Serie: Kulinarischer Adventskalender, Teil 11

Jochen Kowalskis Anti-Gänsebraten

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Barbara Jänichen

Staunend steht Kammersänger Jochen Kowalski (55) im "Reich" des Sterne-Kochs Tim Raue, bewundert die Räume des Adlon-Restaurants "MA" an der Behrenstraße: "Ich war noch nie in so einer großen Küche", sagt er, und zu Raue gewandt: "Hören Sie Musik beim Kochen?" Als der 35-Jährige verneint, nickt Kowalski zustimmend: "Ich kann es auch nicht ausstehen, wenn einer auf meinen Proben herumfuchtelt. Da muss ich mich hundertprozentig auf meinen Gesang konzentrieren."

Genug des Staunens, nun wird gekocht. Zuerst bindet sich der Hobbykoch eine große dunkelblaue Schürze mit einem gelben Pferd als Applikation um. Das Tier stellt das Restaurant-Logo dar. ",Ma' heißt auf Chinesisch Pferd", erklärt der Küchenchef. Beide Männer stellen schnell fest, dass sie überzeugte Berliner sind: Raue ist Kreuzberger, Kowalski wohnt in Pankow. Der Opernstar, dessen Vater Fleischermeister in Wachow bei Nauen (Brandenburg) war, erinnert sich an frühere DDR-Zeiten: "Kalbsleber ging bei uns in der Fleischerei gar nicht erst über den Ladentisch. Die hat die Familie gegessen, oder sie wurde getauscht. Für Kalbsleber gab's Autoreifen."

Den Kartoffelbrei bereitet Kowalski nach einem alten Rezept seiner Tante zu. Etwas ungewöhnlich ist dabei die halbe Knolle Sellerie ("das Rezept stammt aus Schlesien"), die - bereits gekocht und in kleine Würfel geschnitten - mit den Kartoffeln vermengt und dem Kartoffelstampfer zu Püree verarbeitet wird. Ein Eigelb, frische Salbeiblätter, frischer Majoran und etwas gesalzene Butter runden den Geschmack ab.

"Etwas frischen Dill habe ich noch vergessen, den bringe ich mir sogar manchmal aus Moskau mit", erzählt der Countertenor, der berufsbedingt häufig in der russischen Hauptstadt ist und dort in der nächsten Woche wieder ein Konzert gibt.

Als es ans Schneiden der Apfel- und Zwiebelringe geht, hält sich der Sänger vorsichtshalber an den von Tim Raue ausgesuchten Braeburn-Apfel (gilt als hochwertiger Tafelapfel mit dem höchsten Vitamin-C-Gehalt). "Wenn ich Zwiebeln schneide, fange ich an zu heulen."

Dem Sterne-Koch scheint das indes nichts auszumachen; blitzschnell liegen die Zwiebelringe mit den Apfelscheiben und dem Rest der Selleriewürfel in einer großen Pfanne mit geklärter, heißer Butter. Hinzu kommen einige frische Majoran- und Salbeiblätter. Das Ganze wird mit Kalbsfond (Raue: "Stelle ich selber her") und Mineralwasser abgelöscht. Letzteres verblüfft den Opernsänger: "Das kannte ich bisher nicht."

Jeder Handgriff des Meisters sitzt, wie Hobbykoch Kowalski bewundernd feststellt. Die Leber (von jeder Seite je nach Größe ein oder zwei Minuten in geklärter Butter gebraten, auf keinen Fall paniert) wird mit Salz und schwarzem Madagaskar-Pfeffer abgeschmeckt. "Hmmm...", schnuppert der Sänger. "Ja, der Pfeffer ist besonders aromatisch, kostet pro Kilo 230 Euro", erzählt Tim Raue.

Nebenbei erfährt man, dass er zu Hause nicht kocht. "Meine Frau Marie-Anne hat mich höchstens einen Tag in der Woche für sich, deshalb gehen wir grundsätzlich essen. Wir ziehen die chinesische Küche vor." Kaviar und Austern lassen Tim Raue hingegen kalt, "dann doch lieber Berliner Leber."

Junggeselle Kowalski geht ebenfalls am liebsten auswärts essen, hat zum Kochen nur wenig Zeit und Muße. Zu seinen Lieblingsrestaurants zählen das "Fellas" an der Stargarder Straße in Prenzlauer Berg und das "Borchardt" an der Französischen Straße in Mitte.

Heiligabend verbringen die beiden so unterschiedlichen Männer - der eine Künstler am Herd, der andere auf der Bühne - erstaunlich ähnlich: "Meine Frau und ich feiern mit Freunden, an den Feiertagen bin ich im Restaurant", sagt Tim Raue. Jochen Kowalski lädt bis zu sechs Gäste in seine Pankower Dachgeschosswohnung ein, stellt sich selbst an den Herd: "Es gibt natürlich ,Kalbsleber Berliner Art'. Das geht schnell und ist mal etwas anderes als Gans oder Ente."

Den ersten Weihnachtsfeiertag verbringt der Sänger mit seinen beiden älteren Brüdern Gerhard (Journalist) und Reinhard (Fleischermeister, übernahm nach dem Tod des Vaters die Fleischerei) und deren Familien im Heimatort Wachow. Kowalski lacht: "Da ist die Versorgung gesichert. Meine Schwägerin kocht, der Esstisch ist kurz vor dem Zusammenbrechen, und ich wiege drei Pfund mehr".

Seit die Eltern tot sind, halten die Brüder noch mehr zusammen. "Wir treffen uns regelmäßig alle zwei bis drei Wochen. Die Familie, das ist für mich ganz wichtig als Ausgleich zu meinem Künstlerberuf", betont Jochen Kowalski, der als Junge beim Weihnachtskrippenspiel stets die Rolle des "Joseph" sang und spielte.

Im kommenden Jahr warten auf den Künstler mehrere Vorhaben: Vom 3. Januar an probt er am Theater an der Wien die Oper "Die Besessenen". Premiere ist am 19. Februar. Im Juni tritt er in Tokio in einer Neuinszenierung der "Fledermaus" auf , außerdem ist eine neue CD "Jazz meets Classic" geplant. Mit dem Programm wird Jochen Kowalski dann auch auf Tournee gehen.

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