Sie ist eine der modernsten Kliniken Europas - das Unfallkrankenhaus Berlin. Die Spezialklinik für Unfallopfer und Brandverletzte wurde vor fünf Jahren eröffnet. Seither steigen stetig die Patientenzahlen. Besonders am Wochenende ist die Rettungsstelle voll
Der Mann auf der Liege stöhnt gequält. Aus seiner linken Hand ragt ein Stahldraht. Blut rinnt über seinen Arm. Vor Schmerz kneift er die Augen zusammen. «Aaaah. Muss das denn so weh tun, Herr Doktor?», mault er wütend. Doktor Dirk Richter nickt nur und sagt: «Noch zwei Drähte, dann ist es vorbei.» «Waaas? Noch zwei Drähte?» kreischt der Patient entsetzt. Unbeirrt greift der Unfallchirurg zur Bohrmaschine und treibt den zweiten Draht in die gebrochene Hand des wimmernden Patienten. Die Spezialdrähte sollen die Fraktur fixieren. Da die Hand nur an der Bruchstelle betäubt ist, hat der Patient dennoch Schmerzen. Flüchten kann er nicht. Sein linker Arm hängt an einem Stahlbügel. «Wie auf einer Werkbank», zischt er. Ein Zahnarztbesuch sei ein «Scheißdreck» dagegen.
Deftige Worte, an diesem Abend gegen 22 Uhr in der Rettungsstelle des Unfallkrankenhauses Berlin (UKB) an der Warener Straße. Doch dem Mann geht es vergleichsweise gut. Er kann noch fluchen. Eine 84-Jährige ist dazu nicht mehr in der Lage. Sie hat sich mehrere Rippen gebrochen, beide Schlüsselbeine zertrümmert, Bauchblutungen, eine Beckenverletzung, ein Sprunggelenk gebrochen und Frakturen an beiden Handgelenken. Die Schwerverletzte ist mit einem Rettungshubschrauber in die Spezialklinik geflogen worden. Ärzte haben sie erst mal in den Tiefschlaf versetzt. Mit ihr sind noch zwei weitere Opfer eines Verkehrsunfalls eingeliefert worden. Auch das gehört zum Alltag in der Rettungsstelle der Marzahner Klinik.
Vor fünf Jahren wurde der rot-gelbe flache Klinikerbau eröffnet. Das UKB ist die modernste und teuerste Klinik der Stadt. Der Bau hat 465 Millionen Mark gekostet, pro Bett eine Million. Es wurde gemunkelt, das Spezialkrankenhaus für Unfallopfer und Brandverletzte sei nur ein Prestigeobjekt des damaligen CDU-Gesundheitsstaatssekretärs Detlef Orwat, der sich mit dem Luxusbau ein Denkmal setzen wolle. Kassenmanager frotzelten kurz vor der Eröffnung, das UKB sei nicht mehr nötig, weil Betten abgebaut werden müssten.
Allen Unkenrufen zum Trotz - die 468-Betten-Klinik wurde am 3. September 1997 eröffnet - schreibt das Haus mit inzwischen 538 Betten und 1023 Mitarbeitern an einer Erfolgsstory. Ob gebrochene Arme, angeknackste Wirbel oder verbrannte Haut - in Marzahn wird fast alles versorgt. 264 700 Kranke wurden in der Klinik schon behandelt. 41 000 Menschen strömen im Schnitt jedes Jahr die Rettungsstelle. «Wir hatten nur mit 14 000 gerechnet», gesteht Axel Ekkernkamp, Ärztlicher Direktor. Der Andrang führt am Sonnabend zwangsläufig zum Stau in der Notaufnahme.
«Jetzt warte ich schon drei Stunden», faucht eine Marzahnerin, die sich offenbar das Handgelenk verstaucht hat. «Schwerverletzte haben Priorität», begründet Dirk Richter, Leiter der Rettungsstelle, die Wartezeit. Auch eine 50-jährige Chemielehrerin aus Hellersdorf wartet seit Stunden auf eine Ärztin. Die Frau hat sich kochende Gemüsesuppe über das rechte Bein gekippt. Der Oberschenkel ist puterrot, darauf sind tischtennisballgroße Brandblasen. «Ich habe schon eine Spritze gegen die Schmerzen bekommen. Sonst hätte ich das nicht ausgehalten», gesteht die zierliche Frau.
Während Unfallchirurg Richter dem Mann mit der gebrochenen Hand den dritten Draht in den Knochen bohrt und zwei der Unfallopfer operiert werden, schneidet Assistenzärztin Isabel Edusei bei der Chemielehrerin die Brandblasen auf. Sie zieht die tote Haut ab und verbindet das Bein mit einer Silikonmanschette. «Wir haben gute Chancen, dass es ausheilt», verspricht sie. Das Zentrum für Schwerbrandverletzte mit der plastischen Chirurgie hat einen sehr guten Ruf. Zwei brandverletzte Jungen aus einer Spandauer Kita wurden dort ebenso versorgt wie vier Opfer des Brandanschlags von Djerba.
Auch Polit-Prominenz kam schon zur Visite in die Vorzeigeklinik. Alt-Kanzler Helmut Kohl schlenderte 1998 über den Campus. Damals noch als Regierungschef, wagte er sich trotz Lufthoheit der PDS in den Bezirk. Auch störte es ihn nicht, dass auf dem Klinikgelände vor dem Mauerfall die SED-Parteischule stand, in der nicht nur DDR-Bonzen auf Linie getrimmt wurden, sondern auch Genossen der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins die Überlegenheit des Marxismus-Leninismus studierten. Geschichte.
Und die Gegenwart? Gegen 23 Uhr ist die gebrochene Hand eingegipst. Leichtverletzte warten noch in der Rettungsstelle. Plötzlich geht die Schleuse auf. Sanitäter schieben einen Mann herein, der einen allergischen Schock hat. Eine Wespe hat ihn gestochen. Er ist einer von 150 Notfallpatienten, die an diesem Tag im UKB behandelt werden. Auch er wird überleben.