Interview

"Spitz auf Knopf - der NRW-Block war nur schwer zu knacken"

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Einer der Strippenzieher für die Pro-Berlin-Mehrheit im Bundestag war Peter Radunski. Den hatte der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) als Bundessenator nach Bonn geschickt. Als langjähriger Bundesgeschäftsführer der CDU kannte Radunski dort schließlich alle, die etwas mitzuentscheiden hatten.

Mit dem Senator a. D. sprach Jochim Stoltenberg.

Berliner Morgenpost: Wie war die Ausgangslage, als Sie nach Bonn kamen?

Peter Radunski: Ziemlich hoffnungslos. Die Bonn-Befürworter hatten eine vermutete Mehrheit von etwa 100 Stimmen. Sie drängten auf eine baldige Parlamentsentscheidung. Uns dagegen ging es um Zeitgewinn. Wir waren ins Hintertreffen geraten, weil es nach der Abgeordnetenhauswahl einen Regierungswechsel gab und die große Koalition erst im Januar die Arbeit aufnahm.

Berliner Morgenpost: Wie haben Sie die Aufholjagd gestartet?

Peter Radunski: Wir haben die Abgeordneten persönlich ins Gebet genommen. So viele wie möglich. Denn am Ende stand ja eine namentliche Abstimmung. Und die sollte ohne Fraktionszwang freigegeben werden. Es kam also auf jeden einzelnen Abgeordneten an. Er konnte frei entscheiden.

Berliner Morgenpost: Und wie haben Sie die bearbeitet?

Peter Radunski: Weil viele Abgeordnete bei ihrer Landesregierung oder auch in der Landesgruppe der Fraktion im Bundestag über das von ihnen erwartete Stimmverhalten vorab sondierten, bin ich erst einmal viel gereist. Zu den Ministerpräsidenten und den Chefs der Staatskanzleien, um dort gut Wetter für Berlin zu machen. Ähnliches habe ich mit den Landesgruppenchefs gemacht.

Berliner Morgenpost: Und die Abgeordneten?

Peter Radunski: Wir hatten in unserer Landesvertretung, einer alten Villa, eine kleine gemütliche Berliner Bierstube. In die habe ich wieder und wieder kleinere Abgeordnetengruppen eingeladen und bei Bier und Bouletten für Berlin geworben.

Berliner Morgenpost: Nur mit guten Worten, Bier und Bouletten?

Peter Radunski: Der damalige Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer hatte ein Modell anfertigen lassen. Es zeigte, wie Berlin als Regierungssitz aussehen würde: Herausgestellt wurden dabei von uns die großzügigeren Arbeitsmöglichkeiten für die Abgeordneten rund um den Reichstag.

Berliner Morgenpost: Wer waren die hartnäckigsten Gegner?

Peter Radunski: Die saßen im Süden und Westen, die ost- und die norddeutschen Abgeordneten waren mehrheitlich auf unserer Seite. Wir mussten also aus den großen Stimmblöcken vor allem der Bayern und der Nordrhein-Westfalen Abgeordnete für uns rausbrechen. In einem Vortrag in der Hanns-Seidel-Stiftung der CSU habe ich beispielsweise 20-mal aus Reden von Franz Josef Strauß mit positiven Berlin-Passagen zitiert. Der damalige Bundesinnenminister Fritz Zimmermann schloss die Veranstaltung mit der Bemerkung: Der Strauß würde sich im Grabe umdrehen, wenn Berlin nicht Hauptstadt wird.

Berliner Morgenpost: War es ein Erfolg?

Peter Radunski: Von den 48 CSU-Stimmen im Bundestag konnten wir acht für uns gewinnen. Nicht viel, aber jede Stimme zählte.

Berliner Morgenpost: Und der NRW-Stimmblock?

Peter Radunski: Der war noch schwerer zu knacken. Wolfgang Clement als damaliger Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei führte im Auftrag seines Ministerpräsidenten Johannes Rau die schärfste Klinge gegen uns. Und Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth sorgte dafür, dass der Abstimmungstermin nicht noch weiter zu unseren Gunsten hinausgeschoben wurde.

Berliner Morgenpost: Wie waren die Aussichten, als der Tag der Entscheidung begann?

Peter Radunski: Es stand Spitz auf Knopf. Wir hatten aufgeholt, ich rechnete mit einem Vorsprung von ein bis zwei Stimmen für uns.

Berliner Morgenpost: Welche Rolle hat die damalige PDS, die heutige Linkspartei, gespielt?

Peter Radunski: Eine Stunde vor der Abstimmung hat Gregor Gysi einen eigenen PDS-Antrag zurückgezogen und uns signalisiert, dass von seinen 18 Abgeordneten 16 für unseren Berlin-Antrag stimmen werden. Das bleibt eine große Leistung von ihm.

Berliner Morgenpost: Am Ende hat Berlin mit einer Mehrheit von 18 Stimmen gewonnen ...

Peter Radunski: Der Jubel war riesig. Mehrheitlich für uns haben CDU, FDP, Grüne und PDS gestimmt, SPD und CSU gegen uns. Dass Berlin der PDS den Sieg verdankt, ist allerdings eine Legende. Auch ohne sie hätten wir zwei Stimmen mehr gehabt.