Kontroversen mit Polizei und Justiz ist die rechtsradikale NPD gewohnt. Dennoch waren die Funktionäre und anwesenden Parteimitglieder völlig überrascht, als gestern Vormittag gegen 9.30 Uhr ein Großaufgebot der Polizei die Bundesgeschäftsstelle an der Seelenbinderstraße in Köpenick heimsuchte.
Kontroversen mit Polizei und Justiz ist die rechtsradikale NPD gewohnt. Dennoch waren die Funktionäre und anwesenden Parteimitglieder völlig überrascht, als gestern Vormittag gegen 9.30 Uhr ein Großaufgebot der Polizei die Bundesgeschäftsstelle an der Seelenbinderstraße in Köpenick heimsuchte. Noch überraschter waren die Anwesenden, als sie erfuhren, dass es bei dem Einsatz nicht um Politik ging, sondern um das, was die Rechtsradikalen sonst gern den etablierten Parteien der deutschen Politik vorwerfen: finanzielle Unregelmäßigkeiten, Tricksereien und Unterschlagung.
Ihr eigener Schatzmeister, so erfuhren die verdutzten Rechten, soll sich über Jahre durch großzügige Griffe in die Parteikasse bereichert haben. Davon jedenfalls geht die Staatsanwaltschaft Münster (Westfalen) aus, die seit einem Jahr gegen den NPD-Funktionär Erwin Kemna ermittelt. Gestern schlugen die Ermittler nicht nur in Berlin, sondern auch in Sachsen und Nordrhein-Westfalen zu. In der Bundesgeschäftsstelle stellten Beamte nach einer intensiven Durchsuchung zahlreiches Beweismaterial sicher. Hilflos mussten die NPD-Funktionäre mit ansehen, wie die Ermittler Berge von Akten aus der Geschäftsstelle transportierten.
"Die Unterlagen gehen jetzt an die Staatsanwaltschaft Münster und das Landeskriminalamt Düsseldorf, wo das Verfahren geführt wird", erklärte ein Ermittler. Einiges, so der Beamte vielsagend, könne aber durchaus auch Staats- und Verfassungsschützer interessieren. Für die Ermittler in Nordrhein-Westfalen geht es allerdings nicht um rechtsradikale Umtriebe der Partei, sondern schlichtweg um den Straftatbestand der Untreue. Mindestens 627 000 Euro soll Kemna (57) in den vergangenen vier Jahren aus der Parteikasse abgezweigt haben. Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, könnte das für die Partei verheerende Folgen haben.
NPD in Finanznot
Die NPD befindet sich seit Langem in akuten finanziellen Nöten. Seit die Thüringer Parteigenossen vor Jahren versuchten, mit frisierten Spendenquittungen an staatliche Gelder zu kommen und die ganze Aktion aufflog, fordert die Bundestagverwaltung mehr als 800 000 Euro gezahlter Wahlkampfkostenerstattung zurück. Auch private Geldgeber drängen. Mehrere gut betuchte Mitglieder und Sympathisanten haben der Partei mehrfach erhebliche Summen zur Verfügung gestellt. Doch auch unter den Kameraden im braunen Geiste hört beim Geld offenbar die Freundschaft auf. Viele Zuwendungen waren keine Spenden, sondern Kredite. Und die wollen die Geldgeber zurück.
Unter ihnen soll auch der berüchtigte Rechtsextremist Jürgen Rieger sein. Der Rechtsanwalt und mehrfach vorbestrafte Holocaust-Leugner macht seit Jahren Schlagzeilen mit dem Ankauf von Immobilien, unter anderem in Brandenburg, in denen er sogenannte nationale Schulungszentren errichten will. Auch Rieger will, wie aus dem Umfeld der Partei zu erfahren war, sein Geld zurück.
Dass die NPD nach Angaben eines Insiders jetzt nicht weiß, wie sie ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen soll, liegt auch am Ausgang der jüngsten Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen. In beiden Bundesländer hatte die Partei mit einer üppigen Rückerstattung der Wahlkampfkosten gerechnet. Doch in deren Genuss kommen nur Parteien, die mindestens ein Prozent der Stimmen erhalten. Die NPD blieb in beiden Ländern darunter.
Rechte sehen sich als Opfer einer Intrige
Und jetzt der Skandal um den Schatzmeister. Offenbar haben die Parteioberen noch Probleme, die neue Situation zu erfassen. "Es geht bei der Razzia wohl um Finanzen, mehr weiß ich nicht", sagte ein wortkarger Parteisprecher Klaus Beier gestern Morgen in Köpenick. Am Nachmittag zeigte sich Beier dann wieder angriffslustiger. "Politisch kann uns keiner den Garaus machen, deshalb versucht man es jetzt über die juristische Schiene", attackierte der Parteisprecher die Razzia von Polizei und Justiz.
Diese Ansicht verbreitete sich schnell unter den braunen Kameraden. Die NPD und womöglich auch ihr Schatzmeister als Opfer einer perfiden Intrige des verhassten Staates, diese Deutung war von mehreren Parteimitgliedern zu hören. Die Ermittler nahmen es gestern gelassen.