Nach Mitte und Prenzlauer Berg ist Friedrichshain der dritte Stadtteil, der angesichts des Kindersegens kapitulieren muss. "Trotz der Erfahrungen aus den anderen Bezirken hat die Senatsbildungsverwaltung schon wieder nicht rechtzeitig auf die Entwicklung reagiert", sagt Burkhard Entrup, Vorsitzender des Landeselternausschusses.
Bedarf um 44 Prozent gestiegen
In nur drei Jahren ist der Bedarf an Kitaplätzen in Friedrichhain um 44 Prozent gestiegen. Noch im Jahr 2006 gab es 3065 belegte Kitaplätze, für Juni 2009 wird mit 4400 Kitakindern gerechnet. "Die Bezirksverwaltung hat alles getan, um zusätzliche Plätze zu schaffen, 500 konnten auch aufgestockt werden, doch jetzt sind unsere Möglichkeiten ausgeschöpft", sagt Stadträtin Herrmann. Auch in den angrenzenden Bereichen von Pankow, Lichtenberg und Kreuzberg gebe es keine Ausweichplätze mehr. Der Bezirk hatte massiv um Tagesmütter geworben, 30 Plätze konnten dadurch im letzten halben Jahr gewonnen werden. Doch nun gebe es kaum noch Frauen, die Kinder aufnehmen wollen, heißt es in dem Brief. In vielen Erdgeschosswohnungen haben sich Elterninitiativkitas gegründet, doch jetzt würden die Initiativen an fehlenden Räumen scheitern. Im bezirklichen Kitaeigenbetrieb gibt es zwar freie Räume, doch neue Gruppen können nicht eingerichtet werden, weil nach eigenen Angaben keine Erzieher zu finden sind. Zuvor hatte bereits der Eigenbetrieb Süd-Ost beklagt, freie Stellen nicht besetzen zu können. "Hier zeichnet sich eine dramatische Entwicklung für die gesamte Stadt ab", so Herrmann weiter. Freie Träger hätten ihr bereits signalisiert, dass sie befürchten, Gruppen schließen zu müssen.
Die Bildungsverwaltung bestreitet bisher beharrlich, dass es in Berlin einen Erziehermangel gibt. Erst im März hatte die Senatsverwaltung auf eine Kleine Anfrage der SPD geantwortet, dass aktuell kein Mangel bestehe. Im Gegenteil: Mehr als 1000 Erzieher seien arbeitslos gemeldet. "Wir haben bei den Jobagenturen nachgefragt. Die Mehrzahl der gemeldeten Erzieher sind nicht vermittelbar", sagt dagegen Stadträtin Herrmann.
Der Kitanotstand in Friedrichshain war abzusehen. Schon vor zwei Jahren hatte der Bezirk Alarm geschlagen. Damals gingen die Eltern im Nachbarbezirk Prenzlauer Berg auf die Straße, weil die Schulplätze für ihre Kinder nicht mehr ausreichten. Der Grund waren falsche Schülerzahlprognosen. Lange ging man davon aus, dass die Familien die Innenstadtbezirke verlassen. Schulen und Kitas wurden geschlossen, während gleichzeitig der Bau familiengerechter Wohnungen und Townhäuser florierte. Auf der Halbinsel Alt-Stralau ist ein ganz neues Wohngebiet entstanden und auf dem ehemaligen Schlachthof an der Landsberger Allee wachsen gerade etliche Mehrfamilienhäuser aus dem Boden.
"Wir haben vor zwei Jahren eine Arbeitsgruppe Babyboom gegründet und festgestellt, dass die Prognosen der Senatsverwaltung auch in Friedrichshain nicht mit der Realität übereinstimmen", sagt Monika Herrmann. Doch die Verwaltung ignoriere stur die Zahlen des Bezirks. Noch immer würden in aktuellen Prognosen Kinderzahlen angegeben, die schon jetzt weit übertroffen seien.
Linderung könnte ein Neubau schaffen. Seit Monaten bemüht sich der Bezirk, zwei Grundstücke zurückzugewinnen, die bereits in den Liegenschaftsfonds abgegeben worden sind. Doch bisher ohne Erfolg. Das Land will die Grundstücke meistbietend verkaufen. "Die Senatsverwaltung muss doch die Möglichkeit haben, hier einzuschreiten", sagt die Stadträtin.
Karin Prida, Leiterin der Kita Spatzenhausen vom Träger Boot gGmbH, spürt die dramatische Situation fast täglich. "Immer wieder kommen junge Mütter vorbei, die verzweifelt nach einem Platz suchen", sagt sie.
Ungeborene auf der Warteliste
Vor allem diejenigen, die erst jetzt zuziehen, hätten so gut wie keine Chance. "Es tut mir selbst weh, die berufstätigen Eltern wegschicken zu müssen, vor allem weil ich weiß, dass es in den anderen Einrichtungen kaum besser aussieht", sagt die Kita-Leiterin. Dabei hat ihre Einrichtung an der Koppenstraße zwei Häuser mit insgesamt 172 Plätzen. Doch was hier frei wird, ist schon bis 2011 vergeben. Die Warteliste ist lang und Vorrang haben hier die Kinder, die schon am längsten gemeldet sind. "Viele Eltern lassen sich schon auf die Warteliste setzen, bevor das Kind überhaupt geboren ist", sagt Karin Prida. Nach der Geburt rufen sie an und lassen den Namen eintragen. Die rechtzeitige Vorsorge ist nötig, denn die Situation wird sich weiter zuspitzen. Nach Berechnungen des Bezirks werden bis 2015 weitere 650 Kitaplätze benötigt. Da wird auch ein Neubau nicht ausreichen.