Bildung

Die neue Wut der Eltern

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Florentine Anders

An der Thalia-Grundschule in Friedrichshain herrscht derzeit große Aufregung. Die Eltern der Sechstklässler gehen davon aus, dass sie bei der Oberschulwahl benachteiligt sein werden. Gesamtelternvertreterin Svenja Pelzel sagte: "Nach unseren Recherchen werden die Schüler der Thalia- Grundschule im Vergleich zu anderen Kindern unseres Bezirkes extrem streng benotet."

Da beliebte Schulen sich ihre Schüler von nun an aufgrund der Noten auswählen können, sei das ungerecht. "Viele Eltern bereiten deshalb Klagen vor", sagte Pelzel. Die Eltern fordern die Bildungsverwaltung auf, die Kriterien für die Grundschulnoten zu vereinheitlichen.

Als besonders klagefreudig bezeichnet die Pankower Schulstadträtin Lioba Zürn-Kasztanzowicz (SPD) die Eltern in ihrem Bezirk. Deshalb gehe sie fest davon aus, dass die Zahl der Klagen gegen die Ablehnung an der Wunschschule vor dem Verwaltungsgericht in diesem Jahr deutlich zunehmen wird. Das Aufnahmeverfahren sei neu und damit noch nicht gerichtsfest. Während man sich früher bei der Platzvergabe auf Urteile der Gerichte berufen konnte, gebe es in diesem Jahr solche Orientierungshilfen nicht.

Die Stadträtin kann es den Eltern nicht verübeln, dass sie die beste Schule für ihr Kind wünschen. Und so werde es auch in diesem Jahr wieder Gymnasien geben, an denen 200 Bewerber auf 90 Plätze kommen, sagt sie. Neu allerdings wird sein, dass die Bewerber aus allen Bezirken kommen, denn Wohnortnähe spielt bei der Platzvergabe keine Rolle mehr. "Im Umkehrschluss bedeutet das, dass wir möglicherweise Schüler, die in unserem Bezirk keinen Platz an einer Wunschschule bekommen, auf umliegende Bezirke verweisen müssen", sagt Lioba Zürn-Kasztanzowicz. Die geringe Vergleichbarkeit der Grundschulnoten spielt für die Schulstadträtin dabei allerdings nicht die entscheidende Rolle. "Das war auch bisher so", sagt sie.

Das sieht ihre Amtskollegin von der CDU in Reinickendorf ganz anders. "Durch die überstürzte Einführung des neuen Verfahrens, sind die Gymnasien und Sekundarschulen gezwungen, sich vorrangig an den Noten zu orientieren, obwohl es eigentlich auch die Möglichkeit geben sollte, profilbezogene Tests durchzuführen", sagt Schulstadträtin Katrin Schultze-Berndt. Die Note Zwei in Wedding sei aber in der Regel eine Drei in Frohnau. Es sei ganz normal, dass sich die Lehrer bei der Bewertung nach dem Lernumfeld richten. Für Kinder nichtdeutscher Herkunft könne es schon eine große Leistung sein, den richtigen Satzbau einzuhalten. Zusätzliche Tests an den weiterführenden Schulen würden es ermöglichen, die Fähigkeiten der Schüler besser einschätzen zu können. Zudem schlägt Schultze-Berndt vor, statt der Losquote eine Regionalquote einzuführen.

Die Senatsbildungsverwaltung hatte den Schulen empfohlen, sich zunächst auf die Noten bei der Aufnahme zu konzentrieren, alle anderen Kriterien müssten erst auf ihre Gerichtsfestigkeit geprüft werden. Drei Viertel der weiterführenden Schulen haben sich an diese Empfehlung gehalten. Paul Schuknecht, Vorsitzender der Vereinigung der Berliner Schulleiter, geht davon aus, dass auch künftig vor allem die Noten über die Aufnahme entscheiden werden. "Noten sind nicht immer gerecht, aber das System, dass von allen akzeptiert wird", sagte Schuknecht.

Keine Nachteile beim Turbo-Abitur

Auch beim doppelten Abiturjahrgang gab es Streit um die Noten. Wegen der Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur hatten Eltern befürchtet, dass die Schüler des 12 Jahre dauernden Bildungsganges gegenüber den Schülern, die nach 13 Jahren Abitur machen, benachteiligt sind. Bei schlechteren Noten hätten sie dann schlechtere Chancen bei der Bewerbung um die umkämpften Studienplätze. Diese Befürchtungen haben sich nach Angaben der Senatsbildungsverwaltung nicht bestätigt. Das hat eine Auswertung der bereits seit dem 5. Januar vorliegenden Halbjahreszeugnisse ergeben. Demnach gibt es kaum Unterschiede bei den Leistungen zwischen den beiden Jahrgängen. Lediglich im Leistungsfach Spanisch gibt es einen deutlichen Punktunterschied von 1,29 zu Gunsten der Schüler, die nach 13 Jahren das Abitur ablegen. In Deutsch etwa sind die älteren Zwölftklässler um 0,03 Punkte besser als ihre jüngeren Mitschüler. In Chemie-Leistungskurs dagegen schneiden die Schüler im verkürzten Abitur um 0,1 Punkt besser ab. "Die minimalen Differenzen, die ohnehin zwischen den Jahrgängen der gymnasialen Oberstufe auftreten, zeigen, dass sich Schulen und Schüler gut auf den doppelten Abiturjahrgang vorbereitet haben", sagte Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD). Dahinter stecke vor allem das große Engagement der Lehrer und Schüler. Zöllner kündigte an, die Noten weiter auswerten zu lassen.

Der doppelte Abiturjahrgang wird die Hochschulreife im Jahr 2012 erlangen. Die Verkürzung des Abiturs erfolgte 2004. Die betroffenen Schüler hatten bereits in der Grundschule und in der Sekundarstufe I zusätzliche Stunden nach veränderten Lehrplänen.