Teile der Berliner Wirtschaft bedauern den Rücktritt von Gregor Gysi. Ihre Befürchtung ist, dass die PDS jetzt einen «Parteisoldaten» als Nachfolger benennt. Hartmann Kleiner, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg, fordert einen parteiunabhängigen neuen Wirtschaftssenator. Mit ihm sprach Stefan Schulz.
Herr Kleiner, war Gregor Gysi ein guter oder schlechter Wirtschaftssenator?
Hartmann Kleiner: Das ist kaum seriös zu beantworten. Dafür war einfach die Zeit zu kurz. Das gilt eigentlich für den gesamten Senat. Die Regierung ist seit ihrem Amtsantritt gar nicht aus den Startlöchern gekommen. Gregor Gysi hat sicherlich einige Akzente gesetzt, aber konkrete Ergebnisse liegen nicht vor.
Wo hat er denn Akzente gesetzt?
Er hat in der Arbeitsmarktpolitik einige wichtige Dinge angeschoben und erkannt, dass ein Paradigmenwechsel weg von ABM, hin zur Förderung des ersten Arbeitsmarktes notwendig ist. Und er hat ein Gespür dafür bekommen, was das Wirrwarr der Wirtschaftsfördermittel angeht.
Es heißt, Gysi habe ein Ohr für die Unternehmer gehabt?
Es hat bei der Regierungsbildung Vorbehalte gegenüber der PDS gegeben. Dass ausgerechnet die PDS dann den Wirtschaftssenator stellte, hat in Wirtschaftskreisen zu Beunruhigungen geführt. Gysis Begabung zur Kommunikation half aber, diese Vorbehalte langsam abzubauen. Er ging offen auf andere zu und war Argumenten aufgeschlossen. Ob das aber ausreicht, um Investitionsentscheidungen zu beeinflussen, kann aufgrund der Amtszeit nicht beurteilt werden.
Über welche Eigenschaften muss denn sein Nachfolger verfügen?
Der Wirtschaftsstandort Berlin steht vor großen Schwierigkeiten. Das Auftreten von Herrn Gysi hat dazu beigetragen, die vorhandenen Vorbehalte bei den Unternehmern abzubauen. Durch Gysis Rücktritt fallen wir auf den Ur-Zustand der Senatsbildung zurück. Ich habe die Sorge, dass ein Parteisoldat der PDS jetzt in diese Position gewählt wird. Ich würde der Koalition raten, entweder die Ressortverteilung anders zu regeln oder eine parteiunabhängige Person zu finden.
Über welche Qualitäten muss denn diese Person verfügen?
Sie sollte Wirtschaftskompetenz und Vertrauen in der Wirtschaft besitzen. Es ist kein Showtalent wie bei Herrn Gysi nötig. Aber die Person sollte zuhören können und die Probleme begreifen. Zudem sollte sie über Verwaltungserfahrung verfügen.
Sollte der Gysi-Nachfolger oder die Nachfolgerin nicht auch politische Macht haben oder eine gewisse Strahlkraft besitzen?
Da ich eine parteiunabhängige Person empfehle, muss sie Einfluss im Senat haben. Dort sind dann vernünftige Rahmenbedingungen für Investitionsentscheidungen zu schaffen.
Können Sie sich vorstellen, dass Sie selbst oder beispielsweise Herr Gegenbauer diese Position einnehmen könnten?
(lacht) Es ist eine Frage, ob eine solche Persönlichkeit sich für diese Koalition zur Verfügung stellen würde.
Sehen Sie eine solche Persönlichkeit in der PDS?
Nicht auf Anhieb. Meine Sorge ist wirklich, dass wir in die Anfänge der Senatsbildung zurückfallen. Sie müssen eins sehen. Wirtschaftspolitik hat durch den Regierungswechsel 2001 gar nicht stattgefunden. Jetzt haben wir Mitte 2002. Eineinhalb Jahre sind verloren gegangen. Andere Metropolen haben inzwischen die Zeit genutzt, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Es ist ein Wettbewerb der Wirtschaftsregionen. Wir können uns keinen Stillstand leisten, zumal wir mit Stand Mai 2002 insgesamt drei Prozent an Industriearbeitsplätzen verloren haben.
Kann es sich die Stadt dann leisten, erst am 29. August den nächsten Wirtschaftssenator zu wählen?
Man könnte zynisch sagen, das Kind ist ohnehin schon in den Brunnen gefallen. Was machen da schon vier Wochen?
Welche Folgen hat es?
Die gesperrten Fördermittel in Höhe von 58 Millionen Euro liegen seit Herbst auf Eis. Und aufgrund der Haushaltssperre weiß man weder in der Wirtschaftsverwaltung noch bei der Investitionsbank Berlin, ob die Mittel nun freigegeben werden können.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten für die dringendsten Aufgaben in der Stadt. Welche wären das?
Erstens müssen wir das Wirrwarr um die Fördermittel auflösen. Zweitens sollte die Investitionsförderung geregelt werden. Stichwort One-Stop-Agency. In der Verwaltung müsste es einen Verantwortlichen geben, der eine Durchgriffsverantwortung gegenüber anderen mitzuständigen Verwaltungen hat. Und drittens sollte es in der Arbeitsmarktpolitik zu einer stärkeren Förderung im ersten Arbeitsmarkt kommen.