Sollte man im Berliner Willy-Brandt-Haus gehofft haben, dass Peer Steinbrück mit der schonungslosen Veröffentlichung all seiner Vortragshonorare der vergangenen drei Jahre ein Befreiungsschlag gelingen würde, dann dürfte inzwischen Ernüchterung eingekehrt sein.
Denn das am Dienstag ins Internet gestellte Verzeichnis, das 89 bezahlte Vorträge in Höhe von 1,25 Millionen Euro auflistet, hat der Debatte über die üppig dotierten Nebentätigkeiten des SPD-Kanzlerkandidaten sogar neue Nahrung gegeben.
Jetzt geht es aber nicht mehr um die Frage, ob man einen Politiker dazu zwingen kann, über die geltenden Veröffentlichungspflichten hinaus seine Einkünfte auf Euro und Cent aufzulisten. Sondern darum, ob ein Bundestagsabgeordneter sich überhaupt für Vorträge entlohnen lassen sollte.
Verboten ist es nicht, aber es gibt dennoch unterschiedliche Auffassungen. Morgenpost Online hat sich unter den Bundestagsabgeordneten aus der Hauptstadt umgehört. Die Mehrzahl von ihnen nimmt kein Geld an. So sagte der Berliner CDU-Generalsekretär Kai Wegner: „Ich werde häufig zu Vorträgen eingeladen. Diese halte ich stets unentgeltlich. Meine politischen Vorstellungen zu erklären, betrachte ich als Teil meiner Aufgabe als Abgeordneter.“
Keiner zahle grundlos Geld, sagt Wolfgang Wieland
Wie Wegner hält es auch der frühere Berliner Justizsenator Wolfgang Wieland, der heute für die Grünen im Bundestag ist. Er sagte Morgenpost Online: „Es ist Teil meiner Aufgabe als Abgeordneter, für meine Sache, meine Partei und nebenbei ein bisschen auch für mich selbst zu werben. Ich nehme für Vorträge deshalb grundsätzlich kein Geld, sondern höchstens – wie kürzlich bei der Gewerkschaft Ver.di – eine Flasche Rotwein als Dankeschön an.“
Wieland ist außerdem der Überzeugung, dass keiner grundlos für etwas Geld zahle, also auch nicht für einen Redeauftritt. „Sollte ein Veranstalter also darauf bestehen, meinen Vortrag zu honorieren, dann komme ich gar nicht erst.“ Nicht alles, was legal sei, sei eben auch politisch akzeptabel.
Auch die Berliner CDU-Kulturexpertin Monika Grütters hält Vorträge nur im Rahmen ihres Mandats und sieht diese grundsätzlich mit der Abgeordnetendiät als abgegolten an.
Holger Krestel (FDP) und Stefan Liebich (Linke) verfahren genauso. Liebich sagte, dass Reden zur üblichen Arbeit von Bundestagsabgeordneten gehörten, „für die sie bereits sehr ordentlich vom Steuerzahler entlohnt werden“.
Tatsächlich regelt das Grundgesetz, dass alle Abgeordneten einen Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung haben. Jedem Parlamentarier steht eine sogenannte Abgeordnetenentschädigung („Diät“) in Höhe von zurzeit 7960 Euro im Monat zu. Dieser Betrag ist voll zu versteuern. Nebentätigkeiten sind erlaubt, müssen aber in verschiedenen Stufen angegeben werden, über deren Höhe derzeit diskutiert wird.
Unterschiedliche Handhabe bei den Linken
Interessant ist das Prozedere bei anderen Linken. Während deren Ex-Vorsitzende Gesine Lötzsch für Vorträge ebenfalls grundsätzlich kein Geld nimmt, bittet Petra Pau in Fällen, in denen ihr ein Honorar angeboten wird, darum, den Betrag direkt an eine von ihr vorgeschlagene gemeinnützige Einrichtung zu überweisen. Veröffentlichungspflichtige Nebeneinnahmen hatte Pau, die Bundestagsvizepräsidentin ist, in den zurückliegenden Jahren so nicht erzielt.
Damit unterscheidet sie sich von Linke-Fraktionschef Gregor Gysi, der offenbar grundsätzlich kein Problem damit hat, für Vorträge Geld anzunehmen. Auf der Liste seiner meldepflichtigen Nebeneinkünfte finden sich neben Hinweisen auf verschiedene Mandate als Rechtsanwalt für die Jahre 2009 bis 2011 drei honorierte Vorträge.
So sprach Gysi vor Freimaurern in der Großen Loge Royal York zur Freundschaft, wo er ein Honorar der Stufe 1 (bis 3500 Euro) annahm. Ebenfalls in die Stufe 1 fiel Gysis Auftritt beim Verlag für die Deutsche Wirtschaft AG in Bonn. Stufe 2 (bis 7000 Euro) erreichte Gysi im Juli 2010, als er in Hamburg bei der Sky Promotion GmbH auftrat.
Gysi will die Einrichtungen nun – offenbar nach dem Vorbild Steinbrücks – anschreiben und um Genehmigung zur Veröffentlichung der konkreten Höhe der jeweiligen Honorarsumme bitten. Er sagte Morgenpost Online: „Ich verlange nie ein Honorar, wenn ich zu einem Vortrag eingeladen werde. Wenn mir eines angeboten wird, lehne ich es ab, einen Vorschlag zur Höhe zu unterbreiten. Wenn, dann müssen die Gastgeber selber einen Vorschlag zur Höhe unterbreiten, der immer akzeptiert wird.“ „In der Regel“ unterstütze er damit dann nachher soziale oder kulturelle Projekte.
Auch der Weg der Spende wird gewählt
Auch die Parlamentarierinnen Lisa Paus (Grüne) und Mechthild Rawert (SPD) wählten nach eigenen Angaben in den Einzelfällen, in denen ihnen Geld für Vorträge angeboten wurden, den Weg der Spende – anders als Stefanie Vogelsang (CDU), die „in wenigen Fällen“ Aufwandsentschädigungen von jeweils unter 500 Euro annahm.
Swen Schulz (SPD) sagte, „normalerweise“ würde er Honorare ablehnen oder den Veranstalter bitten, das Honorar einem guten Zweck seiner Wahl zukommen zu lassen. „Aber ganz ehrlich: Wenn die Deutsche Bank mir 15.000 Euro dafür anbietet, dass ich denen meine Meinung sage, greife ich sofort zu – und überlege dann, was ich mit dem Geld mache.“
Auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) verteidigte Steinbrück, der in der Regel 15.000 Euro pro Vortrag kassierte, zumindest indirekt: „Wenn vermögende Einladende solche Auftritte gut honorieren, ist es nichts Unanständiges, dieses Honorar auch anzunehmen.“ Leider passiere ihm das nie.
Petra Merkel, als Vorsitzende des Haushaltsausschusses eine der einflussreichsten Abgeordneten der SPD, kokettierte ebenfalls mit ihrer vermeintlich geringeren Wichtigkeit: „Mir hat bis jetzt noch kein Verband, kein Veranstalter ein Honorar für einen Redebeitrag angeboten. Ich bin Bundesliga und nicht Champions League wie Peer Steinbrück oder andere Politiker und Politikerinnen aus allen Fraktionen.“
Frage nach der Unabhängigkeit stellt sich neu
Tatsächlich rücken Politiker in der Regel erst dann in die „Champions League“ der hoch dotierten Redner auf, wenn sie ein Minister- oder gar Kanzleramt bekleidet haben und „nur“ noch Abgeordnete sind, aber Veranstaltungen mit ihrer Anwesenheit „schmücken“ können. „Da gibt es einen internationalen Markt“, weiß der CDU-Abgeordnete Karl-Georg Wellmann, der wie seine Kollegen Frank Steffel und Jan-Marco Luczak noch keine Vorträge gegen Honorar gehalten haben will.
Geldzahlungen seien, so Wellmann, grundsätzlich aber nicht verwerflich. Sie würden zum Problem, wenn ein Vortragsreisender es sich wie im Falle Steinbrück noch einmal anders überlege und in die große Politik zurückwolle. Engagements als Redner für große Banken oder Rechtsanwaltskanzleien könnten dann zum Problem werden, da sich die Frage nach der Unabhängigkeit neu stelle. Der Grüne Wolfgang Wieland sieht das genauso: „Bezahlte Vorträge sind nur etwas für Politiker im Abklingbecken.“
Sein grüner Kollege Hans-Christian Ströbele hält es vor allem für problematisch, dass Steinbrück in einem Fall auch bei den Bochumer Stadtwerken, also einem kommunalen Unternehmen, kassierte – und zwar 25.000 Euro. Die Stadtwerke teilten am Donnerstag mit, sie seien fest davon ausgegangen, dass Steinbrück das Geld spendet. Bei der SPD bestreitet man, dass es eine solche Absprache gab.