Er habe als Kind schon davon gehört, dass Berlin gut sei auf dem Gebiet der Medizin, sagt Ahad Fahimi. Damals ging der Kreuzberger Allgemeinmediziner noch in Teheran zur Schule. Arzt zu werden, das war sein Traum. Doch der Berufsweg führte Fahimi nicht direkt nach Deutschland: Das Studium absolvierte er in Istanbul. Ein Umweg, der ihm in seiner späteren Praxis erst an der Skalitzer Straße, dann an der Bergmannstraße nutzen sollte: Fahimi spricht Persisch, Französisch, Deutsch und Türkisch - perfekt für die Arbeit mit Patienten im multikulturellen Kreuzberg.
Derzeit verzeichnet Berlin einen besonders großen Zustrom von Ärzten aus dem Ausland, allen voran aus EU-Ländern, aber auch aus Russland und der arabischen Welt. Vor allem zur Weiterbildung kommen sie, doch viele von ihnen möchten auch bleiben. Eine internationale Disziplin war die Medizin aber schon immer. Es ist ziemlich genau 50 Jahre her, dass Fahimi nach Berlin kam und erst chirurgischer Operateur wurde, dann Facharzt für Allgemeinmedizin. Nachmittags lernte er am Goethe-Institut Deutsch. "Ich habe es nie bereut", sagt der leise sprechende Herr mit dem grauen Schnurrbart heute. Überzeugt fügt er hinzu: "Das deutsche Gesundheitssystem ist das beste auf der Welt." Fahimi ist 80 Jahre alt. Und er arbeitet immer noch. Die Praxis führt mittlerweile in erster Linie sein Sohn, aber der Senior ist trotzdem fast täglich noch dabei. "Nach zwei Wochen Urlaub werde ich unruhig und will arbeiten", sagt Fahimi.
Etwa 3300 Ärzte aus dem Ausland
Der Arzt kann viel darüber erzählen, wie sich das deutsche Gesundheitssystem in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat - und auch darüber, wie sich zugleich die Eingliederung von Fachkräften aus dem Ausland veränderte. "Vor 20 Jahren hatten Kollegen aus dem Ausland noch große Probleme, überhaupt eine Berufserlaubnis in Deutschland zu bekommen", sagt Fahimi. Seit die Verwaltungen aber den zunehmenden Ärztemangel vor allem auf dem Land nicht mehr ignorieren konnten, habe sich der Umgang rapide geändert. 1991 gründete Fahimi die Vereinigung iranischer Ärzte in Berlin, vier Jahre später dann den Verband der Deutsch-Ausländischen Ärzte, dessen Vorsitzender er ist. Schätzungen gingen bei den rund 28.000 Berliner Ärzten von einem Anteil von gut zwölf Prozent mit ausländischen Wurzeln aus, sagt Fahimi.
Die Vereinigung der Deutsch-Ausländischen Ärzte kümmert sich unter anderem um Fortbildungen, berät bei der Stellensuche, will das Gesundheitswesen in den Heimatländern fördern und gegen ausländerfeindliche Aktionen eintreten. Mit letzterem habe er selbst aber keine Erfahrungen, sagt Fahimi. "In all den Jahren habe ich keine Diskriminierungen erlebt."
Schwierigkeiten bleiben trotzdem nicht aus, wenn Ärzte mit einem anderen kulturellen Hintergrund und mit anderer Muttersprache sich im deutschen Gesundheitssystem zurechtfinden müssen. Vor allem die Sprache führe schnell zu Problemen, weiß Günther Jonitz, Präsident der Berliner Ärztekammer. Immer öfter gebe es Ärger, weil Patienten von Ärzten betreut würden, die zwar sehr engagiert seien, aber sich nur schlecht mit ihnen verständigen könnten, sagt Jonitz. "Vor allem aus Brandenburg, wo der Ärztemangel auf dem Land besonders hoch ist, hört man solche Geschichten." Ein erfahrener Arzt aus Russland, der noch kaum Deutsch spreche, sei dort oftmals besser als gar kein Arzt. "Aber das ist ein Notbehelf und nicht der Zustand, den wir wollen und den die Patienten brauchen", so Jonitz weiter. Auch gebe es Beispiele dafür, dass manche Kulturen im Umgang mit Patienten nicht kompatibel seien. "Da sollten sich die Kollegen besser integrieren."
Es liege im Ermessen der Kliniken, entsprechende Weiterbildungen von ausländischen Kollegen zu verlangen, sagt Jonitz. "Wer einen ausländischen Arzt einstellt, übernimmt die Verantwortung dafür, dass die Verständigung funktioniert." Doch stehe das Gesundheitssystem unter hohem Druck. "Wenn ein Geschäftsführer sieht, dass ihm drei Ärzte fehlen, dann stellt er vielleicht einen Kollegen aus Polen, einen aus Moldawien und einen aus Weißrussland ein und denkt, die Kollegen machen das schon." Damit müsse Schluss sein, fordert Jonitz. "Dieses Durchwursteln muss aufhören."
Gespräch mit Patienten üben
Es brauche mehr Standards in der Betreuung ausländischer Kollegen, sagt Jonitz. Zwar gibt es eine immer bessere Infrastruktur für Ärzte aus dem Ausland, über die Sprachkurse für Mediziner oder Einführungen ins Gesundheitssystem angeboten werden. In Berlin bieten etwa die Charité oder die Kaiserin-Friedrich-Stiftung entsprechendes an. Doch es müssten daneben verbindlich auch mehr Standardsituationen mit den ausländischen Kollegen erprobt werden, sagt Jonitz. "Das Patientengespräch zum Beispiel."
Der Ärzte-Funktionär fordert deshalb einen Masterplan für die Region Berlin-Brandenburg, mit dem erfasst wird, wie viele Ärzte aus welchen Ländern bereits in der Region arbeiten, wo es Schwierigkeiten gibt und wie Krankenhausträger, Gesundheitsverwaltungen und Ärztekammern gemeinsam Probleme schon im Vorfeld vermeiden könnten. "Das wäre die richtige Reaktion auf die zunehmende Internationalisierung."
Meist funktioniere die Zusammenarbeit zwischen deutschen und ausländischen Kollegen allerdings hervorragend, sagt Jonitz. Berlin sei eine weltoffene Stadt, die Medizin schon immer ein Fachgebiet, auf dem der Austausch rege betrieben werde. "Es gibt auch viele Dinge, die man von den ausländischen Kollegen lernen kann", sagt Jonitz, der selbst Facharzt für Chirurgie ist.
Zeitgleich zu den vielen neuen Kollegen aus dem Ausland verzeichnet die Berliner Ärztekammer aber auch einen gut ebenso großen Abgang von Ärzten deutscher Staatsangehörigkeit, die ins Ausland wechseln. Von 2001 bis 2011 sind laut der Kammer 1581 Ärzte mit deutschem Pass aus Berlin ins Ausland gegangen. "Da hat sich in den letzten zehn Jahren ein erheblicher Trend abgezeichnet", sagt Günther Jonitz. Als Erklärung nennt er Einkommenssituation und Arbeitsbedingungen. "Arbeitszeiten, Perspektiven, Wertschätzung - da haben manche Länder mehr zu bieten." Deswegen gingen gerade junge Ärzte gern nach Frankreich, England oder in die skandinavischen Länder. "Flapsig gesagt: Die Ärzte in Deutschland stimmen über unseren Medizinbetrieb mit den Füßen ab und machen rüber", sagt Jonitz.