwer, aber irgendwie kann man die Haltung von damals auch nachvollziehen. Wenn man sich vorstellt, man hätte von einer Altbauwohnung an der Fasanenstraße aus auf die Landkarte geblickt und im Süden Berlins nach dem früheren Flugplatz der Sowjets gesucht. Rund 60Kilometer südlich wurde man fündig. Mehrere Seen waren eingezeichnet und viel Wald. Einen größeren Ort gab es nicht. Von Rehagen und Wunsdorf hatte kaum einer gehört. Von Berlin aus führen nur holprige Dorfpisten dorthin. Den Standort eines Hauptstadt-Airports hatten sich viele anders vorgestellt.
Chance für die Zukunft
Um Sperenberg ranken sich viele Mythen. Auch weil das ganze Gelände umzäunt, die Zufahrt durch ein Tor versperrt ist. Was sich dahinter verbirgt, wissen meist nicht einmal die gut 1600 Bewohner im nahen Sperenberg. Bis 1994 waren russische Soldaten hier stationiert. Sie hatten sich ihre eigene Welt mit Schule, Kino und Wohnhäusern aufgebaut. In das Dorf kamen sie so gut wie nie. Nur manchmal hätten sie sich vom Gelände geschlichen, um mit einem Kanister Bier in der Kneipe zu kaufen, erzählt eine Frau. Als sie abzogen, nahmen sie mit, was sie transportieren konnten. Zurück blieben nur die Gebäude, die nun verfallen.
Immer noch gibt es die drei Start- und Landebahnen. Für den Flugverkehr genutzt wurden nur die beiden äußeren. Fast 2,7 Kilometer ist die nördliche Bahn lang. Sie besteht aus großen Betonplatten. In Sperenberg bekommt man ein Gefühl dafür, was für ein Abenteuer Fliegen früher gewesen sein muss. Zwischen den Platten bohren sich Gräser ihren Weg nach oben. Dass ein poppig bemaltes Flugzeug von Ryanair oder Air Berlin, Zeugen des Massentourismus, auf so einer Bahn landet, kann man sich kaum vorstellen.
Vor Kurzem sorgte Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) für Aufregung, als er sinnierte, ob man nicht in 30 Jahren nach Sperenberg ausweichen müsste, da der BER dann wohl zu klein sei. Vor 18 Jahren fiel die Entscheidung für Schönefeld. Im vergangenen Jahr bemerkten die Bauherren, dass die Brandschutzanlage nicht funktioniert. Dass der BER vor 2015 komplett in Betrieb geht, damit rechnet kaum einer. Stolpe hat daher völlig recht, wenn er im Zusammenhang mit dem Hauptstadtflughafen in Dekaden rechnet.
Sperenberg selbst dürfte dann noch mehr von der Natur vereinnahmt sein. In den gelb und grau gestrichenen Wohnhäusern, wo die rund 6000 Soldaten mit Familien untergebracht waren, gibt es keine einzige Fensterscheibe mehr. Die Scherben liegen zum Teil noch in den Räumen. In der Schule, einem mehrstöckigen Gebäude, ist die Deckenverkleidung lose. Weiße Platten hängen herunter. Es wirkt unheimlich, denn gleichzeitig lächelt eine rotbackige Fee unter einem Regenbogen von der Wand. Sonst gibt es keinen Hinweis darauf, dass hier einmal Kinder gelernt haben, dass Soldaten in den Häusern nebenan Väter waren und mit ihren Familien gegessen haben. Genau das macht die eigentümliche Stimmung in Sperenberg aus. Es ist diese Mischung aus Dingen, die der Natur trotzen, aber in dieser verlassenen Umgebung so fehl am Platz wirken. Zeit und Verfall haben dem Ort seine Normalität geraubt. Sich hier den BER vorzustellen braucht wirklich Fantasie.
Bis 2009 gehörte der Flugplatz dem Bund, seither ist er Eigentum des Landes Brandenburg. Sieht man die Sache positiv, ist Sperenberg eine Option, eine Chance für die Zukunft. Derzeit kostet der Flugplatz nur Geld. Brandenburg zahlt Grundsteuer für das 3200 Hektar große Areal, dazu kommt eine Wasser- und Bodenabgabe. Rund 30.000 Euro dürften das laut der zuständigen Behörde pro Jahr sein. Was soll man mit so einem Gelände anfangen? Führungen könnte das Land anbieten. Ein Heimatmuseum soll daran Interesse haben. Filme könnte man hier drehen. Oder eben Flugzeuge starten und landen lassen.
Angst vor Umweltschützern
Das wäre die Zukunft gewesen: Anfang der 90er-Jahre schnitt Sperenberg bei der Standortsuche für den Airport besser ab als Schönefeld. Im dünn besiedelten Gebiet hätte man den Flughafen Tag und Nacht betreiben können. Per Schnellzug wie dem Transrapid hätte man die Passagiere mindestens so schnell ins Zentrum Berlins befördert wie mit der S-Bahn von Schönefeld. Doch als die Fusion von Brandenburg und Berlin 1996 scheiterte, hatte Sperenberg keine Chance mehr. Berlin fürchtete um Betriebsansiedlungen und Arbeitsplätze, die rund um den Großflughafen entstehen würden. Zudem wollte oder konnte keiner der Gesellschafter die Schnellzugstrecke finanzieren. Sie entschieden sich daher für Schönefeld.
Was folgte, ist bekannt. Der BER hat die Wirtschaft in der Region längst nicht so angeschoben wie erhofft. Mit Diepensee musste ein ganzes Dorf umgesiedelt werden. Bis heute sind Klagen anhängig. Der Lärmschutz kostet die Flughafengesellschaft das Dreifache der anfangs geschätzten knapp 200 Millionen Euro.
Nun ist völlig unklar, welche Probleme sich in Sperenberg aufgetan hätten. Die Sowjets waren nicht zimperlich, wenn Treibstoff in den Boden lief. Eine gründliche Bodenuntersuchung gab es nie. Das größte Problem wäre laut einem vertraulichen Vermerk der Berliner Senatskanzlei aus dem Jahr 1995 aber genau das, was Sperenberg so besonders macht: die Tiere und Pflanzen. In dem Dokument, welches auch dem damaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) vorlag, steht, dass „die Naturschutzprobleme am Standort Sperenberg die Durchsetzbarkeit eines Flughafenprojekts deutlich mehr“ behinderten als „die Lärmschutzfragen und das Erfordernis von Umsiedlungen am Standort Schönefeld“. Vereinfacht gesagt, fürchteten die Politiker Proteste der Umweltschützer in Sperenberg wohl mehr als den Zorn der Schönefeld-Anwohner.
Die Füchse, Hasen, Rehe in Sperenberg freut es. Der Flugplatz ist von Buchenwald umgeben. Zehntausende Bäume hätten abgeholzt werden müssen, wäre dort ein internationaler Großflughafen entstanden. Nun erobert die Natur die Betonpisten und Gebäude zurück.
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