Berlin muss nach den Worten der früheren Wirtschaftssenatorin Juliane Freifrau von Friesen eine Stadt des Ehrenamtes werden. Angesichts ihrer gewaltigen Haushaltsnöte könne es sich die Stadt nicht länger leisten, «das in der Bevölkerung schlummernde enorme Potenzial freiwilliger Helfer ungenutzt zu lassen», sagte die 51-Jährige, die als Managerin in den Energiekonzern Veag zurückgekehrt ist, im Interview der Berliner Morgenpost. Vom Regierenden Bürgermeister erwartet sie dafür klare Vorgaben.
Frau von Friesen, der Senat vermittelt den Eindruck, Berlin drohe in einem Meer von Finanzproblemen zu ertrinken. Sind Sie froh, dass Sie sich auf die Insel Veag retten konnten?
Juliane von Friesen: Ich habe die Verantwortung als Wirtschaftssenatorin für begrenzte Zeit sehr gern übernommen. Heute bin ich aber erleichtert, dem Senat nicht mehr anzugehören. Das hat nicht nur mit der Finanzlage der Stadt zu tun. Die Gestaltungsspielräume werden zwar durch Sparzwänge beschnitten, aber ich habe vor allem den Willen der einzelnen Senatoren vermisst, gemeinsame Ziele umzusetzen. Stattdessen schien im Vordergrund das persönliche Ziel zu stehen, von der eigenen Partei für die nächste Wahl aufgestellt und dann natürlich wiedergewählt zu werden. Deshalb werden vorrangig Partikularinteressen bedient.
Sie gerieten in der Politik in eine Welt, die Ihnen wenig lag . . .
Das war nicht meine Welt. Aber ich möchte die Erfahrung nicht missen. Ich habe viel gelernt, vor allem, welche Werte in dieser Stadt und den Menschen stecken, die hier leben und arbeiten. Berlin, wo an allen Ecken das Geld fehlt, kann es sich nicht mehr länger leisten, das in der Bevölkerung schlummernde enorme Potenzial freiwilliger Helfer ungenutzt zu lassen.
Sie meinen, die Bürger sollten dem in arge Haushaltsnöte geratenen Staat unter die Arme greifen?
Richtig. Aber mir geht es nicht nur darum, den Staat von sozialen Leistungen zu entlasten. Ich will vielmehr die Bürger dazu bringen, etwas für ihr Gemeinwesen und damit für sich selbst zu tun.
Solche Appelle sind nicht ganz neu.
Ich weiß, dass pauschale Appelle allein wenig fruchten. Die Menschen sind erfahrungsgemäß erst dann für eine freiwillige Mitarbeit zu gewinnen, wenn sie persönlich angesprochen und ihnen erreichbare Ziele genannt werden. Das bedeutet in Berlin: Der Regierende Bürgermeister müsste klar sagen, was für die Stadt durch das Ehrenamt erreicht werden soll.
Mit anderen Worten: Ein neues «Schaut auf diese Stadt»?
Die Hauptstadt Berlin muss eine Stadt des Ehrenamtes werden. Es stünde den Berlinern, die auf ihre ständig im Wandel begriffene Metropole stolz sind, gut zu Gesicht, Vorreiter und Vorbild für andere Kommunen zu werden. Der Senat hat voranzugehen und deutlich zu machen, dass jeder Einzelne einen wichtigen Beitrag für ein gedeihliches Zusammenleben leisten kann.
Ich sehe schon Klaus Wowereit als Prediger eines neuen Gemeinschaftsgefühls.
Warum nicht? Niemand wird Herrn Wowereit widersprechen, wenn er zum Beispiel fordert, dass im Einzugsbereich von Grundschulen Eltern, Pensionäre und Sportvereine an einen Tisch geholt werden, um gemeinsam zu überlegen, wie die Ganztagsbetreuung der Kinder sichergestellt werden kann. Wenn schon das Geld für die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule derzeit fehlt, ließe sich so kurzfristig eine Kinderbetreuung in den Nachmittagsstunden erreichen.
Sie denken auch an die Mütter?
Natürlich. Ich bin mir sicher, dass von einem solchen Modell nicht nur die Kinder profitieren würden. Auch die Eltern, vor allem alleinerziehende Mütter, erhielten die Chance, eine Vollzeitbeschäftigung aufzunehmen oder Teilzeit zu arbeiten. Und die im Ehrenamt Tätigen - insbesondere «Jungsenioren» - bekämen das Gefühl, gebraucht zu werden. Sie vermissen ja oft die Wertschätzung Jüngerer.
Sind nicht Anerkennung und Wertschätzung überhaupt die wichtigsten Anreize für die Übernahme von Ehrenämtern?
Sie sind ganz gewiss entscheidende Motivationsfaktoren. Deshalb sollte der Senat denen, die er für Ehrenämter gewinnen will, auch sichtbare Wertschätzung entgegenbringen. So könnte der Regierende Bürgermeister solche Helfer zu jährlichen Treffen einladen, ihnen dabei zum Beispiel einen «Berliner Bär e.h.» als Nadel ans Revers stecken. Es müssen nicht immer Orden sein.