Zwischen Hoffnung und Resignation - so ist zurzeit die Stimmung unter Mitarbeitern der Wirtschaftsverwaltung an der Martin-Luther-Straße. Bei Flur- und Kantinengesprächen der vis-à-vis vom Rathaus Schöneberg gelegenen Behörde mit 360 Beschäftigten wird viel über die Gründe für Gysis Rücktritt spekuliert.
«Die Nachricht hat uns vom Hocker gehauen», erzählt Günter Nobel*, der im einfachen Dienst des Amts arbeitet. Gysi sei ein guter Chef gewesen, der sich nicht geziert habe, «auch mal den einfachen Leuten die Hand zu schütteln».
Aber es sind nicht nur kleine Gesten, die Eindruck hinterlassen haben. «Es ist schon erstaunlich, wie schnell sich Gysi in Vorgänge eingearbeitet hat», resümiert Bianca Müller, die im höheren Dienst arbeitet.
Für jemanden, der sich zuvor nicht mit Wirtschaftsthemen auseinander gesetzt habe, sei das «mehr als ungewöhnlich». Gysis Abgang sei «sehr bedauerlich» - eine Einschätzung, die selbst von älteren und eher CDU-freundlichen Mitarbeitern geteilt wird.
Einer von ihnen ist Frieder Bartschuh, der stets guten Zugang zu Gysi und dessen Amtsvorgängern hatte. Für eine Einschätzung des PDS-Politikers muss der grau melierte Mann nicht lange nachdenken: «Der hat gearbeitet wie ein Tier», meint Bartschuh. Mit Charme und Charisma habe es Gysi verstanden, selbst skeptische Mitarbeiter in Kürze für sich und den Job zu begeistern. Bei Wirtschaftsbossen habe der gelernte Anwalt stets einen «sehr guten Eindruck» hinterlassen.
Margot Kleinert, die im Technologiebereich der Behörde selbständig größere Projekte betreut und «bisher stets FDP gewählt» hat, bangt um einige der von Gysi angeschobenen Projekte. «Er hat vieles eingefädelt, was noch nicht spruchreif ist. Wenn jetzt aber eine längere Hängepartie kommt, bis Gysis Nachfolger bestimmt ist, könnte das eine oder andere Vorhaben leiden, weil keine Entscheidungen gefällt werden.» Es dauere zudem Wochen, bis der Amtsnachfolger eingearbeitet sei.
Während Frau Kleinert sich in Rage redet, mahnt Edeltraud Wöllner zu Bedachtsamkeit. Die 48-Jährige ist mit Frauenfragen betraut. Von einem Amtsnachfolger erwartet diese «ein bisschen mehr Kompetenz in Gleichstellungsfragen». Gysi habe dafür «zwar immer gut gesetzte Worte» gefunden. Aber insgesamt gebe es in dem Bereich schon «Nachbesserungsbedarf».
Schön wäre, wenn die PDS eine Frau als Wirtschaftssenatorin benenne. Als Pluspunkt für Gysi sei aber festzuhalten, dass Mitarbeiter schnell Zugang zu ihm erhielten. Die «Aufbruchstimmung, die frischen Wind in die Behörde brachte», sei aber vorerst vorbei.
Viel spekuliert wird unter Mitarbeitern auch über die Gründe für Gysis Rücktritt. Sabine Peltschow etwa glaubt, dass dieser «nicht wegen der Bonusmeilen-Geschichte zurückgetreten ist, sondern weil er Frau und Kind kaum noch gesehen hat». Peter Kleinert beschwört die Tradition des Hauses. «Unter wem auch immer: Die Behörde arbeitet immer.»
Unrecht hat er damit nicht. Von Karl Schiller (SPD) bis Juliane Freifrau von Friesen (parteilos für Grüne) reicht die Palette der Gysi-Amtsvorgänger. «Nie haben sich die Mitarbeiter verweigert», murmelt Kleinert, während im Rathaus Schöneberg wie ehedem die Freiheitsglocke zu läuten beginnt.
* alle Namen geändert