Joachim Gauck gab sich ganz unstaatsmännisch. Im offenen Hemd und sichtlich überwältigt von dem gewaltigen Medienansturm präsentierte sich der designierte Bundespräsident am Freitagabend in Fürth zum ersten Mal seit seiner Nominierung einer größeren Öffentlichkeit.
Lediglich die überall präsenten Sicherheitsleute, die emsig bemüht waren, die Journalisten in dem engen Jugendstil-Gebäude im Zaum zu halten, ließen etwas von der Prominenz des Berliner Gastes erahnen.
Schon vor einem Jahr hatte der frühere Chef der Stasi-Unterlagenbehörde in Fürth den Abschluss seiner Lesereise geplant, bei der er sein Buch „Winter im Sommer – Frühjahr im Herbst“ vorstellte.
Eine Absage kam dem 72-Jährigen auch nach seiner Nominierung für das höchste Staatsamt wohl gar nicht in den Sinn. Die Veranstalter platzten geradezu vor Stolz über den prominenten Gast und sprachen von einem „historischen Moment“ in der Geschichte der Fürther Comödie.
"Ich habe noch ein anstrengendes Leben vor mir“
Gauck bemühte sich sichtlich, möglichst wenig präsidial zu wirken. Als sein Schlusswort dann doch etwas getragen herüberkam, rief er sich selbst schmunzelnd zur Mäßigung auf. „Da bin ich schon bei großen Gefühlen, als käme ich von woanders her“, rief er ins lachende Publikum.
Auf seine künftige Rolle als deutsches Staatsoberhaupt ging Gauck während der knapp zweistündigen Lesung nur mit kurzen Bemerkungen ein. So meinte der 72-Jährige, der zusammen mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt und seiner erwachsenen Tochter Gesine nach Fürth gekommen war, räuspernd gegen Ende der Lesung: „Ich muss mich schonen, ich habe noch ein anstrengendes Leben vor mir.“ Aktuelle Politik ließ Gauck gänzlich unkommentiert.
Der bemerkenswerteste Moment war wohl der, als Gauck seine Tochter Gesine völlig überraschend dem Publikum vorstellte. Als er aus dem Buchkapitel las, in dem er den Entschluss seiner Tochter schilderte, anders als ihre Brüder in der DDR zu bleiben, warf er der in der ersten Reihe sitzenden Frau einen Blick zu und bat sie aufzustehen: „Das ist meine Tochter Gesine. Sie ist extra aus Bremen gekommen, um ihren Vater lesen zu hören.“
"Ich übe jetzt mal in Fürth"
Weiter wolle er sich nicht zu seinen Privatleben äußern. Gaucks langjährige Lebensgefährtin, die Nürnberger Journalistin Daniela Schadt , nahm den Rummel um ihre Beziehung zu Gauck am Freitag mit Humor. So richtig realistisch sei das für sie noch nicht, wahrscheinlich bald die Frau an der Seite des elften Bundespräsidenten zu sein.
Dass sie bald beim gemeinsamen Dinner mit Michelle Obama sitzen könnte, kommentierte sie mit den Worten: „Ich übe jetzt mal in Fürth, danach kann mich nichts mehr aus den Schuhen heben.“
Der 72-jährige Gauck, der am vergangenen Sonntag von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen nach dem Rücktritt von Christian Wulff als Konsenskandidat für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen worden war, hat seit zwölf Jahren eine Beziehung mit Daniela Schadt (52), ist aber nicht geschieden. Mit seiner Ehefrau Hansi hat Gauck vier erwachsene Kinder. Die Ehe war nach der Wende in der DDR 1989 zerbrochen.
In seiner Rede beklagte Joachim Gauck die Geschichtsvergessenheit der heutigen Jugend. Vor allem an Kenntnissen über die osteuropäische Geschichte mangele es bei vielen Jugendlichen. „Ich kann nicht glauben, dass manche die Stasi nicht kennen.“
Generell fehle es im heutigen Europa an einer Auseinandersetzung mit dem Osteuropa des Kalten Krieges. „In Europa wird gerade so getan, als ob es nur eine Erinnerung an eine westdeutsche Geschichte gibt, nicht aber auch eine osteuropäische.“
Am Montag Vorstellung in den Parteigremien
In Berlin geht der 72-Jährige am Montagmorgen als erstes in die Bundesvorstandssitzung der CDU. Anschließend wird er im SPD-Vorstand erwartet. Am Dienstag will Gauck dann die Fraktionen von Union, SPD, FDP und Grünen besuchen.
Auch die Linke möchte mit ihm ins Gespräch kommen. Sie war als einzige im Bundestag vertretene Partei von Merkel nicht in die Kandidatensuche einbezogen worden. „Wir werden Herrn Gauck selbstverständlich einladen“, sagte Parteichef Klaus Ernst der „Leipziger Volkszeitung“. „Dann werden auch die Punkte zur Sprache kommen, an denen wir unterschiedlicher Auffassung sind, zum Beispiel seine Pro-Banken-Haltung in der Finanzkrise.“
Gaucks Sprecher Andreas Schulze sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Dann finden wir für die Linke zeitnah einen Termin.“ In einer Spitzenrunde hatte die Linke am Donnerstag entschieden, einen eigenen Kandidatenvorschlag zu machen.
"Es entsteht ein neues Kraftzentrum“
Die Entscheidung fällt voraussichtlich am Montag. Im Gespräch sind die Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld, der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge und die Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen. Die Linke stellt etwa 10 Prozent der Wahlleute in der Bundesversammlung.
Gauck wird nach Ansicht des Kieler FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki als Bundespräsident den Politikbetrieb in Deutschland verändern. „Es entsteht ein neues Kraftzentrum“, sagte er „Focus Online“. „Ich bin sicher, ein Bundespräsident Gauck wird Deutschland gut tun. Er wird der Demokratie gut tun, denn die öffentliche Dominanz von Angela Merkel wird abnehmen.“
Gauck selbst hat noch vor seiner Nominierung die Ansicht geäußert, der Bundespräsident sollte „keine Schau abziehen“. In einem jetzt veröffentlichten Interview des ARD-Kulturmagazins „ttt – titel, thesen, temperamente“ sagte er: „Bei der 'Institution Bundespräsident', wo kaum Macht existiert, erwarten wir Glaubwürdigkeit. Wie erlangt man sie? Man sollte bei sich sein. Man sollte keine Show abziehen. Und man darf zeigen, dass man die Werte, auf denen unsere Gesellschaft, unser Land beruht, ernst nimmt.“