Miss Abendschau bekommt immer noch Fanpost

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Michael L. Müller

Vor der Tür ihrer Wohnung ganz in der Nähe des SFB bittet Evelyn Lazar Besucher freundlich, aber bestimmt, die Schuhe auszuziehen. Man kann ja nicht wissen, wo der Gast zuvor hingetreten ist. «Ich habe ein großes Sicherheits- und Harmoniebedürfnis», sagt die noch immer populäre einstige «Abendschau»-Moderatorin.

Am 27. November 1993 hat sie zum Kummer ihrer vielen Anhänger von der Fernsehkamera Abschied genommen. Sie ist überzeugt, dass dies damals der richtige Zeitpunkt war. «Denn ich habe wenigstens nicht gewartet, bis das Publikum sagte: Die kann man nicht mehr sehen.»

Erstaunlich findet es die 1,60 Meter kleine temperamentvolle Frau mit dem kurzen, rotbraunen Haar allerdings, dass man sie noch immer fast überall, wo sie hinkommt, erkennt und mit «Hallo» begrüßt. Sie erhält auch weiterhin reichlich Post und Anrufe unentwegter Fans. Die Zeiten, in denen sie das bekannteste Gesicht der «Abendschau» war und sich ständig allzu zudringlicher Bewunderer erwehren musste, sind allerdings vorbei. Früher kam es vor, dass sie im Fahrstuhl angetatscht und im Kaufhaus von Wildfremden kumpelhaft als «unsere Evelyn» begrüßt wurde.

Heute hat sich das Ausmaß der Sympathiebeweise normalisiert. Nummer und Anschrift von Evelyn Lazar stehen deshalb auch im Telefonbuch. Und nach ihrem Alter fragt man eine Dame ohnedies nicht. Ihr familiärer Hintergrund ist international: Der Vater war halb Italiener, halb Russe, der Großvater mütterlicherseits Ungar.

Nach fast neun Jahren «Unruhestand» ist sie heute jeden Tag froh und dankbar, dem Stress und den Terminzwängen des Fernsehbetriebes entronnen zu sein. «Ich bin ein spontaner Mensch», gesteht sie. «Deshalb macht es mich glücklich, dass ich die Urlaubstage nicht mehr zählen muss und in den Süden fliegen kann, wann immer mir danach ist.» Spanien gehört seit eh und je die Leidenschaft von Evelyn Lazar. Dort hat sie sich auf einer Ferieninsel, die sie nicht genannt haben will, vor zehn Jahren eine kleine Wohnung zugelegt. Dreimal im Jahr genießt sie den Zweitwohnsitz. Eigentlich wollte sie eine berühmte Schauspielerin werden. Als dies nach einigen Anläufen nicht klappte, begann sie Anfang der 60er Jahre zuerst als Radio- dann als Fernseh-Reporterin des SFB. Mode, Kultur und besondere Theaterthemen waren ihre Domäne. Als sie einmal Curd Jürgens zu interviewen hatte, öffnete der ihr die Zimmertür im Hotel Kempinski in Unterhosen. Am 27. November 1971 kam dann der Moment, in dem sie mit großem Lampenfieber als erste Frau in die Männerdomäne der «Abendschau»-Moderation einbrach. Von Anfang an begleiteten Evelyn Lazar bei dieser schwierigen Aufgabe die Zustimmung der meisten SFB-Kollegen und die Sympathie der Zuschauer.