Wahlkampf

SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück rennt wieder ins Abseits

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Foto: Ian Langsdon / dpa

Schulen sollten getrennten Sportunterricht für Jungen und Mädchen aus religiösen Gründen ermöglichen, meint Peer Steinbrück. Pädagogen und Politiker kritisieren ihn dafür.

Peer Steinbrücks als Ausweis persönlicher und politischer Offenheit gedachte Klartext-Veranstaltungen werden für den Politiker mehr und mehr zur Belastung. Keine vergeht, ohne dass der Kanzlerkandidat der SPD nicht mit einer missverständlichen oder unüberlegten Äußerung für erhebliche Irritationen sorgt.

Ausgerechnet in Berlin forderte er nun Schulen dazu auf, wenn sie in der Lage seien, getrennten Sportunterricht für Jungen und Mädchen zu ermöglichen. Aber nicht aus pädagogischen Gründen. „Ich würde da Rücksicht nehmen auf religiöse Überzeugungen“, sagte er.

Wohl gemerkt: Steinbrück will den Schulen keinen getrennten Sportunterricht verordnen. Gerade in Berlin allerdings mussten seine Worte wie eine Aufforderung und eine Kritik an den Bemühungen der Schulen zur Integration wirken.

Bei einem Anteil von Muslimen in manchen Klassen von 80 oder mehr Prozent handelt es sich dabei um ein Grundsatzfrage. Erst Geschlechtertrennung, dann Trennung nach religiöser Zugehörigkeit? Ein Nebeneinander, statt Miteinander? Entsprechend harsch fielen manche Reaktionen aus.

„Das ist eine sehr unglückliche Äußerung von Herrn Steinbrück“, sagte Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) der Berliner Morgenpost. „Junge Leute benötigen moderne gesellschaftliche Orientierung – in Ergänzung oder auch im Gegensatz zu tradierten Familienriten. Mädchen- und Jungenschulen hatten wir vor 150 Jahren. Wir haben in Deutschland eben keine Geschlechtertrennung. Es kann nicht sein, dass wir jetzt die gesellschaftliche Uhr zurückdrehen.“

Steinbrück war bei der „Klartext“-Veranstaltung am Mittwoch in Berlin mit Blick auf Forderungen eines muslimischen Vaters nach getrenntem Sportunterricht gefragt worden, wie weit seine Toleranz hier reiche. Daraufhin sagte er: „Wenn Schulen es einrichten können, dann sollen sie es machen. Ich würde da Rücksicht nehmen auf religiöse Überzeugungen. Aber da denkt vielleicht jeder anders.“

Er verwies dabei auf Erfahrungen seiner Ehefrau, die Lehrerin in Bonn ist. Bei gemeinsamem Schwimm- und Sportunterricht laufe es meist darauf hinaus, „dass die Eltern eines Mädchens islamischen Glaubens einfach eine Krankheitsmeldung machen, damit sie nicht teilnehmen muss“. Ehe das so ablaufe, würde er versuchen, „Lösungen zu finden, um den religiösen Überzeugungen Rechnung zu tragen“.

Diskussion ist eine von gestern

Berlins langjährige Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) nannte Steinbrücks Äußerungen rückwärtsgewandt. „Die Diskussion über eine Trennung ist von gestern.“ Kinder und Eltern müssten sich daran gewöhnen, dass die Geschlechter bei uns gemeinsam aufwachsen und gleichberechtigt leben. Der FDP-Innenpolitiker Serkan Tören sprach von einem ganz falschen „Signal für die Integration von Muslimen in Deutschland“.

Paul Schuknecht, Vorsitzender der Vereinigung der Berliner Schulleiter, hält Steinbrücks Forderung für völlig überflüssig und rückwärtsgewandt. Zudem könne nicht davon ausgegangen werden, dass alle Muslime gleicher Ansicht sind, betont er. „Viele sind sogar überhaupt nicht religiös und haben deshalb kein Problem mit dem Sportunterricht.“

Auch angesichts der Diskussion um inklusives Lernen sei Steinbrücks Forderung abwegig. „Temporäre Lerngruppen sind natürlich in jedem Fach sinnvoll“, sagte Schuknecht weiter. Zeitweise sollten Schüler je nach Neigung und Fähigkeiten auch getrennt unterrichtet werden. Religiöse Überzeugungen dürften aber kein Grund für derartige temporäre Gruppen sein.

Thorsten Metter, Sprecher von Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), verweist auf die Handreichung seiner Verwaltung zum Thema „Islam und Schule“. Dort heißt es: „Sport- und Schwimmunterricht sind fester Bestandteil der schulischen Ausbildung. Jedes Kind hat das Recht auf freie Entfaltung seiner körperlichen Fähigkeiten. Sport stärkt die Gesundheit und fördert die Persönlichkeitsentwicklung und das soziale Lernen. Auch der Islam ruft zur körperlichen Ertüchtigung auf. Eine prinzipielle Weigerung, am Sport- und Schwimmunterricht teilzunehmen, lässt sich daher aus religiöser Sicht nicht begründen.“

In Berlin gebe es derzeit in der Praxis kaum Probleme, so Metter weiter. „Diese treten ja in der Regel erst beim gemeinsamen Sportunterricht in höheren Klassen auf (also nach Eintritt der Geschlechtsreife). Und hier findet dann in Berlin – aus sportpädagogischen und sportfachlichen Gründen – getrennter Unterricht statt.“ Es gebe allenfalls in Einzelfällen Schwierigkeiten, für die die Lehrer aber Lösungen finden. „Toleranz, Verständnis und Respekt im Umgang sind da mit Sicherheit der Weg.“

Trennung in der Oberstufe

Paul Schuknecht bestätigt, dass in der Oberstufe Mädchen und Jungen im Sport meist getrennten unterrichtet werden. Das hänge mit der unterschiedlichen körperlichen Entwicklung und Konstitution der Jugendlichen zusammen. An seiner Schule sei das kein Dogma, so Schuknecht, der die Friedensburg-Sekundarschule in Charlottenburg leitet. „Bei bestimmten Übungen trennen wir nach Geschlechtern, was nicht heißt, dass bei uns auch in der Oberstufe Jungen und Mädchen öfter gemeinsam Sportunterricht haben.“

Auch der Grünen-Migrationspolitiker Memet Kilic sprach sich gegen Änderungen der herrschenden Praxis aus. Die bisherige Rechtsprechung zweifle nicht an gemeinsamem Sport- oder Schwimmunterricht, erklärte er am Freitag in Berlin. Rücksichtnahme auf religiöse Gefühle dürfe nicht auf Kosten universell gültiger Menschenrechte gehen. Zu diesen gehöre unter anderem die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern.

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan Korte mahnte: „Wer in der Schule nach Geschlechtern trennt, zementiert Ungerechtigkeit.“ Es stünde dem SPD-Kanzlerkandidaten besser, „die Werte des Grundgesetzes gegen Angriffe von Konservativen jeder Couleur zu verteidigen“, erklärte Korte am Freitag.

Steinbrück trifft die Kritik im Moment des absoluten Tiefpunkts seiner Beliebtheit. Er ist im jüngsten ARD-Deutschlandtrend weiter zurückgefallen. Im Direktvergleich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel würden ihn nach der Umfrage 25 Prozent der Befragten wählen, das ist ein Prozentpunkt weniger als im Vormonat. Die CDU-Vorsitzende Merkel kommt dagegen auf einen Wert von 60 Prozent (plus zwei). Einen so großen Abstand zwischen den beiden Politikern gab es im Deutschlandtrend noch nie. Zugleich hat Steinbrück die niedrigste Zustimmungsrate für seine Arbeit seit Mai 2005. Nur noch 32 Prozent (minus vier) der Befragten sind mit seiner Arbeit zufrieden.

Bei seinem Besuch in Paris zeigte sich Steinbrück am Freitag kämpferisch. Er möchte nun anknüpfen „an Zeiten, wo ich deutlich bessere Umfragewerte hatte“, sagte er. Er wolle „Themen transportieren und das einbringen, was ich kann“. Auf die Kritik an seinen Äußerungen zum getrenntem Sportunterricht wollte er aber nicht mehr eingehen.

( BM )