Bis sie die Annonce des Stadtmuseums Berlin las, in der Zeugnisse des alten Berlins gesucht wurden. Jetzt wird das Überbleibsel des einst so stattlichen Privathauses an der Friedrichsgracht 58 in der Ausstellung "Berlins vergessene Mitte - Stadtkern 1840-2010" einen Ehrenplatz erhalten. Schließlich ist er Zeugnis des mittelalterlichen Kerns von Berlin, der durch Modernisierung, Kriegszerstörung und sozialistische Hauptstadtplanung nur noch in wenigen Überresten zu erleben ist.
Fast 100 Jahre war das hochherrschaftliche Haus im Besitz ihrer Familie, bevor es am 21. Juni 1944 nach fünf Fliegerangriffen vernichtet wurde. Berlins letzte Zugbrücke, die Jungfernbrücke in der Nähe des ehemaligen Elternhauses von Leonie Francke, lässt erahnen, wie hübsch das Viertel einst ausgesehen haben muss - mit dem Spreearm fast holländisch anmutend. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts gehörte das Haus dem königlich preußischen Staatsminister Heinrich Rüdiger von Ilgen (1654-1728), der es als Privatpalais nutzte. Heute stehen dort in der Nähe des Auswärtigen Amtes Plattenbauten.
Um Berlinern und Neuberlinern zu zeigen, wie es in der Keimzelle Berlins einst ausgesehen hat, haben die Museumsmitarbeiter Fotografien, Panoramen und historische Luftaufnahmen zusammengetragen. Schon auf einem Plan aus dem Jahre 1688, dem ältesten, der in der Ausstellung zu sehen ist, ist das Elternhaus von Leonie Francke zu sehen. Bekannt war es unter dem Namen Possart-Haus, benannt nach dem Urgroßvater von Leonie Francke, die zusammen mit ihrem Mann nach dem Krieg nach Hannoversch Münden zog und noch heute dort wohnt. Die gebürtige Berlinerin weiß noch genau, wie es damals war, als der Angriff auf Berlin ihr Elternhaus in Schutt und Asche legte: "Meine Eltern waren verreist, mein Mann und ich erfuhren über Drahtfunk vom Angriff. Wir eilten zur nahen Reichsbank, wo es einen fantastischen Keller gab."
Später sei ihre Mutter amtlich aufgefordert worden, das Grundstück zu entrümpeln. Dabei habe sie den Türknauf und Teile eines schmiedeeisernen Treppengeländers gerettet. Ihre Mutter habe das Grundstück "freiwillig abgeben müssen", als Entschädigung erhielt sie 50 Ostpfennig für einen Quadratmeter Land.
Prunkvolles Interieur
Gekauft hatte das Haus ursprünglich ihr Urgroßvater (mütterlicherseits), Eugen Possart - ein damals bekannter Kunstsammler und Rittergutbesitzer. "Er war befreundet mit dem Museumsfachmann Wilhelm von Bode und dem Schöneberger Bildhauer und Maler Reinhold Begas, der unser Treppenhaus an der Friedrichsgracht 58 mit z wei Reliefs und eine Kindergruppe aus Marmor geschmückt hat", weiß Leonie Francke. Sie erinnert sich auch noch daran, dass es ein rotes, gelbes, blaues und braunes Zimmer gab, benannt nach der Farbe der Seidentapeten. Überhaupt seien in der Wohnung alle dekorativen Künste zu finden gewesen, die man heute nur noch auszugsweise in Schlössern und Museen antrifft: Auf Leinwand gespannte Wandgemälde, kostbares Porzellan, Schweizer Glasfenster und große Rokokokandelaber seien nur Beispiele. "So war es von meinen Eltern übernommen und erhalten, wir wohnten darin, feierten herrliche Feste, bis es zerstört wurde", erinnert sich Leonie Francke.