Die Eingangshalle des Landgerichts an der Littenstraße ist mit Sicherheit die schönste in Berlin und daher eine würdige Bühne für einen Streit, der dort vor vier Jahren losbrach und erst jetzt vor dem höchsten Berliner Gericht ein Ende fand. An jenem Herbsttag traf Frau E. auf ausgerechnet den Vorsitzenden Richter, der ihre Klagen abschlägig beschieden hatte. Sogleich forderte sie ihn zu einem Rededuell auf, das der Mann in der Robe jedoch ablehnte. Das machte Frau E. wütend.
Also schrieb sie einen Brief: «Herr Vorsitzender, es war ein eindrucksvolles Erlebnis, Ihnen, der Sie meinen Mann und mich zu einem Opfer Ihrer Terrorjustiz machten, heute zu begegnen.» Oha. Von «Schamlosigkeit», «Willkürurteil» und «Besudelung» des Rechts war außerdem die Rede. Schließlich: «Ich beschuldige Sie und die Richter G. und H. der Rechtsbeugung, die Sie in Verhöhnung des demokratischen Rechtsstaats im Namen des Volkes' ausgeübt haben.»
Während sich die Richter selbst nicht herabgewürdigt sahen, stellte der Präsident des Landgerichts Strafantrag wegen Beleidigung. Gegen einen Strafbefehl legte E. Beschwerde ein. Es kam zum Prozess: Freispruch. Frau E. habe «berechtigte Interessen» vertreten, so die Richter. Nun legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Es kam zum zweiten Prozess: Beleidigung, 4500 Mark Geldstrafe. Es folgte eine neue Beschwerde durch Frau E., die das Kammergericht verwarf. Damit blieb der Frau nur der Weg zum Verfassungsgericht. Sie sah sich in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt.
Die Verfassungsrichter fassten nun folgenden Beschluss: Der Brief beleidigt die Richter, auch wenn sie sich nicht beleidigt fühlen. Die von E. gewählten Worte gehen über das erträgliche Maß an Urteilsschelte hinaus. 4500 Mark sind zu zahlen.