Haushalt

Die richtigen Probleme kommen noch

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Joachim Fahrun

Die Gesichter blass, die Augen rot gerändert, die Stimmung angespannt. Im Raum 113 des Abgeordnetenhauses kann man sehen, dass Politik harte Arbeit ist. Seit Wochen haben die Finanzpolitiker um den Haushalt 2010/2011 gerungen.

Freitagnacht stimmten Sozialdemokraten und Linke dem Schlussantrag zu, der letzte Änderungen im Zahlenwerk des Senats festlegt. Es ist ein Etat zwischen Großzügigkeit und Knauserei, mit dem die Volksvertreter die Weichen für die Politik in der Hauptstadt für die kommenden zwei Jahre stellen.

Aber alle wissen: Es war der letzte Landesetat, der noch verhältnismäßig konfliktfrei aufzustellen war. Im nächsten Haushalt nach 2011 muss die Berliner Politik dann wegen der Wirtschaftskrise, der Steuerausfälle und der sinkenden Zuschüsse aus dem Solidarpakt noch härtere Einsparentscheidungen fällen als in den Vorjahren.

Es fehlen: Hunderte Millionen Euro

Jeder weiß, dass dann Hunderte Millionen Euro fehlen, um die Vorgabe der Schuldenbremse einzuhalten - nämlich 2019 ohne neue Kredite auszukommen. "Ich habe Sparlisten in meiner Schublade", orakelt Finanzsenator Ulrich Nußbaum in kleinem Kreis.

Derzeit sei es jedoch politisch unklug, darüber zu sprechen. Die Wirtschaftskrise und die Konjunkturpakete haben dafür gesorgt, dass Senat und Abgeordnetenhaus diesmal ohne wirkliche Gegenwehr eine rekordverdächtige Neuverschuldung von 5,6 Milliarden Euro in zwei Jahren hinnehmen. Dabei ist der Schuldenberg schon 2009 wieder auf fast 61 Milliarden Euro angewachsen, nachdem die Stadt zuletzt sogar Verbindlichkeiten tilgen konnte.

Die Parlamentarier beschränkten sich auf kleinere Eingriffe, die am Gesamtvolumen der Ausgaben von 22 Milliarden Euro wenig ändern. "In vielen Titeln war schon noch Luft drin", sagt ein rot-roter Haushälter und bestätigt damit den Eindruck der Opposition. Die Senatoren haben den Amtsantritt des neuen parteilosen Finanzsenators Nußbaum genutzt, um sich ein paar Reserven in ihre Etatposten zu schieben.

Nußbaum selbst ließ etwas Luft ab, als er die Kollegen nötigte, zur Finanzierung von den auf Druck des Volksbegehrens zugesagten 1800 zusätzlichen Kita-Erzieherinnen 84 Millionen Euro aus ihren Einzelplänen beizusteuern. Dass die Senatoren oft nur Investitionsprojekte nach hinten geschoben haben, stört den früheren Unternehmer erst einmal nicht. Er müsse sich um den aktuellen Haushalt kümmern, sagt er. Natürlich weiß Nußbaum aber, dass er damit weitere Altlasten erzeugt. Denn die Kita-Kosten bleiben.

Die Parlamentarier haben auch ein wenig auf die Bremse getreten. "Wir haben es sogar geschafft, die Nettoneuverschuldung zu reduzieren", sagt der finanzpolitische Sprecher der SPD, Stefan Zackenfels. Für 2010 haben die Koalitionäre die Kreditsumme um 1,3 Millionen nach unten gefahren, für das Folgejahr um 800 000 Euro. "Die haben nichts für irgendwelche Wohlfühlprogramme draufgesattelt", heißt es dazu lobend aus dem Hause des Finanzsenators.

Doch alle wissen, dass der Etat 2010/2011 nur ein Vorgeplänkel war für die großen Kämpfe danach. Denn die finanzpolitische Perspektive ist düster. Finanzsenator Nußbaum verbreitet zwar Optimismus. Nach dem Teilerfolg der 84-Millionen-Einsparrunde für die Kitas halte er es auch für möglich, 250 Millionen Euro einzusammeln. Das hält der Senator für notwendig, um 2019 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Denn dann verbietet das Grundgesetz den Bundesländern neue Schulden.

Ein hoher Berg an Altlasten

Solche Kürzungen würden bedeuten, dass die Ausgaben nicht wie noch von Nußbaums Vorgänger Thilo Sarrazin (SPD) geplant um 1,3 Prozent jährlich steigen dürfen, sondern nur noch um 0,3 Prozent.

Aber selbst wenn das gelingen sollte, würden die Schulden 2012 und 2013 immer noch um mehr als drei Milliarden Euro steigen. Der Berg der Altlasten erreichte fast 70 Milliarden Euro. Das schränkt Spielräume weiter ein: Schon jetzt überweist Berlin fast 2,5 Milliarden Euro pro Jahr an die Banken für den Schuldendienst. Das ist fast so viel, wie Berlin für Schulen ausgibt. "Berlin ist wieder in der Schuldenfalle", urteilt der Grünen-Haushaltspolitiker Jochen Esser.

Und das Szenario ist noch optimistisch. Inzwischen sind allerlei Unbekannte hinzugekommen, die die Rechnung zur Makulatur machen könnten. Rot-Rot beklagt lautstark, dass die Folgen von Steuersenkungen auf Bundesebene die Kasse der Hauptstadt empfindlich treffen würden. Schon das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz", mit dem die schwarz-gelbe Koalition unter anderem Erbschaftsteuer und den Mehrwertsteuersatz für Hotels senken sowie Kindergeld und -Freibeträge erhöhen will, würde Berlin nach Schätzungen des Senats jedes Jahr Einnahmen von 200 Millionen Euro kosten.

Kommen noch die von der Bundes-FDP und CSU geforderten Steuersenkungen hinzu, könnte der Einnahmeausfall für Berlin auf 700 Millionen Euro pro Jahr wachsen. Zudem drohen der Stadt höhere Ausgaben für die Wohnkosten einer in der Krise steigenden Zahl von Hartz-IV-Empfängern und mehr Empfänger von Grundsicherung.