Zum Beginn des neuen Schuljahres will Schulsenator Klaus Böger (SPD) 15 neue Psychologen einstellen. «Zumindest ein Teil von ihnen wird zur Gewaltprävention eingesetzt», sagte sein Sprecher Thomas John. Damit reagiert der Senator zum einen auf das Blutbad von Erfurt, vor allem aber auf die zunehmende Zahl der Gewaltvorfälle auch an Berliner Schulen.
121 Pöbeleien, Bedrohungen und körperliche Angriffe von Schülern gegen Schüler registrierte die Schulverwaltung noch 1996/97, im vergangenen Schuljahr waren es bereits 172 derartige Fälle. Auch verbale und körperliche Attacken gegen Lehrer nahmen drastisch zu: Von 13 Vorfällen im Schuljahr 96/97 stieg ihre Zahl auf 41 im vergangenen Jahr an.
Mehr oder weniger Bagatellen, dachte man bisher. Doch seit dem 26. April, als ein 19-Jähriger am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 16 Mitschüler, Lehrer und Polizisten und schließlich sich selbst erschoss, ist alles anders. «Erfurt war brutaler», sagt Bettina Schubert. Der am Landesschulamt für Gewaltprävention zuständigen Psychologin wurden seither in Berlin 13 «Trittbrettfahrer-Fälle» gemeldet.
«Im Bioraum eines Gymnasiums wurde eine Todesliste auf den Tisch geschrieben, ein anderer Schüler zeichnete seinen Lehrer mit einer Schlinge um den Hals, und wieder ein anderer kündigte im Internet an: Ich werde alle Lehrer abknallen'», berichtet Schubert. Ihre Kollegen kümmern sich bislang vor allem um Lernprobleme. Schubert, als einzige Gewalt-Expertin beim Landesschulamt für 470 000 Berliner Schüler zuständig, fordert nun einen «akuten Krisendienst, der schnell am Ort ist».
«Bislang hatten wir es in Berlin mit durchweg nicht ernst zu nehmenden Nachahmern zu tun», sagt Karl Mollenhauer, Referatsleiter an der Landespolizeischule. Er organisiert seit sieben Jahren das 1992 in Berlin eingeführte Anti-Gewalt-Training an Schulen. «Ein potenzieller Nachahmer hätte es im Übrigen sehr schwer, denn er müsste Erfurt toppen. Dennoch nehmen wir jede Ankündigung sehr ernst. Denn Sicherheit gibt es eben nie.»
Auch Lehrer seien zunehmend verunsichert, berichten Mollenhauer und Schubert. «Immer häufiger kommen Anrufe und Nachfragen, wie sie mit solchen Vorfällen umgehen sollen», sagt Schubert. «Das geht bis hin zu Überlegungen, ob sie denn noch schlechte Noten geben dürften», ergänzt Mollenhauer. Dennoch sind beide Experten zuversichtlich: «Das Klima an den Schulen insgesamt ist nicht aggressiver geworden, jedoch treten einzelne Jugendliche viel gewalttätiger auf.» «Seit Erfurt ist die Sensibilität an den Schulen viel größer», sagt Schubert. Lehrer machten sich zunehmend Gedanken über Schüler.
«Es wird auch mehr auf verschlossene Jungen und Mädchen geachtet», stellt Schubert fest. «Plötzlich wird auch wieder über Werte diskutiert, zwischen Schülern und Lehrern, aber auch zu Hause ist plötzlich Thema, wie wir eigentlich miteinander umgehen», sieht auch Mollenhauer «deutliche positive Veränderungen».
Erfurt sei eben kein Amoklauf gewesen, sondern eine geplante Tat, befindet der Polizeipsychologe. Die Aufstockung des Landesschulamtes um mehr als ein Dutzend Psychologen sei ein längst überfälliger Schritt. «Wir als Polizei und die Schulen reden von Jahr zu Jahr mehr und vertrauensvoller miteinander, da ließe sich viel mehr erreichen», glaubt Mollenhauer.
«Wichtig ist aber auch, dass unsere Arbeit mit der der Kollegen vernetzt wird», lautet seine Forderung. Bei seinen 32 Stellen für Verhaltenstrainer wurde bislang nicht der Rotstift angesetzt, der bei der Polizei derzeit zu massiven Personaleinsparungen führt.
«Das ist eine deutliche Wertschätzung unserer Arbeit. Dennoch beträgt die Wartezeit bei uns gegenwärtig zwei bis drei Jahre.» Deshalb fordert Mollenhauer, es müssten mehr Multiplikatoren in Sachen Anti-Gewalt-Training ausgebildet werden: «An jedem Abschnitt könnte ein Kontaktbereichsbeamter sein, der auf Schulhöfen und Sportplätzen mit Jugendlichen ins Gespräch kommen kann.»