Kirche

Hochwürden spricht wieder Latein

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Volker Resing

Ausgerechnet Berlin gilt konservativen Katholiken in Deutschland inzwischen als kleine lateinische Hochburg. Seit einem Jahr darf in der römisch-katholischen Kirche wieder die alte "tridentinische" Messe regulär gefeiert werden. Vier Standorte gibt es in der Hauptstadt schon. Nur Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky ist etwas verstimmt. Von ihm ist bekannt, dass er die Wiederbelebung des alten Ritus nicht so sehr befürwortet.

Ein junger Berliner Kaplan probiert es dennoch aus. Im Keller seiner Gemeinde findet er noch die traditionellen Gewänder und Messbücher. In Schlachtensee hat er schnell eine Fan-Gemeinde um sich. Seine engagierten Jugendgottesdienste in moderner Form bietet Kaplan Mathias Faustmann nach wie vor in "Herz Jesu" in Zehlendorf an. Faustmann selbst sieht sein eigenes Bistum kritisch, zu verzagt ginge es mit aktuellen Entwicklungen um. Und was sagt die "normale" Gemeinde dazu?

Junge Männer fragen nach der alten Messe

Mathias Faustmann tritt an den Ambo - ein erhöhter Platz, vom dem aus gottesdienstliche Lesungen vorgetragen werden -, schaut ins Kirschenschiff an der Riemeisterstraße in Zehlendorf. Noch herrscht Unruhe zwischen den Reihen, es gibt etwas Geschiebe um die reservierten Kinder-Plätze. Der Kaplan greift hinter die Säule und holte eine mannshohe Deutschlandfahne hervor. "Flaggen sind gerade sehr beliebt", beginnt er die Predigt. Es wird ruhig, alle hören zu - die Überraschung ist geglückt. Er macht das gern. Und doch nervt es ihn manchmal auch: der Gottesdienst als Show.

Vor einiger Zeit haben ihn ein paar junge Männer gefragt, ob er für sie die alte lateinische Messe lesen würde. Den tridentinischen Ritus, den Papst Benedikt XVI. wieder zugelassen hat, nachdem die Jahrhunderte alte Form seit dem 2. Vatikanischen Konzil weitgehend verboten war und durch die neue Form ersetzt wurde. Mathias Faustmann stimmt - anfangs noch zögerlich, wie er sagt - zu. "Ich wollte die Leute nicht enttäuschen."

Er macht sich auf die Suche. Zur Verwunderung seines Chefs wühlt er plötzlich im Keller des Pfarrhauses herum. Er findet verschnörkelte Altarkerzen, Messbücher von früher und alte Gewänder. "Vielleicht war ich zunächst etwas naiv, aber ich dachte plötzlich, der Hauch von 1500 Jahren katholischer Geschichte umgibt mich." Aus dem Internet zieht er sich ein Video und bringt sich so selbst bei, was früher für die Eltern und Großeltern normal war. Er holt die alte katholische Welt hervor, mit dem etwas entrückten Priester, der mit dem Rücken zur Gemeinde steht, der alles in lateinischer Sprache spricht und viele Formen und Zeichen zu beachten hat. Schritte sind vorgegeben, Kniebeugen und Verbeugungen - und viel Weihrauch. Der Kaplan entdeckt diese Strenge und beginnt sie zu lieben. "Der Priester ist im alten Ritus nicht so stark herausgehoben, so empfinde ich das", sagt er. Die Messe sei keine Dauerberieselung, sondern biete Zeit zum Beten. "Endlich mal zur Ruhe kommen", das ist für Mathias Faustmann ein Hauptmerkmal der traditionellen Form.

Seitdem wandelt der 35 Jahre alte Geistliche zwischen Jugendgottesdienst und tridentinischem Gottesdienst hin und her. Einmal im Monat zelebriert er in Schlachtensee den Ritus in alter Form, jede Woche sonntags in neuer Art in Zehlendorf. Und beide Seiten halten ihn für einen der ihren. "Etwas konservativ ist er schon", sagen seine jungen Messdiener in der "normalen" Gemeinde Herz Jesu. Ganz schön oft trägt er ja die lange schwarze priesterliche Soutane, das fällt einigen auf. Doch eigentlich sind sie sich einig, dass der Kaplan "cool drauf" ist. "Padre Mathias" heißt seine E-Mail-Adresse, das sei doch lustig. Überhaupt hat er doch sogar einen eigenen Weblog und beim Internetportal "Facebook" hat er ein Profil hinterlegt - ganz schön viele Freunde sind da eingetragen. Im Sommer war er mit einer Gruppe Jugendlicher in Australien beim Weltjugendtag mit dem Papst. Dafür hatte er jene Fahnen besorgt, als Schlachtenbummlerausrüstung.

Jetzt steht er mit dem Mikrophon vor der ersten Bankreihe. "Wer will denn die Flagge halten?" Sofort gehen die Finger hoch. Dann holt er das Banner Spaniens hervor. Solche großen Fahnen haben die Kinder noch nicht gesehen. Dann kommt die dritte Fahne: die des Vatikans. "Das ist ein kleines Land, dort regiert der Papst", sagt er. "Und obwohl dort nur Männer wohnen, gibt es keine Fußballmannschaft."

Alte Kandelaber - eine Frage des Stils

In der Kirche zu den Heiligen Zwölf Aposteln in Schlachtensee an der Wasgenstraße ist es still. Erstaunlich still. Die Kinder scheinen bei den Konservativen auf den ersten Blick braver zu sein. Mit zehn Messdienern zieht der Kaplan in die fast voll besetzte Kirche ein. Auf dem Altar stehen die alten Kandelaber, das alte Messbuch liegt daneben. "Manches ist auch in der Kirche eine Stilfrage", sagt Mathias Faustmann. Der Handzettel, der den Gläubigen die lateinische Messe übersetzt, verwendet für die Überschriften Frakturschrift. Nur ein Detail. Und in einer Ankündigung wird der Kaplan mit "Hw." betitelt, "Hochwürden". Das sagt heute keiner mehr, deswegen fällt es auf. Mathias Faustmann lacht. "Die Konservativen sind in der Gesellschaft lange verspottet worden", meint er. "Jetzt kommen sie wieder an die Öffentlichkeit."

Er selbst lässt sich ungern festlegen. "Die lateinische Messe ist kein Allheilmittel", sagt er. Die Wiederentdeckung des Heiligen, das sei sein Ziel. "Vieles ist heute in den Gottesdiensten zwar gut gemeint. Dennoch ist es geschmacklos und unwürdig."

Mathias Faustmann wurde 1972 in Potsdam geboren. In der Gemeinde Peter und Paul wuchs er auf. Zu den Bedingungen der DDR. Der Vater war katholisch, die Mutter evangelisch. Der Jugendweihe und der FDJ hat er sich verweigert. Später war ihm das Pfarrhaus wichtiger als das Elterhaus. Es war eine katholische Parallelwelt, in die er geflohen ist. "Für uns war die Loyalität zur Kirche die Voraussetzung, um Distanz zum System halten zu können." Nach der Wiedervereinigung lernte er den westdeutschen Katholizismus kennen, der oft auch durch eine Distanz zur Amtskirche geprägt war. Das war ihm fremd. "Diese Unterteilung von liberal und konservativ müssen wir hinter uns lassen", sagt er heute. "Wir brauchen einen Aufbruch." Berlins Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky weiß um das Talent seines jungen Kaplans. Doch jetzt ist es Mathias Faustmann, der den Abstand sucht. In seinem Internet-Tagebuch macht er sich Luft. Die Verzagtheit, mit der das Berlin Bistum mit der Finanzkrise umgegangen sei, erschrecke ihn. Jetzt ist er es plötzlich, der die Amtskirche kritisiert. "Wer um alles in der Welt hindert Erzbischof Zollitsch daran, ein Wort der Wertschätzung über den Zölibat zu sagen?", schreibt er dort über den neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz.

In der Predigt, die er in der lateinischen Messe hält, nimmt er sich wieder den Papst vor. Diesmal aber geht es um die Sakramente und dass auch der Papst sie sich nicht selbst spenden könne. Da seien nun alle gleich.

In der strengen heiligen Zeremonie kommt sein Talent gar nicht so stark zum Tragen. Der Schauspieler ist versteckt hinterm Ritus. Nur bei der Predigt schaut sein Temperament aus den alten Gewändern hervor. "Diese altbackene klerikale Sprache habe ich nicht drauf", sagt Mathias Faustmann. Die diktiert ihm auch das alte Messbuch nicht. "Vielleicht bereichern sich alt und neu und es entsteht etwas Neues", sagt der Kaplan. So denkt wohl auch der Papst.