Helmut Hochschild ist seit wenigen Tagen kommissarischer Leiter der Neuköllner Rütli-Hauptschule. Gestern ging der Rektor auf Zeit das erste Mal vor die Presse. Um das Gewaltproblem zu lösen, setzt der "Neue" auf Konsequenz und Kooperation.
Man sah ihm an, daß er sich etwas unbehaglich fühlte. Mehr als ein Dutzend Mikrofone und Kameras waren auf Helmut Hochschild gerichtet, als der Pädagoge gestern zum ersten Mal vor die Presse trat. Der kleine Raum in der Senatsbildungsverwaltung an der Beuthstraße reichte nicht aus, um allen Journalisten Platz zu bieten. Ein Medienaufgebot, das einem Fernsehstar zur Ehre gereicht hätte. Und irgendwie ist Helmut Hochschild auch zum Star geworden, sozusagen über Nacht. "Dabei", sagt er mit einer Mischung aus Bescheidenheit und Ironie, "bin ich nur der Schulleiter".
Aber was für einer. Der durchtrainierte 49jährige, der mit seiner schlaksigen Art auch als Jugendsportleiter durchgehen würde, leitet seit fünf Tagen die Rütli-Hauptschule. Jene Schule in Neukölln, deren Lehrer in einem Brandbrief um Hilfe gerufen hatte, weil sie mit der Gewalt ihrer Schüler nicht mehr fertig werden. Bis zu den Sommerferien ist der Leiter der Reinickendorfer Paul-Löbe-Hauptschule an die Brennpunktschule abgeordnet, um dort für Ruhe zu sorgen.
Es sei richtig gewesen, an die Öffentlichkeit zu gehen, stärkte der neue Chef seinen Lehrern demonstrativ den Rücken. "Auch wenn nicht klar gewesen ist, welchen Wirbel das verursacht." Mit dem Echo, das der Alarmschrei in vielen Medien gefunden hat, ist Hochschild alles andere als einverstanden. "Schlagworte wie Haß-Schule sind absolut unzutreffend", stellte er klar. Es gebe Probleme, "aber bitte spitzen sie die Sache nicht so zu, daß es keine Perspektive mehr gibt", appellierte der Neue an die Journalisten. "Die Situation ist nicht ausweglos." Das Kollegium habe um Hilfe gebeten, weil es sich angesichts der wachsenden Probleme nicht genügend unterstützt gefühlt habe. "Als ich mir am Donnerstag das erste Mal die Schule angesehen habe, war ich auf Chaos vorbereitet", sagte Hochschild. Aber er habe Lehrer und Schüler vorgefunden, "die die Probleme klar benannt haben und ihre Arbeit an dem Standort fortsetzen wollen. Zur Auflösung der Schule gibt es ein klares Nein." Es gebe auch kein depressives Kollegium, versicherte Hochschild. Allerdings habe er erlebt, "daß Kollegen von Einzelfällen überfordert sind". Das Image des Besserwissers will der Neue gar nicht erst aufkommen lassen. Er sehe sich "nicht als Feuerwehrmann, sondern als Lehrer" betont er. "Ich will keine Räder neu erfinden." Nur Kommunikationsprozesse in Gang bringen. Und noch einiges mehr. Die Schule brauche deutlich mehr Personal, forderte Hochschild.
Viele Förderprojekte hätten nicht umgesetzt werden können, weil Lehrer für Vertretungsunterricht eingesetzt werden mußten. Er hoffe auch auf differenziertere Auswahlverfahren für Lehrer. Heute stehe bei der Einstellung vor allem die fachliche Qualifikation im Vordergrund: "Für Lehrer an Hauptschulen sind aber soziale Qualifikationen genauso wichtig wie fachliche Kompetenzen."
Auch das Leitungsproblem der Schule müsse gelöst werden. Wie die bisherige kommissarische Schulleiterin Petra Eggebrecht berichtete, ist die Konrektorenstelle seit zehn Jahren vakant: "Die Stelle konnte nicht besetzt werden, weil sich niemand darauf beworben hat." Auch für eine Lehrkraft, die in Pension gegangen sei und einen dauerkranken Kollegen habe es keinen Ersatz gegeben. Dazu kämen weitere Problemfelder wie Armut und Perspektivlosigkeit. "Wir Lehrer können das allein nicht mehr lösen."
Hilfe von außen hält auch Hochschild für notwendig. "Wir brauchen Mitarbeiter von Jugend- und Gesundheitsämtern direkt an den Schulen." Die Eltern der Rütli-Schule hat er zu einem Gespräch eingeladen. Hochschild denkt zudem über Elterntrainings nach, wie sie heute schon die Nikolaus-August-Otto-Hauptschule in Lichterfelde anbietet. Generell müsse die Schule den Jugendlichen "mit klaren Regeln Grenzen setzen".
Eine Forderung, die auch bei Schülern ankommt. Sie müßten "wieder Respekt vor Lehrern lernen", räumte Schülersprecherin Katrin El-Mahmoud ein und ließ keinen Zweifel daran, daß die Jugendlichen vom Medienrummel genervt sind. "Ich will nicht mehr, daß über uns geschrieben wird, wir seien eine Gewaltschule. Gewaltvorfälle gibt es überall." Einigen Medienvertretern warf sie vor, Schüler mit Geld zu Showeinlagen animiert zu haben. "Bitte lassen Sie uns in Ruhe arbeiten", appellierte auch Hochschild an die Journalisten. Ebenso wie Siegfried Arnz, Hauptschulexperte der Bildungsverwaltung, dämpfte er übereilte Erfolgshoffungen: "Es gibt keine schnellen Patentrezepte."