Senat

Was bleibt von Thilo Sarrazin?

| Lesedauer: 7 Minuten
Joachim Fahrun

Thilo Sarrazin ist nachdenklich. "So lange war es jetzt eigentlich nicht", sagt Berlins scheidender Finanzsenator. Es ist Dienstag vergangener Woche und Thilo Sarrazin (SPD) hat gerade ein letztes Mal die Eckwerte des nächsten Landeshaushaltes vorgestellt.

Hinter ihm die blaue TV-Wand. Vor ihm der "gleiche Teppichboden von fragwürdigem Geschmack" wie damals an jenem Februartag im Jahr 2002, als ein in Berlin weitgehend unbekannter Ex-Staatssekretär aus Rheinland-Pfalz das erste Mal die Finanzplanungen des rot-roten Senats kommentierte. "Es hat sich erstaunlich wenig geändert", fasst Sarrazin zusammen. Berlin wird wieder ins Minus rutschen. Und die Fachsenatoren sind weiterhin überzeugt, dass gerade ihr Bereich dringend mehr Geld benötigt.

Im Mai wechselt der Doktor der Ökonomie in den Vorstand der Deutschen Bundesbank, um dort nach Stationen als Spitzenbeamter, Manager und Politiker seine berufliche Laufbahn zu beschließen. In Berlin endet eine Ära. Und die Frage bleibt: Was hat der kantige Sparkommissar neben markigen Sprüchen und spitzen Provokationen für die Stadt gebracht? Was bleibt von Sarrazin, wenn sein Nachfolger Ulrich Nußbaum das Büro an der Klosterstraße bezieht?

"Wenn in Berlin einmal eine Walhalla der Berliner errichtet werden sollte, wird mit Sicherheit die Statue von Sarrazin die Eingangspforte schmücken", schreibt der Dresdener Finanzwissenschaftler Helmut Seitz, der seit Jahren die Finanzen der Bundesländer erforscht und vergleicht. In den Augen des Professors ist Sarrazin "unzweifelhaft auch der profilierteste und erfolgreichste Finanzpolitiker, den diese Republik jemals gesehen hat".

Sarrazin, so Seitz, habe den Berlinern und ihren Politikern beigebracht, dass sie sich mit Benchmarks vergleichen lassen müssen, etwa mit Hamburg, das viel sparsamer ist. Dass sich Berlins Behörden, aber auch Kitas, Schulen und Universitäten fragen lassen müssen, warum andere mit weniger Geld mehr erzielen.

Würdigung der Verdienste

Diese Überprüfung müsste eigentlich "zum Kern des verantwortlichen Handelns von Politik und Verwaltung gehören", schreibt Seitz in einer Würdigung der Sarrazinschen Verdienste. Außerdem habe Sarrazin im Gespann mit Klaus Wowereit (SPD) bewiesen, dass auch unter Rot-Rot erfolgreiche Finanzpolitik gemacht werden könne. Und dass diese auf sachlichen Argumentationsketten aufbauen müsse. Mit seinen berühmten Vorträgen, für die er mit Daten gespickte Charts nutzte, habe Sarrazin die Fachressorts unter Rechtfertigungszwang gestellt. Anders als der Forscher aus Sachsen bewerten Berliner Oppositionspolitiker die Leistungen des scheidenden Senators. "Sarrazins vermeintlicher Sanierungserfolg war ein Strohfeuer", sagt der Haushaltsexperte der CDU, Uwe Goetze, angesichts neuer Defizite, die Sarrazin in seinen Nachtragshaushalt 2009 und in seine Planung für 2010/2011 einstellen musste. 900 Millionen Euro für das laufende Jahr und deutlich über eine Milliarde für die beiden kommenden Jahre. Eine "äußerst unseriöse Schlussvorstellung", attestiert FDP-Finanzfachmann Christoph Meyer.

"Die erste Legislaturperiode war gut, die zweite Mist", lautet das Fazit von Jochen Esser. Der langjährige Haushaltsexperte der Grünen im Abgeordnetenhaus hat Sarrazins Wirken am längsten aus der Nähe verfolgt. Er teilt mit dem Senator die Leidenschaft für Zahlen, stellt wie Sarrazin selber Rechnungen an, verfolgt langfristige Trends. Esser ist der einzige Widersacher im Hauptausschuss des Landesparlaments, den Sarrazin selbst für satisfaktionsfähig hält. "Die Ausgaben sind heute wieder dort angekommen, wo wir 2001 hergekommen sind", hat Esser festgestellt. Im Klartext: Berlin hat viel weniger gespart, als Sarrazin selbst es sich einmal vorgenommen hatte.

Heute verweist er stolz auf seine exzellenten Vorhersagen. 2008 würde Berlin 20,7 Milliarden Euro ausgeben, so die Planung seinerzeit. Bis auf 100 Millionen hat sich diese Vorhersage 2008 auch erfüllt. "Wahrheiten bleiben immer wahr", sagte Sarrazin.

Und weil Sarrazin die Folgen des Wirtschaftsaufschwungs und der bundesweiten Steuererhöhungen unterschätzt hat, liegen die Einnahmen derzeit deutlich höher als kalkuliert. Sarrazin rechnete bei seinem Amtsantritt für 2008 mit mehr als zwei Milliarden Euro neuer Schulden. Tatsächlich erzielte Berlin im vergangenen Jahr ein Plus von mehr als 900 Millionen Euro. Aber das war vor der Krise.

Die Ausgaben für Hartz IV sind ihm weitgehend unverschuldet aus dem Ruder gelaufen. Die Einschnitte bei den Hilfen für Erziehung waren zu ehrgeizig angesetzt. Und ursprünglich geforderte Kürzungen bei Hochschulen, Kultur oder Kindertagesstätten konnte Sarrazin in SPD und Linkspartei nicht durchsetzen. "Für Kitas geben wir heute eine Milliarde Euro pro Jahr aus. Als ich kam, waren es 700 Millionen", sagt Sarrazin, als wolle er zum Ende seiner Amtszeit den Eindruck des zahlenverliebten Rechners verjagen, der ohne Rücksicht auf politische Prioritäten und Folgen des Rotstiftes agiert.

Der Grünen-Politiker Jochen Esser hält Sarrazin vor, gerade in der zweiten rot-roten Legislaturperiode seit 2006 keinem finanzpolitischen Kompass mehr gefolgt zu sein. Um sein Haushaltssaldo immer wieder positiv zu gestalten, habe der Senator schlicht mehrfach die Einnahme-Erwartungen nach oben korrigiert. "Wir haben die Entwicklung unterwegs den Einnahmen angepasst", sagte Sarrazin.

Aber Esser weist unverdrossen auf die eben nicht wie versprochen abgesenkten Ausgaben hin. Sarrazin weiß, dass Esser nicht Unrecht hat. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte Berlin seine Ausgaben sicher rigoroser beschnitten. Andererseits hat auch Sarrazin in seinen sieben Jahren als Spitzenpolitiker gelernt, dass man auch von Maximalforderungen abrücken muss, wenn man überhaupt etwas erreichen will. Zumal Sarrazins politisches Schicksal stets an der Rückendeckung des Regierenden Bürgermeisters hing.

Kritik an seinen Sprüchen

Selbst Klaus Wowereit jedoch war spätestens nach dessen jeder SPD-Programmatik widersprechendem Spruch an die Adresse sozial Bedürftiger, er würde auch für fünf Euro pro Stunde arbeiten, nicht mehr unbedingt geneigt, seinen "Thilo" gegen den Zorn der SPD und ihres Koalitionspartners zu verteidigen.

Sarrazin verlässt Berlin mit seinem Mantra, das er schon so lange wiederholt, seit Berlin haushaltspolitisch wieder einigermaßen Grund unter den Füßen hat. Man könne sich ja in einigen Bereichen mehr leisten als andere, weil Berlin wegen seines Status' als Stadtstaat aus dem bundesdeutschen Finanzausgleichssystem mehr bekomme als andere Länder. Etwa in der Kultur. Oder in den Hochschulen. Aber nicht überall. Dafür reichten die Mehreinnahmen nicht.

Mit seiner Planung für die kommenden Jahre, die der Senat vergangene Woche abgesegnet hat, will Sarrazin unter Berücksichtigung des Preisanstieges die realen Ausgaben sogar leicht zurückfahren. "Die Ausgaben schrumpfen real bis 2020", lautet jetzt Sarrazins Vorgabe, die er seinem Nachfolger Nußbaum hinterlässt. Er wird es schwer haben in der jetzigen Finanzkrise und schwer, an Sarrazins Erfolge anzuknüpfen.

Die besten Sarrazin-Sprüche im Wortlaut unter www.morgenpost.de/berlin