Berlin ist Spitze und demonstriert dies jeden Tag - im Schnitt acht Mal. Seien es riesige Menschenmassen, die wie beim Christopher Street Day für ihre Sache eintreten oder eine Handvoll Unverbesserlicher, die ihre Transparente in die Berliner Luft recken: «In keiner anderen Stadt wird mehr demonstriert als in Berlin», sagt Polizeioberamtsrat Joachim Haß, Leiter der Berliner Versammlungsbehörde. Tendenz steigend.
Immer mehr Berliner versuchen jedoch, das Versammlungsrecht auszunutzen, indem sie kommerzielle Veranstaltungen von der Polizei absichern und vom Steuerzahler bezahlen lassen wollen. Jüngstes Beispiel: Der Radiosender «Energy 103,4» tarnte eine für Donnerstag geplante Werbeveranstaltung als politische Demonstration. «Dem haben wir einen Riegel vorgeschoben», sagt Haß.
Dennoch werden in diesem Jahr in Berlin so viele Demonstrationen und Mahnwachen stattfinden wie nie zuvor. «Deshalb müssen wir hier das Versammlungsrecht sehr eng auslegen», sagt Haß. Das heißt, Musikveranstaltungen wie die am kommenden Sonnabend wieder stattfindende Love Parade gelten nicht als Versammlung mit einer Meinungskundgabe. Die Folge: Sie muss bei der Straßenverkehrsbehörde und beim Bezirksamt angemeldet werden. Die Kosten trägt der Veranstalter.
Doch für diejenigen, die eine politische Botschaft kundtun wollen, gibt es in Berlin keine Einschränkungen. «Jeder, der das möchte, kann formlos bei allen Polizeiabschnitten oder direkt bei uns in der Versammlungsbehörde bis 48 Stunden vor der Veranstaltung eine Anmeldung vornehmen. Die Voraussetzung ist, dass mindestens zwei Menschen an der Versammlung teilnehmen und die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet ist», erläutert Haß. Falls nur drei Personen den Verkehr auf dem Kurfürstendamm lahm legen wollten, könnten sie auf den Bürgersteig verwiesen werden. «Sonst kann der Anmelder einer Versammlung Ort und Zeitpunkt frei wählen. Außerdem hat er die Gestaltungsfreiheit, auf welche Art er seine Meinung äußern will», ergänzt Haß. Verbote und Auflagen werden deshalb selten ausgesprochen. Der Versammlungsexperte: «Das gilt auch für die NPD, weil sie nicht verboten ist.»