Zusammen mit dem Blogger Markus Beckedahl hat er im Jahr 2007 die erste re:publica veranstaltet, eine dreitägige Konferenz über digitale Medien und wie sie unsere Gesellschaft verändern. Damals kamen rund 700 Besucher. Wenn am Mittwoch die fünfte re:publica beginnt, werden vier- bis fünfmal so viele Gäste erwartet. Mit Johnny Haeusler sprach Sören Kittel.
Berliner Morgenpost: Herr Haeusler, Sie sind Blogger, ich Journalist, wir dürften uns demnach nicht verstehen?
Johnny Haeusler: Ja, dieser Gegensatz ist seltsam, aber ich glaube, er ist konstruiert. Neulich rief mich ein Journalist an und sagte: Du musst mir mal helfen, ich muss einen Text schreiben, der die Blogs nicht so gut aussehen lässt. Ich fragte mich: Was soll das? Warum dieser Streit? Diese Konkurrenz sehe ich nicht, ganz im Gegenteil. Außerdem kenne ich viele gute Journalisten und auch einige schlechte Blogger.
Berliner Morgenpost: Trotzdem kritisieren Journalisten häufig die re:publica dafür, dass sie so selbstreferenziell sei. Wie sehen Sie das?
Johnny Haeusler: In anderen Ländern ist der Umgang zwischen Bloggern und etablierten Medien entspannter. Englische Zeitungen gehen viel offener mit dem Internet um. Im "Guardian" werden regelmäßig Blogs zitiert, auch zu Themen wie Politik oder Umwelt. Ähnlich läuft es in den USA oder Frankreich. Wir werden ernster genommen.
Berliner Morgenpost: Aber beim jährlichen Treffen der Online-Experten in Texas wurde vor einigen Wochen gesagt, dass die Innovationen jetzt aus Europa zu erwarten seien.
Johnny Haeusler: Das hat vielleicht damit zu tun, dass wir hier technisch besser aufgestellt sind, was mobile Netzwerke angeht. Europa ist auch Thema auf der re:publica, doch uns ist der Blick auf die ganze Welt wichtig.
Berliner Morgenpost: Auch auf die Auswirkungen, die Online-Netzwerke auf die politische Situation in Ägypten, Libyen und Tunesien hatten?
Johnny Haeusler: Das ist eines der Kernthemen in diesem Jahr. Wir haben Blogger aus diesen Ländern eingeladen und lassen sie erzählen. Das zeigt, dass wir nicht nur über abseitige Themen sprechen, sondern solche, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Doch bei allen Möglichkeiten von sozialen Netzwerken bleibt: Sind sie wirklich ein Werkzeug für Umwälzungen, oder machen sie die Nutzer am Ende nur einfacher kontrollierbar? Schließlich haben wir nicht nur in Libyen beobachtet, wie schnell eine Regierung Internetzugänge und damit Twitter und Facebook lahmlegen kann.
Berliner Morgenpost: Ist das nicht ein Ergebnis, das man vorher kennt? Warum noch eine Konferenz?
Johnny Haeusler: Grundsätzlich halte ich es für wichtig, dass Menschen zusammenkommen und miteinander reden. Nicht nur in solch großen Revolutionsfragen, sondern auch in den ganz kleinen lokalen Themen merkt man, dass man sich online leichter missversteht und aneinandergerät. Auf Konferenzen treffe ich durchaus auch Leute, mit denen ich inhaltlich nicht übereinstimme, ich hoffe aber, dass trotzdem jeder von uns etwas Positives mitnimmt.
Berliner Morgenpost: Gibt es denn ein Thema, das aus der re:publica vom vergangenen Jahr auch gesellschaftlich interessant geworden ist?
Johnny Haeusler: Vor einem Jahr hat Daniel Domscheit-Berg über die Website Wikileaks gesprochen. Danach ist das Thema explodiert. Überall gab es Artikel darüber. Und in diesem Jahr hält er wieder einen Vortrag.
Berliner Morgenpost: Andere berühmte Redner werden Mario Sixtus, Jakob Augstein, Nilz Bokelberg, Sascha Lobo und Konstantin Neven DuMont sein. Das klingt nach einer Herrenveranstaltung ...
Johnny Haeusler: Konstantin Neven DuMont hat gerade abgesagt. Ich hatte schon vorher auf Facebook gelesen, dass er sich drei Rippen gebrochen hat. Aber zu den Frauen: In diesem Jahr wird ein Drittel aller Beiträge von Frauen gestaltet. Und es sind viele sehr gute Beiträge dabei. Bei den Besucherzahlen war es schon immer gemischt, aber in diesem Jahr auch bei den Anmeldungen für Vorträge.
Berliner Morgenpost: Im vergangenen Jahr konnte man unter den Besuchern auch viele Schlipsträger sehen. Ist die re:publica jetzt eine etabliertes Treffen auch für Unternehmer?
Johnny Haeusler: Ich bin dagegen, dass die re:publica als ein Zirkel gesehen wird, in den man nicht reinkommt. Das Netz besteht wie die Gesellschaft aus ganz unterschiedlichen Denk- und Lebensarten. Die muss die Konferenz repräsentieren. Sie muss offen sein, nur dann kann sie sinnvoll sein. Zum Beispiel mag ich es sehr, wenn auch ältere, erfahrene Experten Vorträge halten, weil sie noch vergleichen können, wie das Leben ohne Internet war. Mein zwölfjähriger Sohn wiederum kennt keine Welt ohne Internet. Diese Generationsunterschiede finde ich enorm spannend.
Berliner Morgenpost: Warum gibt es kein Motto?
Johnny Haeusler: Es gibt keins, weil wir uns so schwer damit getan haben, eins zu finden. Es gibt so viele verschiedene Themen, dass wir sie nicht unter einen Hut packen konnten. In den Jahren 2009 und 2010 hatten wir mit den Wortspielen "Shift Happens" und "NoWhere" gearbeitet, aber so etwas wollten wir nicht mehr.
Berliner Morgenpost: Welchen politischen Anstoß will die Konferenz dieses Mal geben?
Johnny Haeusler: Da gibt es viele Dinge, aber mein Kollege Markus Beckedahl gründet am Mittwoch zum Beispiel den Verein "Digitale Gesellschaft", bei dem es, ganz allgemein gesagt, um digitale Bürgerrechte geht, im Großen wie im Kleinen. Warum zum Beispiel kann ich ein bestimmtes Musikvideo in Deutschland nicht sehen? YouTube hat eines der größten Poparchive. In allen anderen Ländern kann ich sie anschauen, nur hier nicht. Das ist Wahnsinn!