Als Christian Wulff noch Niedersachsen regierte, pflegte er viele Freundschaften zu hochkarätigen Persönlichkeiten aus der Wirtschaft – auch zum Konzernvorstand Norbert Winkeljohann. Den Politiker und den Steuerexperten verbindet viel:
Beide sind fast gleich alt, beide machten parallel Karriere und schafften es in ihrem Bereich ganz nach oben. Und beide sind in Osnabrück geboren und aufgewachsen. Viele Jahre wohnten sie sogar in der gleichen Straße. So viel Nähe verbindet.
Seit Wulff allerdings als Bundespräsident in die Kritik geraten und dann abgetreten ist, scheint auf mancher seiner alten Freundschaften kein Segen mehr zu ruhen. Seit Wochen schon untersucht die Staatsanwaltschaft Hannover das private Beziehungsgeflecht des Ex-Staatsoberhauptes.
Mitte der Woche ließ sie in Berlin die Wohnung und Geschäftsräume des Wulff-Freundes David Groenewold durchsuchen. Der Filmfinanzier wird verdächtigt, als Unternehmer dem Politiker Vorteile verschafft zu haben, die möglicherweise nach dem Strafgesetzbuch geahndet werden müssen.
Am Freitag fand dann mit Einverständnis Christian Wulffs in dessen Haus in Großburgwedel eine Durchsuchung statt. Die Ermittler nahmen einige Unterlagen mit und erstellten Kopien von Handy- sowie Computerdaten.
Staatsanwälte interessieren sich für Winkeljohann
Und auch Winkeljohann gerät jetzt in das Visier der Behörde. Das allein ist schon eine Nachricht. Schließlich gilt der Mittfünfziger als einer der wichtigen Wirtschaftsmanager der Republik: Als Vorstandschef von PricewaterhouseCoopers (PwC) in Deutschland steht er einem Prüfkonzern mit 9000 Mitarbeitern vor, der sich als Marktführer ansieht und namhafte Kunden im In- und Ausland berät.
Trotz seiner einflussreichen Position ist über Winkeljohann bislang aber fast nur in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen berichtet worden. Kaum ein Bundesbürger kennt den Doktor der Wirtschaftswissenschaften.
Das könnte sich bald ändern. Weil sich nun die Staatsanwälte in Hannover für Winkeljohann interessieren, wird dessen Name künftig möglicherweise auch im Politikteil zu finden sein. Dabei geht es um einen Vorgang, der aus Sicht des PwC-Chefs eine Lappalie darstellt.
Der Mann, dessen Firma auf einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro kommt, hat einer guten Bekannten im November 2008 zu einer Halbtagsstelle verholfen. Doch dieses Anstellungsverhältnis steckt voller Merkwürdigkeiten. Und deshalb sagte Jürgen Lendeckel, Sprecher der Anklagebehörde, der „Morgenpost Online“: „Wir prüfen den Sachverhalt auf seine strafrechtliche Relevanz.“
Wie so oft in der Causa Wulff sorgt ein Freundschaftsdienst für Irritationen. Profiteur war dieses Mal aber nicht der Politiker selbst, sondern seine Ex-Frau Christiane. Die Juristin hatte 1993 ihren Beruf aufgegeben, um ihrem Mann den Rücken freizuhalten.
15 Jahre nicht mehr in dem Job tätig
Als dieser sich dann in eine jüngere Frau verliebte und sich scheiden ließ, war ein gemeinsamer Lebensentwurf zerstört, und mit diesem starben auch die Pläne Christiane Wulffs. Sie ging auf Jobsuche und wandte sich an den einflussreichen Mann aus der Nachbarschaft – Norbert Winkeljohann.
Der Wirtschaftsberater konnte helfen: Er empfahl ihr, sich bei der Osnabrücker Kanzlei Schindhelm zu bewerben, einem weltweit operierenden Anwaltsunternehmen. Der Clou: Die Kanzlei gehörte einst zum PwC-Imperium, sodass aufgrund des Leumunds die Einstellungshürde sehr klein gewesen sein dürfte – obwohl die Juristin schon 15 Jahre nicht mehr in ihrem Job tätig gewesen war.
Schindhelm stellte die Ex-Frau des Regierungschefs dann auch prompt ein. Das wäre nicht weiter auffällig gewesen – aber Schindhelm hatte damals überhaupt „keinen Bedarf an einer Juristin als Halbtagskraft“, wie PwC heute eingesteht. So bezog Christiane Wulff bei ihrem neuen Arbeitgeber niemals ein Büro. Schreibtisch, eigener Computer oder Telefonanschluss – Fehlanzeige. Ein Scheinarbeitsverhältnis? Diese Unterstellung weisen sowohl Schindhelm als auch PwC zurück.
„Bei der Beschäftigung von Frau Wulff handelt es sich mitnichten um ein Scheinarbeitsverhältnis“, teilte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft der „Morgenpost Online“ mit. Tatsächlich soll Christiane Wulff tätig gewesen sein. Allerdings nie für die Anwaltskanzlei, sondern ausschließlich für PwC.
Dort ergab sich ganz zufällig zeitgleich „der Bedarf an einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin“. Und weil PwC Christiane Wulff in Teilzeit in Anspruch genommen haben will, stellte ihr das Unternehmen ein Büro – und erstattete „die bei Schindhelm verursachten Personalkosten vollständig“. Die seltsame Konstruktion, die laut einem Ermittler „zum Himmel stinkt“, hatte aber einen mehr oder auch weniger plausiblen Hintergrund. Winkeljohann lässt diesbezüglich mitteilen: „PwC hat ganz bewusst diese Variante gewählt, um Berichterstattung zu vermeiden.“
Folglich gab es nie die Absicht, dass Christiane Wulff für Schindhelm arbeitet. Der Bedarf dürfte sich also auch nicht spontan ergeben haben, sondern es war offenbar von Anfang an so geplant. Auf Nachfrage, was denn unter „Berichterstattung vermeiden“ zu verstehen sei, erklärt das Unternehmen:
„Die Scheidung des damaligen Ministerpräsidenten hatte öffentlich große Aufmerksamkeit erregt. Es war nicht im Interesse von PwC oder Frau Wulff persönlich, dass auch ihr beruflicher Wiedereinstieg Gegenstand der Berichterstattung wird.“ Und damit auch ja nicht der Eindruck entsteht, dass hier gemauschelt wurde, fügt PwC hinzu: „Die Beschäftigung von Frau Wulff stand in keinem Zusammenhang mit geschäftlichen Beziehungen von PwC zur Landesregierung.“ Abwegig wäre ein solcher Zusammenhang nicht: PwC und das Land Niedersachsen sind auf vielfältige Weise miteinander verbandelt.
Als die Landesregierung jüngst nach einer Kleinen Anfrage der Grünen-Fraktion Auskunft über die Beziehungen zu dem Prüfkonzern geben musste, füllte die Antwort ein halbes Dutzend Seiten. PwC prüft Krankenhäuser, Theaterbetriebe, Behörden.
Und nicht zu vergessen ist ein lukrativer Auftrag eines Konzerns, auf den das Land maßgeblichen Einfluss hat: VW. Im Aufsichtsrat von Europas größtem Autohersteller saß lange Christian Wulff. Auch als der Konzern von einer Rotlichtaffäre erschüttert wurde, die bei genauerer Prüfung möglicherweise hätte früher erkannt werden können, behielt PwC das Mandat.
Anflug von Reue
Über Winkeljohanns Nachbarschaftshilfe berichtete der „Stern“ vor wenigen Tagen. Schon Wochen zuvor hatte die „Morgenpost Online“ den PwC-Chef beim Weltwirtschaftstreffen in Davos mit den Vorgängen um Christiane Wulff konfrontiert. Damals erweckte dieser den Eindruck, als gebe es keinerlei Zusammenhang zwischen der Tätigkeit von Frau Wulff für Schindhelm und PwC. Heute sagt Winkeljohann: „Ich bedauere es, dass meine Äußerungen missverständlich waren.“
In der Frankfurter PwC-Zentrale ist inzwischen sogar ein Anflug von Reue zu erkennen. „Im Nachhinein wäre eine Direktanstellung sachgerechter gewesen. Faktisch gab es keinen Grund, weshalb Frau Wulff nicht direkt bei PwC hätte eingestellt werden können.“
Wohlgeordnetes Arbeitsverhältnis – seit vier Tagen
Einsilbiger zeigt sich der Konzern bei der Frage, ob Christiane Wulff eine angemessene Vergütung erhalten habe und ob ihre Leistungen dokumentiert seien. „Grundlagen eines Arbeitsverhältnisses“ dürften „aus rechtlichen Gründen nicht offengelegt werden“.
Die Tätigkeiten der Schindhelm-Angestellten bei PwC hätten „beispielsweise die Gebiete Genossenschaftsrecht, Unternehmensnachfolge und Stiftungen“ umfasst. Zuvor hatte es geheißen, Frau Wulff habe PwC-Experten unterstützt, Vorträge an der Universität Osnabrück vorzubereiten.
Diese Hochschule führt Norbert Winkeljohann als Honorarprofessor. Der betont wiederholt, dass der zurückgetretene Bundespräsident vom Engagement seiner Ex-Frau nichts gewusst habe. Und auch das Arbeitsverhältnis zu Frau Wulff ist inzwischen wohlgeordnet: Sie arbeitet seit nunmehr vier Tagen bei PwC – und nicht mehr bei Schindhelm.