Jung, dynamisch, arbeitslos: Viele Fachkräfte suchen Jobs

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Florentine Anders

Im November hat Berlin einen neuen Rekord aufgestellt: Noch nie seit der Wiedervereinigung wurden so viele Arbeitslose gezählt wie im vergangenen Monat. Die nüchterne Zahl: 290 158 Menschen waren ohne Arbeit.

Das Bild in den Arbeitsämtern hat sich verändert. Inzwischen trifft die Erwerbslosigkeit nahezu alle Branchen. Junge, dynamische Menschen im Businesslook, mit dem Mobiltelefon am Ohr, geben sich die Klinke in die Hand. Hoffnungsvoll gestartete IT-Unternehmer werden zu Ziffern in der Statistik. Es sind die sogenannten Topdogs, wie sie der Schriftsteller Urs Widmer in Anspielung auf die einstigen Underdogs beschreibt.

Der 34-jährige Dirk P. war zwei Jahre lang bauleitender Architekt auf verschiedenen Großbaustellen. Seit drei Monaten kann ihm sein Arbeitgeber das Gehalt nicht mehr zahlen. «Länger kann ich das nicht mehr mitmachen», sagt der Architekt im Wartezimmer für Akademiker im Arbeitsamt Mitte. In Berlin sieht er für sich keine Zukunft mehr. Die Stimmung sei so schlecht, dass nur noch völlig unterbezahlte Jobs zu finden seien. Dirk P. hat sich jetzt in Hongkong beworben. Als er seinen wohl zukünftigen Arbeitgeber in China besuchte, fiel ihm vor allem eines auf: «Das Klima dort ist viel freundlicher und optimistischer als hier».

Auch Sandra M. ist zum ersten Mal auf dem Arbeitsamt. Die 29-Jährige hat Sozialpädagogik studiert und lange in einem Mädchenprojekt in Kreuzberg gearbeitet. Doch jetzt strich das Bezirksamt die finanzielle Unterstützung. «In der Jugendarbeit wird wohl auf absehbare Zeit kaum etwas zu finden sein», sagt Sandra. Deshalb will sie jetzt eine der viel beschworenen Ich-AGs gründen. «Empfehlungsmarketing» für Wellness-Produkte heißt ihr Erfolgsrezept aus Amerika. Vom Arbeitsamt erhofft sie sich eine Finanzhilfe für den Sprung in die Selbstständigkeit.

Für Katja Boss führte die Ausbildung geradewegs ins Arbeitsamt. Touristikassistentin hat sie gelernt. Ein Beruf, der scheinbar unendliche Möglichkeiten bot, erzählt sie. «Vor vier Jahren noch hätte ich mir problemlos einen Job bei Reiseveranstaltern, Event-Agenturen oder Messen aussuchen können», ist Katja Boss überzeugt.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort müsse man sein, meint sie und schaut auf die Werbeplakate, die überall im Arbeitsamt hängen. In Österreich, Finnland, Irland und Schweden werden händeringend Arbeitskräfte gesucht. Die europäischen Länder werben um Ärzte Bauarbeiter oder Erzieher und locken wahlweise mit verschneiten Landschaften, Geld oder Karrierechancen.

In Berlin wird der Kreis der arbeitenden Bevölkerung unterdessen immer kleiner. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Erwerbstätigen um 0,4 Prozent gesunken, meldet das statistische Landesamt. Durchschnittlich waren 1 556 200 Menschen erwerbstätig. Den stärksten Rückgang verzeichnet das Baugewerbe.