Das wollen auch die übrigen Ladenbesitzer. "Durch das strikte Verkaufsverbot sind schon jetzt etwa die Hälfte der 80 Arbeitsplätze weggefallen", sagte Bernd Steinauer von der Werbegemeinschaft Hauptbahnhof. Seit Dienstagabend gibt es für die Kaufleute nun wieder Hoffnung. Die SPD-Fraktion hatte einstimmig eine Sonntagsöffnung beschlossen. Doch Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) ist strikt gegen eine "Lex Hauptbahnhof" und warnt vor einer Aushöhlung des Sonntagsverkaufsverbots. Eine schnelle Lösung zeichnet sich nicht ab.
Auch in vielen anderen Bereichen führt der Streit in der Koalition eineinhalb Jahre vor der nächsten Abgeordnetenhauswahl zum Stillstand in der Politik. Und man ist voneinander genervt. Da wirft man in der SPD dem Koalitionspartner "Bockbeinigkeit" vor. Gleichzeitig schimpft die Linke über die "Nervosität" der SPD. Schon seit einiger Zeit hat Rot-Rot keine Mehrheit in Umfragen. Nun wollen beide Parteien Profil zeigen.
Zuletzt wurde das inhaltliche Auseinanderdriften am Dienstagabend deutlich. Die SPD-Fraktion rang sich zu einem Weiterbau der Autobahn 100 durch. Mit dem Koalitionspartner kommt man nun in dieser Frage nicht mehr zusammen. Die Linke lehnt die Verlängerung nach Treptow durch ihr Kern-Wählergebiet ab. Ihre Verkehrsexpertin Jutta Matuschek nannte gestern den SPD-Beschluss zur A 100 "halbherzig und inkonsequent". Die Oppositionsparteien CDU und FDP warnen zusammen mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) vor einem Arbeitsplatzabbau, sollte Berlin auf Hunderte Millionen Euro des Bundes für den Weiterbau verzichten. Doch die Zeichen für die A 100 stehen auf Stopp.
Auch bei einem anderen Thema mahnt IHK-Chef Eric Schweitzer vergeblich zur Eile. "Der Krankenhausstandort Berlin steht im internationalen Wettbewerb. Wir brauchen eine Entscheidung", sagte Schweitzer kürzlich. Die IHK hat gerade ein Holding-Konzept für den Krankenhauskonzerne Vivantes und die Charité erarbeitet, die 1,6 Milliarden Euro für Investitionen brauchen. Doch in der Regierung sind Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos), Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD) und Gesundheitssenatorin Lompscher (Linke) zerstritten. Zu einer grundlegenden Reform wird es wohl vor der Wahl im Herbst 2011 nicht kommen.
Die Auseinandersetzung geht aber auch um Personen. Im Visier der Linkspartei ist dabei vor allem Finanzsenator Nußbaum. Er sei eine "loose canon", eine tickende Zeitbombe, heißt es in Partei und Fraktion. Nußbaum, so der Vorwurf, rufe zwar viele Themen auf, sage dann aber, dass diese Punkte nicht durchsetzbar seien. Das setze die Koalition insgesamt in ein äußerst schlechtes Licht, heißt es bei den Linken. Die SPD wiederum ist genervt von Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke), der mit Vorschlägen zur Rekommunalisierung ehemals landeseigener Konzerne Pluspunkte sammeln will. Über Umweltsenatorin Lompscher und ihre Vorschläge zu einem Klimaschutzgesetz haben sich schon viele Sozialdemokraten geärgert. Mehrmals kursierten Entwürfe ihrer Verwaltung, die deutliche Mietsteigerungen und Belastungen der Eigentümer vorsahen. Und auch die Sozialsenatorin, Carola Bluhm, gerät zunehmend unter Beschuss. Die SPD ist unzufrieden, wie die Senatorin den Skandal um die Treberhilfe managt. "Die Verwaltung müsste sehr viel stärker steuernd eingreifen", fordert Ülker Radziwill, die sozialpolitische Sprecherin der SPD.
Senatssprecher Richard Meng sagt zur aktuellen Lage: "Es werden Unterschiede deutlich, aber das berührt nicht das Vertrauen in der Koalition." Linken-Parteichef Klaus Lederer nennt die Koalition "stabil, aber in der inhaltlichen Aufstellung kann man ein paar Punkte zulegen".
Zumindest in dem Punkt Öffnungszeiten wartet Geschäftsinhaber Toni Brentrup auf ein Treffen mit Vertretern aller Fraktionen nächste Woche. "Am Mittwoch feiern wir den vierten Geburtstag des Hauptbahnhofs. Wir brauchen eine schnelle Lösung gegen Posemuckel in Berlin." Er hat noch Hoffnung.