Es ist eine beliebte Ausrede beleibter Menschen: "Ich kann nichts gegen mein Übergewicht tun - ich habe es von meinen Eltern geerbt." Aber zutreffend und wissenschaftlich nachweisbar ist das nur in den allerwenigsten Fällen. Denn dass sich die Fälle von Übergewicht und Fettsucht häufen, kann hauptsächlich auf die sich verändernden Lebensumstände zurückgeführt werden: Darauf, dass die Menschen sich immer weniger bewegen (müssen) und immer ungesündere, schnellere Fertiggerichte essen (können).
Professor Andreas Plagemann von der Charité, der unter anderem das Thema Adipositas - also Fettsucht - erforscht, betont: "Vererbt werden kann im Prinzip überhaupt nur die Veranlagung zum Übergewicht - das Übergewicht selbst aber nicht. Das ist dann von anderen Faktoren wie den Ess- und Bewegungsgewohnheiten abhängig." Experten gehen laut Plagemann davon aus, dass im Durchschnitt nur bei etwa 40 Prozent aller Übergewichtigen eine genetische Veranlagung eine Rolle spielt.
Und sogar nur bei weniger als einem Prozent aller Adipositasfälle sei es tatsächlich so, dass gegen das vererbte "monogenetische Übergewicht" tatsächlich nichts unternommen werden kann, da das Dicksein ausschließlich auf einem defekten Gen beruht. In den anderen Fällen aber ist die Veranlagung aber nur einer von vielen Faktoren, die dann zum wirklichen Übergewicht führen: Wissenschaftlich gesehen entsteht Übergewicht nur dann, wenn der Körper mehr Energie in Form von Nahrung zu sich nimmt, als er verbraucht.
Der Energieverbrauch findet auf drei unterschiedliche Arten statt, von denen nur eine - teilweise - erblich beeinflussbar ist. Am wenigsten Energie, etwa acht Prozent des Gesamtumsatzes, verbraucht der Körper beim Verwerten von Nahrung. Dieser Umsatz kann durch die Art der Nahrung beeinflusst werden. Viel Energie braucht der Körper etwa zum Verwerten von Kohlenhydraten, sehr wenig hingegen, um fettreiche Nahrung in Körperfett umzuwandeln.
Bis zu 40 Prozent des Energieverbrauchs finden durch den "Arbeitsumsatz" statt, durch physische Aktivitäten. Auch dieser Prozentsatz kann vom Menschen selbst beeinflusst und gesteigert werden - durch mehr Bewegung und Sport. Die restliche Energie verbraucht der Körper als Grund- oder Ruheumsatz für alle Stoffwechselvorgänge und Körperfunktionen im Ruhezustand.
Und dieser Umsatz wird teilweise erblich bestimmt: So verbrennt der eine beim "Nichtstun" täglich nur wenige Kalorien und legt auch noch besonders zügig Fettreserven an. Der andere verbraucht im gleichen Ruhezustand 400 Kalorien mehr und wird wohl nie mit Übergewicht zu kämpfen haben. "Für schnell zunehmende Menschen bedeutet das, genau auf Energieaufnahme und -verwertung zu achten, das heißt: weniger Kalorien und mehr Sport", rät Andreas Plagemann von der Charité.
Zu den Aspekten der genetischen Veranlagung und dem eigenen Ess- und Bewegungsverhalten komme aber noch ein dritter wichtiger Punkt hinzu, sagt Plagemann: "Frauen, die in der Schwangerschaft übergewichtig sind und zu viel essen, schaden damit ihrem Kind und lassen es bereits zu dick oder gar fett zur Welt kommen." Das sei dann zwar kein genetisches, aber jedenfalls ein während der Schwangerschaft im Mutterleib erworbenes Übergewicht.
"Das Problem ist, dass eine Mutter, die zu viel isst und eine so genannten Schwangerschaftsdiabetes bekommt, einen ständig erhöhten Zuckerspiegel im Blut hat und dadurch eine erhöhte Insulinproduktion - die wiederum das Gehirn des Ungeborenen beschädigt. "Gestört würden dadurch Bereiche im Zwischenhirn, die eigentlich für die Gefühle des Hungers oder des Sattseins verantwortlich sind.
Infolge des überhöhten Insulinspiegels können Babys dann bereits übergewichtig zur Welt kommen - und die Kinder empfinden zudem von Anfang an kein gesundes Sättigungsmaß. Sie werden deshalb von Anfang an ständig nach Nahrung verlangen. Plagemann und seine Forscherkollegen fordern schon seit einiger Zeit, dass bei jeder schwangeren Frau grundsätzlich so genannte "orale Glucose-Toleranz-Tests" durchgeführt werden sollten.
Und sie fordern zudem, dass schwangere Frauen sich "vernünftig und in Maßen" ernähren sollten. Denn schlechtes und zu viel Essen während der Schwangerschaft sei eben wie das Rauchen oder Alkoholgenuss schädlich für das ungeborene Kind. "Eine weitere Möglichkeit, dem Übergewicht oder der Fettsucht bei Kindern vorzubeugen, ist es, sie - wenn möglich - möglichst lange zu stillen", sagt Adipositas-Experte Plagemann.