Die Erinnerung muss so real sein, als liefe ein Film ab. Man merkt es, wenn Petra Mosquera erzählt - von ihrer Mutter, wie sie sich vor dem Ausgehen von den Kindern verabschiedete. Wunderschön war sie in den Augen der damals etwa zehnjährigen Petra, mit der Nerzstola über dem schwarzen Samtkleid, die Haare im Jackie-Stil frisiert. Um den Hals trug sie an diesem Abend - Anfang 1968 oder 1969 mag es gewesen sein, im Palais am Funkturm wurde zum Presseball geladen - ein goldenes Modecollier von Dior.
Ölbilder und Sammeltassen
22 Jahre ist diese Kette nun im Besitz von Petra Mosquera. Getragen hat sie sie nicht mehr. "Das wäre nicht authentisch", sagt die 53-Jährige. "Ich will die Erinnerung nicht anrühren." Nicht immer sind es Dinge von so persönlicher Bedeutung, die bei Heide Rezepa-Zabel in der Ding-Sprechstunde landen. An jedem zweiten Freitag im Monat begutachtet die Kunsthistorikerin im Kreuzberger Werkbundarchiv, dem Museum der Dinge, kostenlos und unverbindlich Gebrauchtes, Gefundenes und Geerbtes. Dinge, die zu schön, zu selten, vielleicht zu kostbar scheinen, um sie wegzuwerfen, deren wahren Wert ihre Besitzer aber nicht kennen. Deshalb liegen dann Ölbilder oder Sammeltassen, technisches Gerät oder Uhren früherer Generationen auf dem großen Tisch im Museum der Dinge, an dem Heide Rezepa-Zabel auf ihre Besucher wartet.
Seit drei Jahren gibt es den Service an der Oranienstraße. "Für uns ist das eine Schnittstelle, um mit den Besuchern in Kontakt zu treten", formuliert Museumskuratorin Imke Volkers die Motivation des Hauses, das sich auf die Produktkultur des 20. und 21. Jahrhunderts spezialisiert hat. Immer wieder kämen Menschen mit Fundstücken. Manches bleibt als Spende gleich an der Kasse. Bei anderen Gegenständen geht es um Klarheit über Funktion, Herkunft oder den Wert. Gerade wickelt ein älterer Mann mit weißem Bart zwei Gemälde in geschnitzten Rahmen wieder ein. Er hatte sich angemeldet, war sogar eine halbe Stunde zu früh da, aber nicht darauf vorbereitet, dass Hunde im Museum nicht erlaubt sind. Jetzt, nach Rezepa-Zabels jovial vorgetragenem, aber kurzem und bündigem Fachurteil zu den Straßenszenen in Öl, ist er ernüchtert. Seine Begleiterin, in Trainingsjacke und mit tiefen Lebensspuren im gar nicht so alten Gesicht, wirkt fast verärgert. "Schade", sagt der Bilderbesitzer, "ich hatte schon mit Millionen gerechnet." Gar nicht so selten sei das, erzählt Rezepa-Zabel: "So mancher denkt sich, vielleicht habe ich ja Glück."
Andere Stücke dagegen, die ihr vorgelegt werden, sind richtige kleine Schätze. Wie vor einiger Zeit die Metallzange, mit Perlmuttornamenten und im Greifer ausgepolstert, die sie zunächst für ein Besteck zum Halten von Reagenzgläsern hielt. "Es war nur nicht klar, warum sie so hübsch ist", sagt die Expertin. Erst im Nachhinein wurde ihr klar, dass es sich bei dem als Kuriosum über Generationen weitervererbten Werkzeug wohl um das persönliche Operationsbesteck eines schönheitssinnigen Chirurgen handelte. "Dem Besitzer ging es gar nicht um eine Wertexpertise, er wollte einfach wissen, was das ist", erinnert sich Rezepa-Zabel. Details aus den Berichten der Besucher, vor allem aber jahrelange Erfahrung helfen der als Kuratorin und Wissenschaftlerin sowie im Kunsthandel tätigen Berlinerin bei ihren Einschätzungen. Einen vermeintlichen Renaissance-Bilderrahmen entlarvte sie so als eine Arbeit der Gründerzeit im Stil der Neorenaissance. Ein gut gearbeitetes Stück sei das gewesen, aus altem Holz und mit allen Finessen der Renaissance-Handwerker. Dass es Rahmen aus dieser Zeit auf dem Markt gar nicht mehr gibt, wusste Rezepa-Zabel aber auch. Auf dennoch immerhin 1500 Euro schätzte sie den Marktwert des Erbstücks.
Andere Besucher müssen mit größeren Enttäuschungen leben - wie die Dame Anfang 30, die eine kleine chinesische Porzellantasse mitgebracht hatte. Sie ließ durchblicken, dass diese ihr von einem Verehrer überreicht worden war, als Erbstück seiner Großmutter. "Dabei war das ein billiges Souvenir, das Dekor waren quasi Abziehbilder", sagt Rezepa-Zabel. Das Bild der Frau, die von dem Betrug des vermeintlichen Liebhabers getroffen war, ist ihr vor Augen geblieben. "Viele kommen her, weil sie Lust haben, bei bestimmten Sachen aus ihrem Besitz nachzuforschen", sagt sie. "Aber in dem Fall wäre es besser gewesen, sie hätte das gar nicht erst hinterfragt."
Manches bleibt im Werkbundarchiv
Gelegentlich findet Alltagskultur über die Ding-Sprechstunde den Weg ins Museum. Was aus designhistorischer Sicht interessant ist, das weckt bei Rezepa-Zabel eine Begeisterung, die ihren Wissensschatz schon mal zum Überfließen bringt. Von der Bedeutung des Modeschmucks im Allgemeinen erzählt sie Petra Mosquera, von der Geschichte des Hauses Dior und seiner Verbindung zu den Juwelieren Henkel und Grosse aus Pforzheim im Besonderen. Am Ende bleibt das Goldcollier als Kommissionsgut bei Rezepa-Zabel. "Bei jedem Umzug habe ich den Schmuck mitgenommen, jahrelang lag er im Kästchen", sagt Mosquera, die aus Zehlendorfer stammt, mit ihrer Familie in Charlottenburg lebt und in einem Atelier in Lichterfelde großformatige Bildkompositionen aus Ölfarbe und anderen Materialien gestaltet. Jetzt aber könne sie sich von der Kette trennen.
Ein herkömmlicher Auktionshandel oder gar Ebay, diese Vorstellung wäre ihr dann allerdings doch unerträglich. "Aber hier habe ich ein gutes Gefühl", sagt sie. "Weil hier die Stücke mit ihren Geschichten wertgeschätzt werden."