Standort

Berlin ist für Firmen die erste Adresse

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Jessica Schulte am Hülse

Im Erdgeschoss vor den Fahrstühlen pinseln zwei Maler blaue Farbe an die Wand. Mitarbeiter laufen noch etwas orientierungslos durch die Büroräume, auf der Suche nach ihrem Namensschild an einem der zahllosen leer stehenden Schreibtische. Noch sind die meisten unbenutzt.

Es ist die neue Deutschland-Zentrale von Pfizer in der Linkstraße 10 am Potsdamer Platz. Erst vor drei Tagen schloss der Pharmakonzern den Umzug nach Berlin ab.

In den vergangenen vier Wochen brachten Spediteure für Pfizer 15 000 Kartons mit Büromöbeln, Unterlagen und 450 Computer von Karlsruhe in die Hauptstadt. Dann kamen 500 Mitarbeiter samt Familien und Hausstand.

Mit dem Umzug nach Berlin folgt das US-Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 45 Milliarden Dollar einem Trend. Schätzungen zufolge eröffneten seit dem Mauerfall rund 250 Firmen ihre Zentralen in Berlin - darunter auch ganz kleine, und auch nicht in allen Zentralen internationaler Unternehmen werden in Berlin die wichtigen firmenstrategischen Entscheidungen getroffen. Dennoch: ein schöner Erfolg.

BASF, Bayer, Sanofi-Aventis hatten schon vor Pfizer eine Dependance oder sogar die Produktion in Berlin. Die Gesundheits- und Pharmabranche ist einer der Wirtschafts-"Cluster", auf den sich Berlin spezialisieren will. 24 Pharmaunternehmen, 170 Unternehmen aus der Biotechnologie und Biomedizin sowie 200 Unternehmen aus der Medizintechnik beschäftigen in der Region rund 350 000 Menschen. Jeder achte Arbeitnehmer in der Region arbeitet in dieser Branche. Dies habe auch Pfizers Entschluss zum Umzug bestimmt, sagt Deutschland-Chef Andreas Penk. Natürlich geht es auch um die Nähe zur Politik, um Lobbyismus. "Und das erledigt man eben besser vor Ort als per Dienstreise in die Hauptstadt", so Penk.

Dass nach dem Umzug der Bundesregierung auch viele Firmen eine Dependance in Berlin eröffnen und somit Jobs bringen, hofften viele an der Spree. Als am 20. Juni 1991 im Bundestag die Entscheidung fiel, Berlin zum Regierungssitz zu machen, feierten Berlins Politiker dies ausgelassen. Schnell war von bis zu 30 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen die Rede. Die Freude war nicht unbegründet. Zwar sind mit knapp 10 000 Menschen in Bonn fast immer noch so viele Regierungsmitarbeiter wie in Berlin tätig. Doch bei den Verbänden tat sich mehr. Von 14 000 Verbänden in Deutschland sind nun mehr als 1000 in Berlin ansässig, Tendenz: steigend. Vor 1991 waren es nicht mal 200. Die Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin Partner schätzt die Zahl der hinzugewonnenen Arbeitsplätze auf den "mittleren 10 000er-Bereich".

Der Senat ist optimistisch, dass noch mehr Firmen eine Vertretung eröffnen. "Es hat sich herumgesprochen: Berlin ist ein gutes Pflaster für Firmen und Interessengruppen", sagt Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD).

Am Freitag hätte Wowereit wieder Grund zum Frohlocken gehabt. An der Ebertstraße in Mitte feierte die Firma Otto Bock Richtfest für ihre Hauptstadtrepräsentanz, einen futuristischen Neubau. Der weltweit tätige Prothesenhersteller und Paralympic-Sponsor will dort Produkte präsentieren - die Hauptstadt als Showroom. Um das Zurschaustellen ging es auch Bertelsmann, als der Medienkonzern vor fünf Jahren seine Hauptstadtvertretung an der prestigeträchtigen Adresse Unter den Linden 1 eröffnete. Die Rechnung ging auf. Zu gesellschaftlichen Anlässen ist das Haus oft voll, die Partys sind legendär. Die Repräsentanz sei eine "perfekte Bühne für Autoren, Filmemacher und Medienexperten", sagt Leiterin Katrin Gaertner. Komplikationslos war der Weg dorthin nicht. Als der Gütersloher Konzern das Grundstück erwarb, stellte der Senat Forderungen: Das Haus müsse in Form der historischen Bebauung errichtet werden.

Nur wenige Hundert Meter westlich, Ecke Unter den Linden/Charlottenstraße, ist die teuerste Hauptstadtrepräsentanz ansässig - die der Deutschen Bank. Die Bank erwarb für ihren Berlin-Sitz die Gebäude der einstigen Disconto-Bank - für 310 Millionen Mark, mehr als 70 000 Mark pro Quadratmeter.

Unmut in anderen Städten

Die Dependance ist auch ein Ort der amüsanten Anekdoten: Im Obergeschoss des angrenzenden Gebäudes gibt es Räume für Bankenvorstände, falls diese dort mal übernachten müssen. Mitte der 90er-Jahre wollte der damalige Vorstandssprecher Hilmar Kopper das Angebot nutzen - vergeblich. Er konnte sich nicht ausweisen, und der Nachtwächter kannte ihn nicht.

Berlins Begehren, Firmenzentralen an die Spree zu locken, bescherte der Stadt allerdings auch schon Missgunst. Etwa, als der Senat den Musikgiganten Universal von Hamburg nach Berlin lockte oder Viva aus Köln. Der Hamburger Senat grollte, er werde dies nicht einfach hinnehmen. Es gehe nicht, dass Berlin von den Ländern bezuschusst werde und mit deren Geld dann Firmen abwerbe. Es sollte jedoch nur einige Jahre dauern, da versuchte es Hamburg selbst. Die Hansestadt wollte Ende 2005 die Bahn-Zentrale vom Potsdamer Platz nach Hamburg locken. Doch Berlins Senat schaltete die Kanzlerin ein. Sie stoppte die Pläne.

Am westlichen Ende des ehemaligen Staatsratsgebäudes ist die neueste Berlin-Dependance geplant. Wenn Honecker wüsste, für wen, er würde sich wohl im Grabe umdrehen. Dort entsteht die Vertretung des Stahlkonzerns ThyssenKrupp.