Seit 30 Jahren ein heißer «tip» für Berlin

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Der Chef ist in Eile. Eigentlich müsste Karl Hermann in diesem Moment ein paar Etagen höher sein, oben, im dritten Stock des Verlagshauses an der Potsdamer Straße, wo die Kollegen beisammen sitzen, um das große Fest zu besprechen. Ihr Stadtmagazin «tip», bekanntestes und ältestes seiner Art in Deutschland, feiert mit einer großen Sause am 28. Juni den 30. Geburtstag. Das erfordert nun mal organisatorische Feinarbeit sowie die Anwesenheit des Herrn Chefredakteurs. Stattdessen lässt er sich bei unserem Besuch im Chaos, das er «mein Büro» nennt, befragen, wie denn sich seine Zeitschrift samt Berliner Kulturpublikum verändert hat. Und das, seit der «tip» 1972 in Form einer hektographierten Blättersammlung von sechs Seiten erstmals erschien. «Der «tip» der Siebziger war eine Art Lautsprecher der West-Berliner Off-Kulturszene. Damals wurde beispielsweise die Schaubühne längst nicht für so genannte Hochkultur gehalten, die tauchte in Berliner Feuilletons überhaupt nicht auf. Im «tip» dagegen schon. Der «tip» war Sprachrohr der Gegenkultur.» Der Chefredakteur mag unter Zeitdruck stehen, mag gelegentlich nervös mit den Beinen wippen, aber den druckreifen Erzählton wahrt er mit großer Lässigkeit.

Das junge Stadtmagazin erlebte eine blühende Kinder- und Teenagerzeit, epandierte 1979 kurzzeitig nach Hamburg, erreichte 1980 die (gedruckte) Auflage von 100 000 Exemplaren, war bis in die Achtziger das Forum etwa für Wim Wenders , Jörg Fauser , Matthias Matussek . Doch je mehr die Berliner Kultur-Begeisterten zu Grenzgängern zwischen «etablierter» und «Gegen-Kultur» wurden - heute Kant, morgen Knorkator - desto schwerer wurde es für die Macher der inzwischen an die 300 Seiten dicken, zweiwöchentlich erscheinenden Zeitschrift, ihr Publikum anzusprechen.

Inmitten dieses Gezeitenwechsels übernahm Karl Hermann das Zepter. Den Weg nach Berlin hatte er in den Siebzigern angetreten, um (na klar!) die Welt zu verändern und an der FU Politologie zu studieren. Die Vermeidung des Wehrdienstes «war ein netter Nebeneffekt aber nicht die Grundabsicht», schmunzelt der 47-Jährige heute.

Nach Erfahrungsanhäufung beim alternativen Medienbüro «Bärendienst» und dem unverwüstlichen Altpapier-Glamour-Heft «Prinz», kam er 1995 zum «tip», dessen Chefredakteur er 1996 nach der Übernahme durch Gruner& Jahr wurde. In den vergangenen acht Jahren ist die Auflage seines Magazins um 10 000 Hefte auf 72 000 gesunken. «Der ,tip' ist nicht mehr Identifikator für eine bestimmte Klientel, der Markt ist nicht mehr in ,Zitty' und ,tip' - dort Politikschwerpunkt, bei uns Kultur - aufgeteilt», sagt Hermann. Die Idee des Stadtmagazins hätten zudem auch andere Anbieter aufgegriffen, finde sich in kostenlosen Programmheften und auf ungezählten Internetseiten.

Ein Platzhirsch, der sogar schwarze Zahlen schreiben kann, bleibt sein ,tip' in Berlin dennoch. Lifestyle-Geschichten haben Raum gewonnen, die Restaurants für den Sommerabend, die richtigen CDs fürs Abendessen. Konstant dagegen: Kulturberichterstattung und ein auf den Leser zugeschnittener Programmteil. «Wir sind heute nicht mehr Lautsprecher, sondern Leuchtturm der Szene», sagt Hermann. «Wir liefern dem Leser Orientierung im Daten-Overkill der Termine.» Kulturwegweiser statt Kultur-Forum.

Freches Profil zeigt Hermanns Heft nur selten, mutig aber in der alljährlich gedruckten Rundum-Ohrfeige «Die 100 peinlichsten Berliner», einer Promi-Beschimpfung ersten Ranges. Da zeigte die befreundete Tita von Hardenberg beim Durchblättern der Ausgabe wenig Freude, ihre Mutter Isa Gräfin Hardenberg erwähnt zu sehen. Und mit Borer-Fieldings habe er es sich bereits im Jahr 2000 komplett verscherzt, als er das Paar in die Top-Ten hievte. Strafe für den Chef: «Keine Einladungen mehr in die Botschaft.» Patrick Goldstein