Körting rechtfertigt Neuverschuldung

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Joachim Fahrun

Der Landeshaushalt Berlins sei «verfassungswidrig», hat in der vergangenen Woche Finanzsenator Thilo Sarrazin erklärt. Sarrazin löste damit eine heftige Kontroverse aus. Experten wie Innensenator Körting widersprechen.

Wenn der Verfassungs-Experte unter den fünf Juristen im Berliner Senat über den Haushalt spricht, schlägt er erst mal die einschlägigen Paragraphen nach. Ehrhart Körting ist in solchen Momenten nicht Innensenator, sondern Rechtskundler. Körting geht nicht leichtfertig hinweg über die Verfassung, die der Doppelhaushalt 2002/2003 nach Ansicht der Opposition und vieler Juristen verletzt. Immerhin hätte der Sozialdemokrat vor einigen Jahren noch selbst über das Zahlenwerk zu Gericht sitzen müssen. 1992 bis 1997 war er Präsident des Landesverfassungsgerichts.

Also studiert er nun Gutachten und Richtersprüche und kommt zu einem klaren Schluss: «Die Verfassung lässt zu, zur Abwehr eines gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichts mehr Kredite aufzunehmen.» Die Neuverschuldung Berlins übersteigt 2002 die Summe der Investitionen um 4,3 Milliarden Euro. Mit diesem Hebel will die Opposition den Etat vor dem Verfassungsgericht zu Fall bringen.

Die Verfassung habe eine immense Staatsverschuldung wie in Berlin nicht vorausgesehen, argumentiert Körting. Alle Fraktionen, auch CDU, FDP und Grüne, gingen davon aus, dass man aus dem Etat nicht 4,3 Milliarden Euro herausnehmen könne. Solche Streichungen würden das in Berlin ohnehin nicht vorhandene wirtschaftliche Gleichgewicht weiter zerstören und die Arbeitslosigkeit dramatisch ansteigen lassen. Man könne auch sagen, in Berlin herrscht «überverfassungsrechtlicher Notstand», findet der Senator.

Zumal Berlin bundesgesetzliche Verpflichtungen wie Sozialhilfe oder Wohngeld auf jeden Fall erfüllen müsse: «Bundesrecht bricht Landesrecht», so der Jurist. Nach Körtings Einschätzung werden seine Ex-Kollegen allenfalls darauf hinwirken, den aktuellen Zustand nicht als «gottgegeben hinzunehmen». Durch die Eckdaten der mittelfristigen Finanzplanung, die bis 2006 einen Abbau der Ausgaben um zwei Milliarden Euro vorsehen, habe der Senat ja deutlich gemacht, den Weg zu einem auch grundsätzlich verfassungskonformen Haushalt gehen zu wollen. 2003 schließe sich die Schere zwischen Neuverschuldung und Investitionen. Auch das Bundesverfassungsgericht räume meist Fristen von mehreren Jahren ein, um einen verfassungswidrigen Zustand zu beheben.

Der ehemalige Verfassungsrichter ist dagegen, Gerichten Entscheidungen zuzumuten, die sie nicht treffen können. «Sie sind nicht dazu da, demokratische Prozesse zu ersetzen.» Die Hoffnung, als Politiker nach einem Richterspruch nicht mit Sparvorschlägen vor die Bürger treten zu müssen, sei genauso illusorisch wie die Idee von einem Staatskommissar des Bundes.

Nach der Regel des Bundeszwangs wäre ein solcher Kommissar zwar theoretisch denkbar: «Aber nur dann, wenn der Senat nichts tun würde», sagt Körting. Letztlich sei die Verfassung kein Argument für die konkrete Haushaltspolitik, stellt Körting fest: «Nicht pleite zu sein, ist im Grundgesetz nicht vorgeschrieben»