Gesundheit

"Patienten und Angehörige in Angst und Schrecken"

| Lesedauer: 5 Minuten
Nicole Dolif und Joachim Fahrun

Keime auf der Frühchenstation: Gesundheitssenator kritisiert die Charité. Herzzentrum wusste nichts von Serratien

Die Charité muss sich weiterhin kräftige Kritik wegen des Umgangs mit dem Keimbefall gefallen lassen. Das Baby, das nach einer Operation im Deutschen Herzzentrum starb, weil es sich zuvor auf der Neonatologie der Charité mit einem Darmkeim angesteckt hatte, kann vermutlich nicht mehr obduziert werden. Der Säugling wurde bereits am 12. Oktober auf dem muslimischen Friedhof am Columbiadamm beigesetzt. Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) kritisierte die Charité: "Es gab Defizite in der Informationspolitik. Immer wieder wurden neue Fragen aufgeworfen und Patienten und Angehörige in Angst und Schrecken versetzt." Hier gebe es Nachholbedarf.

Die Charité müsse in der Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation nachjustieren, sagte Czaja. Es war das Gesundheitsamt Mitte, dass sich am Freitag mit einem Amtshilfeersuchen an die Senatsverwaltung wandte, weil man den Eindruck hatte, das Universitätsklinikum kooperiere nicht ordnungsgemäß mit der zuständigen Behörde. Zu diesem Zeitpunkt waren aber die beiden Neonatologie-Stationen im Virchow-Klinikum der Charité schon zwei Tage wegen des Keimbefalls für Neuaufnahmen gesperrt.

Als akuter Notfall gekommen

Offenbar informierte die Charité aber auch die behandelnden Ärzte am Herzzentrum nicht darüber, dass es auf der Station einen Verdacht auf Serratien gab. Das Baby sei als akuter Notfall aus der Charité ins Herzzentrum verlegt worden und habe in Lebensgefahr geschwebt, sagte Czaja. Die schwere Herzoperation sei erfolgreich verlaufen, sagte Professor Felix Berger, Direktor der Klinik für Kinderkardiologie. Dann habe sich der Zustand des Babys allerdings deutlich verschlechtert. Eine Blutanalyse wurde begonnen. Am 5. Oktober verstarb das Baby. Die Ärzte stellten eine natürliche Todesursache fest. Das Baby sei an postoperativen Folgen gestorben - unter anderem an einer Blutvergiftung und multiplem Organversagen. Auch zu diesem Zeitpunkt wussten die Ärzte im Herzzentrum noch nichts von einem möglichen Keimbefall. Sie übergaben den Leichnam an die Eltern, obwohl das Bluttestergebnis noch ausstand. Dieser Test zeigte einen Serratienbefall. Die daraus folgende Infektion wird jetzt als Todesursache angegeben. Das Ergebnis kam an dem Tag, als die Eltern ihr verstorbenes Kind abholten.

Das sei ein völlig normales Vorgehen, sagte eine Sprecherin des Herzzentrums. Das Baby sei schließlich sehr krank gewesen. Einen Anlass für eine Obduktion habe man zu diesem Zeitpunkt nicht gesehen. Gesundheitssenator Czaja sagte allerdings, dass die Ärzte gern eine Sektion durchgeführt hätten, die Eltern sich aber dagegen entschieden hätten. Die Eltern konnten allerdings auch keine Zweifel an der Todesursache haben, weil sie von dem Keimbefall gar nichts wussten. Erst am gestrigen Dienstag habe die Familie des verstorbenen Babys überhaupt von den Serratien erfahren, sagte Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, die gegen die Charité wegen fahrlässiger Tötung ermittelt.

In Kreisen der Ermittler findet man noch deutlichere Worte: Von "Schlamperei" ist die Rede. In einem solchen Fall sei es dringend geboten, nicht einfach einen natürlichen Tod zu attestieren und die Leiche zur Bestattung frei zu geben. "Das Krankenhaus hätte einen unnatürlichen Tod feststellen und die Polizei informieren müssen", sagte ein erfahrener Gerichtsmediziner der Berliner Morgenpost. Dann wären die Ärzte auf der sicheren Seite und müssten sich nicht dem Vorwurf stellen, irgendetwas vertuschen zu wollen. Zumal zum Zeitpunkt des Todes des Kindes die Analyse der entnommenen Proben auf eine mögliche Keimbelastung nicht abgeschlossen war.

Verbleib zunächst unklar

Auch die Informationspolitik der Charité gegenüber der Staatsanwaltschaft war zunächst lückenhaft. So meldete die Staatsanwaltschaft noch am gestrigen Dienstagvormittag, dass sie derzeit weder wisse, wo die Leiche sei, noch kenne sie die Identität des Säuglings. Am Nachmittag meldete sich dann die Charité und teilte mit, man habe am Tag zuvor die Ermittler über die Identität des Kindes und den Wohnort der Eltern informiert. Da das Kind aber im Deutschen Herzzentrum verstorben sei, habe die Charité keine Kenntnisse von den näheren Umständen nach dem Tod des Kindes. Das Deutsche Herzzentrum hat seinen Sitz direkt am Virchow Klinikum im Wedding, wenige Meter entfernt von der Neugeborenen-Intensivstation, auf der die Serratien-Infektion ausgebrochen war.

Die Suche nach der Ursache des Serratien-Ausbruchs geht unterdessen weiter. Bis jetzt konnte die Quelle der Verunreinigung noch nicht gefunden werden. Sieben Kinder waren an dem Keim erkrankt, bei 16 weiteren wurde der Keim nachgewiesen, ohne dass eine Erkrankung vorlag. Acht von ihnen werden intensiv beobachtet. Nach Angaben der Charité sind alle Kinder in einem stabilen Zustand, die antibiotische Therapie, mit der sechs Kinder behandelt werden, schlage gut an. Die Infektionszeichen seien rückläufig. Neue Fälle seien nicht dazugekommen.

Der Ausbruch von Serratien auf den beiden Frühgeborenen-Stationen im Virchow-Klinikum der Charité wird am heutigen Donnerstag auch das Berliner Abgeordnetenhaus beschäftigen. Darüber hinaus dürften die Vorfälle im Gesundheitsausschuss diskutiert werden. Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Heiko Thomas, sagte, er werde in der Plenarsitzung eine mündliche Anfrage zum Thema stellen und habe im Ausschuss einen Besprechungspunkt angemeldet.