Erstes Ferienwochenende: Berlin brummt vor Leben

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Hendrik Werner und Eva Herschinger

Man mags maritim an diesem Sommertag in Friedrichshain. Auf dem just neu gestalteten Wismarplatz, dieser kinderfreundlichen städtischen Oase, planscht Jurek Borrmann trotz seiner unübersehbaren Jugend schon wie ein Alter. Routiniert schöpft der zehnmonatige Dreikäsehoch mit dem charmanten blonden Flaum auf dem Köpfchen mit seinem Sandförmchen in jenen kaskadenförmig angeordneten Holzbehältern, die für eine große Schar kleiner Nackedeis das Herzstück des fantasievollen Spielplatzes bilden. Einige Meter weiter singen 17 ältere Herren in Matrosenmontur voller Inbrunst «Heute an Bord» und andere Seemannslieder, die den Platz für die Dauer des Auftritts in ein Ostseebad verwandeln.

Die viel umjubelte Sangesdarbietung des Reinickendorfer Shanty-Chores mit dem, nun ja: gewöhnungsbedürftigen Namen «Edelweiß» ist nur einer unter zahlreichen Höhepunkten, mit denen das erstmals ausgerichtete Friedrichshainer Kulturfestival «spektrale02» an diesem Wochenende Tausende Besucher in seinen Bann zieht. Vom Trödelmarkt bis zur Tanzmeile, vom «Afrikanerin-flicht-echte-Rastazöpfe»-Stand bis zum Maiskolben-Verkaufswagen ist für jeden Geschmack etwas dabei.

Keineswegs ausgelassen, dafür aber auf andere Weise überaus nachhaltig, gerät eine Stippvisite bei der am Freitag eröffneten Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, die bewegende Bilder von den Folgen der Anschläge auf die USA am 11. September zeigt. Andächtig flanieren die Besucher entlang der von Amateuren wie Profis aufgenommenen Fotografien. Es ist den mal nachdenklichen, mal schmerzerfüllten Gesichtern der Betrachter anzumerken, wie tief der Schock, wie unauslöschlich die Erinnerung an die Geschehnisse noch immer ist.

Gelöst ist das Publikum dagegen in Berlins ungewöhnlichster Galerie: Oben poltert Verkehr, unten rauscht Musik. Oben ist es schwül, unten kühl. 70 Freunde avantgardistischer Ästhetik sind allein in den ersten Stunden gekommen, um die Ausstellung «Kunst, Kunststoff, Kunststoffrecycling» im unvollendeten U-Bahnhof der notorisch unfertigen Linie 3 unter dem Potsdamer Platz zu besichtigen. Die meisten Unterwelt-Besucher sind begeistert von den Installationen in dem vielfarbig illuminierten Schacht. «Endlich sehe ich mal eine U-Bahnstation im Bau», sagt Regine Averhage aus Münster. Berlin hat ihr noch einiges zu bieten.