"Das ist doch unmöglich. Kann man denen nicht das Handwerk legen?", sagt die 79-Jährige wütend. Gärtner hält einen Brief in der Hand. Darauf steht: "Insolvenzantragsverfahren über das Vermögen der Asteria Senioren-Service GmbH, Haus Dorothea, Steglitzer Damm 69, 12169 Berlin".
Waltraud Gärtner hatte sich gerade eingelebt im privaten Seniorenwohnheim. Erst Mitte des vergangenen Jahres war sie mit anderen alten Menschen notgedrungen aus dem Georg-Kriedte-Haus in Lichtenrade ausgezogen. Es wurde geschlossen. Jetzt hat sie Angst, dass sie schon bald wieder umziehen muss. Ihre Schwiegertochter kümmert sich deshalb darum, dass sie schnell eine neue Unterkunft findet. "Als meine Schwiegermutter erfahren hat, dass das Heim schließt, war sie total aufgelöst, und wir hatten Angst, dass sie wegen der Aufregung keine Luft mehr bekommt, sie braucht immer Sauerstoff", sagt Sieglinde Gärtner (58).
Gerade erst seit einer Woche wissen die alten Menschen im Haus Dorothea, dass die Asteria Senioren-Service GmbH Insolvenz beantragt hat. Wie Mitarbeiter berichten, habe die Heimleitung sie zwar bereits vor Wochen darüber informiert, doch sie hätten darüber Stillschweigen bewahren müssen. Viele der Mitarbeiter seien inzwischen krank gemeldet. Während von den 16 Schwerstpflegefällen neun bereits umgezogen sind und die Insolvenzverwalterin auch für die restlichen sieben laut Auskunft der Berliner Heimaufsicht eine Lösung gefunden hat, wissen Menschen im betreuten Wohnen wie Frau Gärtner noch nicht, wohin sie sollen.
Auf dem Tisch, zwischen Kaffeekanne und Tassen, liegt noch ein Schriftstück: Der Vertrag, den Waltraud Gärtner mit dem Seniorenheim schloss. Die Rentnerin ist enttäuscht, wenn sie die Zeilen auf dem Blatt Papier liest. Zum Beispiel das Vertragsziel: "Ziel des Vertrages ist es, dem Bewohner Unterkunft und Betreuung zu gewähren, was ihm ein Leben unter Wahrung seiner Menschenwürde und Sicherung seiner Selbstbestimmung ermöglicht." "Wo, wo bleibt die Selbstbestimmung", fragt Frau Gärtner - "wenn man nicht einmal die Sicherheit einer eigenen Wohnung hat?"
Besuch von der Heimaufsicht
Auch ihre Mitbewohnerin Waltraud Groschke (84) ist entsetzt. "Wem kann man das denn zumuten, dass man als alter Mensch einfach aus der Wohnung gerissen wird?", fragt Frau Groschke und erwartet darauf keine Antwort. Als sie von der schlechten Nachricht erfuhr, sagt sie, konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. "Wie viele andere auch, muss ich jetzt innerhalb von einem Jahr zwei Mal umziehen", sagt die 84-jährige blinde Frau. Auch ihre letzte private Wohnung musste sie notgedrungen verlassen.
Die Verunsicherung ist groß. Weil Frau Gärtner mit der Presse gesprochen hat, droht die Heimleitung nun sogar mit Klage. Während die Verantwortlichen von Informationsveranstaltungen sprechen, auf denen alles erklärt worden sei, wissen Mitarbeiter und Verwandte wie die Schwiegertochter von Frau Gärtner nicht viel über die Planungen.
Nach Auskunft der Heimleitung, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sollen nur die Schwerstpflegefälle bis kommenden Dienstag alle ausziehen. Für sie seien Plätze in anderen Einrichtungen gefunden worden. Die 17 betreuten Wohnungen - von denen 14 noch bewohnt seien - hätten Mietverträge "wie in einem normalen Mietshaus" und könnten bleiben. Serviceleistungen, die bislang das Heim geboten habe, würden ab Februar durch externe Dienstleister gewährleistet. "Dann ist keine richtige Betreuung mehr da, die alten Menschen werden im Haus umherirren und niemanden finden", kritisiert Sieglinde Gärtner.
Die Heimaufsicht des Landesamtes für Gesundheit und Soziales hat dem Heim am Freitagmittag unangemeldet einen Besuch abgestattet. Nach Auskunft der Pressesprecherin Silvia Kostner wurden die Flure, die Bäder, die Küche, die Vorratskammer, auch die Hygiene geprüft. Alles sei in Ordnung gewesen. Zum Bereich des betreuten Wohnens könne die Heimaufsicht aber nichts sagen, da sie dort nicht zuständig sei. Normalerweise müssten Umzüge, die vom Heim verschuldet würden, auch vom Heim gezahlt werden.
Umzugskosten einreichen
Im Fall der Insolvenz wie jetzt könnten die Betroffenen lediglich die Umzugskosten beim Insolvenzverwalter einreichen und hoffen, sie erstattet zu bekommen. "Wir helfen mit Ansprechpartnern und Informationen, direkte Hilfe können wir nicht leisten", so die Sprecherin des Landesamtes für Gesundheit und Soziales.
Waltraud Groschke sitzt in ihrem Apartment und steckt sich eine Zigarette an. Sie glaubt nicht an eine Lösung, will aber die Nerven behalten. "Ich habe mein Leben lang die Contenance bewahrt, das will ich auch in Zukunft." Dann hat sie Tränen in den Augen.