Howoge-Untersuchungsausschuss

Junge-Reyer in Erklärungsnot

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Jens Anker

Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) gerät im Zusammenhang mit der Howoge-Affäre erneut unter Druck. Sie räumte am Freitag ein, dass ihre Verwaltung Akten aus dem Howoge-Komplex vernichtet hat.

Außerdem wirft die Opposition der Senatorin vor, die Unwahrheit gesagt zu haben. Junge-Reyer soll daher am kommenden Freitag erneut vor dem Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Howoge-Affäre aussagen. Die Senatorin bestreitet die Vorwürfe.

Die Ursache für die neuerliche Kritik stellt ein Brief dar, den Junge-Reyer im Jahr 2002 vom damaligen Geschäftsführer der Howoge, Eckart Baum, erhalten hat. Der Brief findet sich in den Unterlagen, die die Finanzverwaltung dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellt hat, nicht aber in den Akten der Stadtentwicklungsverwaltung. Darin berichtet Baum von freihändigen Vergaben des Unternehmens. Junge-Reyer war damals Staatssekretärin in der Bauverwaltung. Sie bestreitet die Existenz des Briefes nicht, weist jedoch den Vorwurf zurück, dass es sich bei den Vergaben um Aufträge über dem europaweit geltenden Schwellenwert handelt, bei denen Ausschreibungen vorgeschrieben sind. "Dabei ging es um übliches Geschäftsgebaren", sagte Junge-Reyers Sprecher Mathias Gille am Freitag.

"Brief kein Widerspruch"

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Christian Gaebler wies die Vorwürfe ebenfalls als "absurd" zurück. Nach Darstellung Gaeblers ist der Brief, der bisher unbekannt gewesen sei, kein Widerspruch zu den Aussagen Junge-Reyers. Zugleich habe Junge-Reyer den Brief zum Anlass genommen, die landeseigenen Wohnungsunternehmen schriftlich zur Einhaltung der Vorschriften aufzufordern.

Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer hatte im parlamentarischen Untersuchungsausschuss ausgesagt, dass sie erst 2010 von der Praxis des Unternehmens erfahren habe, Aufträge an Dienstleister ohne Ausschreibung zu vergeben. Damals war bekannt geworden, dass die Howoge in 18 Fällen gegen das Vergaberecht verstoßen hat. Einer der Begünstigten war der ehemalige SPD-Abgeordnete Ralf Hillenberg.

In dem jetzt aufgetauchten Brief vom 20. Juni 2002 informierte der damalige Howoge-Geschäftsführer Eckart Baum über die Vorteile der Auftragserteilung ohne Ausschreibung: "Die von uns praktizierte Form der freihändigen Vergabe hat in der Vergangenheit bewirkt, dass wir überdurchschnittlich gute Preise erzielen konnten, wovon letztlich unsere Mieter profitiert haben", heißt es in dem Schreiben an Senatorin Junge-Reyer. Da die Aufträge unterhalb der Schwellenwerte gelegen hätten, sei das Vorgehen zulässig, rechtfertigt Junge-Reyer ihr damaliges Verhalten.

Auch den Vorwurf, Akten vernichtet zu haben, wies Junge-Reyer am Freitag zurück. Die Aufbewahrungspflicht liege bei der Howoge, wo sämtliche Akten auch vorhanden seien. "Es handelte sich hierbei um Aufsichtsratsakten, die in einer Ausfertigung bei der Howoge sind", sagte Gille am Freitag. "Insofern ging es um Reduktion von doppelten Aktenbeständen. Es hat keine willentliche, rechtswidrige Aktenvernichtung gegeben."

Doch das lässt die Opposition nicht gelten. Sie sieht erheblichen Klärungsbedarf. "Jetzt kommt heraus, dass der Vorstand der Howoge bereits im Juni 2002 der Senatorin widersprochen und deutlich gemacht hat, an seiner eigenen Vergabepraxis festhalten zu wollen", sagte der Howoge-Experte der Grünen, Jochen Esser. Junge-Reyer habe aus diesem Wissen in den Folgejahren keinerlei praktische Konsequenzen gezogen und die Kontrolle des Howoge-Vorstands verstärkt. "So konnte es dazu kommen, dass der rote Filz sich weiter ausbreitete und mindestens 18 rechtswidrige Auftragsvergaben bei der Howoge erfolgten - nicht zuletzt an den SPD-Abgeordneten Hillenberg."

Ähnlich sieht es die CDU. "SPD-Bausenatorin Junge-Reyer hat bei ihrer Aussage vor dem parlamentarischen Howoge-Untersuchungsausschuss offenbar nicht die Wahrheit gesagt", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Partei, Florian Graf. Die CDU werde bei der anstehenden Befragung der Senatorin eine Vereidigung beantragen. "Sollte Senatorin Junge-Reyer den Untersuchungsausschuss sowie den Hauptausschuss und damit das Berliner Parlament belogen haben, ist sie als Senatorin nicht mehr tragbar."

Aufträge für 6,8 Millionen Euro

Der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der politischen Verantwortung für die Howoge-Affäre war eingesetzt worden, nachdem die Regierungsfraktionen SPD und Linkspartei die reguläre Befragung des ehemaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) im Parlament abgelehnt hatten. In einem Brief an die ehemaligen Geschäftsführer hatte Sarrazin bestätigt, dass der Senat von dem unrechtmäßigen Vorgehen der Howoge gewusst habe. Auch Hillenberg und die ehemaligen Geschäftsführer sagten im Ausschuss aus, dass sie davon ausgingen, der Senat habe davon gewusst.

Junge-Reyer bestritt dagegen stets, Kenntnis von der Vergabepraxis des städtischen Unternehmens gehabt zu haben. Insgesamt vergab das Unternehmen an Hillenberg Aufträge in Höhe von mehr als sechs Millionen Euro. Der Untersuchungsausschuss will noch vor dem Sommer seine Arbeit abschließen.