Unter den 16 Präsidenten der Architektenkammern aller Bundesländer ist nur eine einzige Frau - in Hessen. Und in Diskussionen mit sogenannten Star-Architekten werden nur wenige Frauen wie Zaha Hadid in einem Atemzug mit männlichen Kollegen genannt. Mehr noch als in anderen Berufen führen Architektinnen die Familienplanung als Karrierehindernis an. Denn die Arbeit in einem Architekturbüro ist gerade am Anfang oft ein Siebentagejob. Zudem ist die Mehrheit der Architektenbüros in männlicher Hand, es fehlen weibliche Vorbilder. Wir haben drei in Berlin arbeitende Architektinnen gefragt, wie sie sich in der Bauwelt durchsetzen.
Die Süßmuth-Geschichte
"Sie kennen die Geschichte?", Gesine Weinmiller lächelt und hält kurz inne. "Die Geschichte" liegt fast 20 Jahre zurück, könnte sich aber auch heute noch genau so ereignen. Gesine Weinmiller hatte den zweiten Preis beim internationalen Wettbewerb für den Reichstagsumbau gewonnen. Bei der Preisverleihung 1992 nahm die damalige Bundestagspräsidentin die siegreiche Planerin zur Seite. "Ich hätte gar nicht gedacht, dass eine Frau so harte Architektur machen kann", sagte Rita Süßmuth. Und meinte das anerkennend. Süßmuths Verwunderung konnte die damals 29 Jahre alte Architektin nicht nachvollziehen.
Noch immer kommt ihr diese Geschichte in den Sinn, wenn es um das Thema Frauen in der Architektur geht. Dabei hat Gesine Weinmiller mit ihrer geradlinigen Architektur Klischees der "weichgespülten Bauweise von Frauen" längst Lügen gestraft. Fast 20 Jahre schon hat die gebürtige Konstanzerin ihr eigenes Büro in Berlin - und viele Großprojekte realisiert: Beispielsweise das neue Bundesarbeitsgericht in Erfurt. In Berlin prägen Weinmiller-Bauten das Stadtbild am Hausvogteiplatz und am Hackeschen Markt. "Ich habe nicht geplant, selbstständig zu werden, ich hatte kein Karriereziel, das hat sich so ergeben", sagt die Planerin, die auch an der HafenCity Universität Hamburg als Professorin unterrichtet.
Bei Jurysitzungen, an denen sie oft teilnimmt, wird dies oft ignoriert. "Da sitzen 20 Männer mit riesigen Namensschildern vor der Nase, Professor soundso, und bei mir steht Frau Weinmiller. Beim ersten Mal denkt man, es ist ein Versehen, beim vierten Mal wird klar, das geht in die Köpfe nicht rein, dass eine Frau eine ordentliche Professur hat." Im Grunde aber sei es egal. "Nur, wenn der Titel bei allen anderen steht, dann bitte auch bei mir."
Dass Weinmiller den dreifachen Spagat zwischen dem eigenen Büro, der Lehrtätigkeit und ihrer Familie schafft, hat sie auch ihrem Erfolg zu verdanken. "Ich verdiene genug, dass ich mir eine Haushälterin leisten kann", sagt die Architektin. Mit ihrem Mann Ivan Reimann, ein ebenfalls erfolgreicher Architekt mit seinem Büro "Müller Reimann", hat Weinmiller drei Kinder. Ohne Hilfe, weiß sie, ginge das alles gar nicht. Was aber, wenn Familien sich das nicht leisten können? Weinmiller fordert "bessere Betreuungsmöglichkeiten in Deutschland". Zu früh Kinder zu bekommen, sei in Deutschland nach wie vor der Killer für jede Karriere, "weil man gerade am Berufsanfang extrem viel arbeiten muss".
Jungen Architektinnen rät Gesine Weinmiller, die selbst nach dem Studium im Büro von Hans Kollhoff gearbeitet hat, früh in gute Büros zu gehen. Ob man da nicht in der Galeere der ewigen Zuarbeiter untergehe? "Nein", sagt sie bestimmt und ergänzt: "Wer eine eigene Handschrift hat und wirklich gut ist, setzt sich durch. Egal ob Mann oder Frau."
Partner in Beruf und Familie
"Ich hatte noch nie ein Problem wegen meines Frauseins oder eine Benachteiligung empfunden", sagt auch Regine Leibinger. Die Architektin, die anders als Weinmiller nicht nur ihr Privatleben, sondern auch das Büro mit ihrem Mann Frank Barkow teilt, bekennt: "Ich bin kein Fan der Frauenquote, was zählt, ist gute Architektur." Doch trotz der eigenen positiven Erfahrungen kommt auch Leibinger nicht umhin festzustellen, dass viele Kolleginnen gerade dann, "wenn es richtig losgeht, aufhören". Den Hauptgrund sieht sie ebenfalls in der Familienplanung. Die sei in Deutschland mit Karriere nicht gut vereinbar. "Da ist die Politik gefordert. Ob es um die Betreuung kleiner Kinder oder auch um Schüler geht, die Versorgung reicht nicht aus", sagt die Architektin und fordert mehr Ganztagsschulen.
"Ich habe von Anfang an sehr viel gearbeitet. Meinen Erfolg verdanke ich aber auch der Partnerschaft mit meinem Mann", sagt Leibinger. Mit Frank Barkow realisiert sie derzeit das erste Großprojekt der neuen Europacity am Hauptbahnhof, den "Tour Total". Leibingers Arbeitspensum ist mit dem Erfolg nicht geringer geworden. So hat die 48-Jährige neben dem Engagement in ihrem Büro auch einen Lehrstuhl für Baukonstruktion und Entwerfen an der TU. Die dafür nötige Disziplin und auch das Durchsetzungsvermögen hat sie bereits im Elternhaus gelernt. Die gebürtige Stuttgarterin kommt aus einem weltbekannten Familienunternehmen, der Trumpf Maschinenbau GmbH. "Das Unternehmen hat bei uns zu Hause immer eine große Rolle gespielt, und das hat mich sicher auch geprägt", sagt Regine Leibinger.
Angehenden Architektinnen rät sie: "Bleibt nicht zu lange weg! Frauen sollten nach der Geburt ihrer Kinder versuchen, anfangs zumindest verkürzt zu arbeiten." Sie biete deshalb den eigenen Mitarbeiterinnen Halbtagsstellen an. "Solche Möglichkeiten müssten auch andere Büros viel stärker nutzen", sagt die Mutter von zwei Söhnen. Mit Jobsharing könnte Frau Leibinger ihr eigenes Pensum aber nicht schaffen, auch im Hause Barkow Leibinger wird der Alltag mit Hilfe bewältigt.
Architektinnen schätzt Regine Leibinger gegenüber ihren männlichen Kollegen "als sachorientierter und meistens nicht so eitel. Frauen sind eher um einen Ausgleich bemüht und kompromissbereiter". Dabei blieben dann aber auch die eigenen Ideen oft auf der Strecke, sagt sie. Nicht so bei dem Team Barkow Leibinger. "Architektur ist ein Prozess. Die besten Projekte, die wir machen, entstehen im Dialog."
Eine Frage des Selbstvertrauens
Ein Sonntag in Zürich, das Telefon klingelt, Regula Lüscher geht ran. "Ich wurde gefragt, wo mein Mann Patrick Gmür sei, es gehe um eine Assistenzstelle. Ich sagte kurz, er habe bereits eine, aber ich sei auch eine gute Architektin. So bin ich zu einer Stelle an der Universität gekommen." Seither sind mehr als 20 Jahre vergangen. Die Schweizerin ist ihren Weg gegangen. Als Architektin im eigenen Büro mit ihrem damaligen Ehemann, als Lehrbeauftragte an Hochschulen und als Stadtplanerin in Verwaltungen. Das Telefon klingelte oft, nun war Frau Lüscher gefragt.
So auch vor nicht ganz fünf Jahren, als ihr die damalige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) die Nachfolge von Hans Stimmann anbot. Seit April 2007 hat die gebürtige Baslerin als Berlins Senatsbaudirektorin in der Position einer Staatssekretärin den Hut auf, ihr Vertrag wurde gerade verlängert.
"Wir Frauen müssen uns mehr zutrauen und einfach auch mal etwas wagen", sagt die 50-Jährige, die jetzt auch zur Honorarprofessorin an der UdK ernannt wurde. Die Wahlberlinerin ergänzt: "Ich bin immer auf Risiko gegangen, wenn ich ein Angebot erhielt." So habe sie nach zehn Jahren im gemeinsamen Architekturbüro mit ihrem damaligen Mann die Seiten gewechselt: Sie ging in die Züricher Stadtverwaltung als Leiterin des Bereichs für Städtebau und Architektur. "Ich habe dort angefangen, ohne zu wissen, was mich da konkret erwartet", sagt Lüscher. Ihre Devise: "Ich mache das jetzt und wenn etwas unklar ist, muss ich eben fragen." Auch der Wechsel nach Berlin sei ein Wagnis gewesen. Aber letztlich sei alles eine Frage des Selbstbewusstseins. "Frauen neigen dazu, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen, das dürfen wir nicht", mahnt sie zu mehr Zutrauen. Gerade der Architektenberuf, der viel Kommunikation voraussetze, sei besonders geeignet für Frauen. "Sie sind oft die besseren Kommunikatoren, kompromissbereiter und nicht so eitel wie Männer", sagt Lüscher.
Wichtige Architekten, die sie geprägt haben, " waren die großen Meister wie Louis Kahn oder Corbusier". Alles Männer? "Ich hatte während meiner Ausbildung auch weibliche Leitfiguren. Ich glaube sogar, dass ich sie geradezu gesucht habe", betont Lüscher die Bedeutung von Vorbildern. Ihre waren die Schweizer Architektinnen Florence Ruchat und Katharina Steib. Erste Anstöße in Sachen Kreativität erhielt Lüscher in ihrem Elternhaus. "Mein Vater war Goldschmied und vermittelte mir eine Idee vom kreativen Entwerfen".
Vorbehalte ihr als Frau gegenüber habe sie kaum erlebt. Nur bei Investoren habe sie zuweilen den Eindruck, "dass ich meine Kompetenz ausspielen und deutlich machen muss, dass ich etwas vom Fach verstehe". Sie könne gut und lange zuhören, sagt Lüscher. "Aber ich weiß auch, was ich will."
"Ich hätte gar nicht gedacht, dass eine Frau so harte Architektur machen kann"
Rita Süßmuth, ehemalige Bundestagspräsidentin
"Ich bin kein Fan der Frauenquote. Was zählt, ist gute Architektur"
Regine Leibinger, Architektin