Ohne gewaltsame Auseinandersetzungen ist am Freitag die von „Stuttgart 21“-Gegnern besetzte Baustelle am Hauptbahnhof der baden-württembergischen Landeshauptstadt geräumt worden. Rund 600 Demonstranten hatten über Nacht vor dem Südflügel ausgeharrt, der demnächst für den geplanten Tiefbahnhof abgerissen werden soll. Nach fünf Stunden war die von 1.700 Polizisten abgesicherte Räumung beendet.
Zwei Stunden nach Beginn des Großeinsatzes führten oder trugen die Polizisten rund 250 Projektgegner weg, die nicht freiwillig gegangen waren. Sie erhielten einen Platzverweis und müssen mit einem Ordnungsgeld rechnen. Zwei Personen wurden nach Polizeiangaben in Gewahrsam genommen. Zuvor hatten die Beamten die Demonstranten mehrfach aufgefordert, ihre Sitzblockade zu beenden.
Polizeipräsident Thomas Züfle äußerte sich zufrieden mit dem Einsatz. Das Ziel, dass alles ruhig bleibt, sei erreicht worden, sagte er. Die Demonstranten hätten ihre Proteste friedlich eingestellt.
Die Polizei hatte sich sehr bemüht, eine Eskalation wie bei den Baumfällarbeiten am 30. September 2010 zu vermeiden. Damals hatte sie Wasserwerfer und Pfefferspray eingesetzt; mehr als 100 Menschen wurden verletzt. Seitdem ist von einem „Schwarzen Donnerstag“ die Rede. Die neue grün-rote Landesregierung wollte Bilder von blutenden und weinenden Demonstranten wie unter der damaligen schwarz-gelben Koalition unbedingt vermeiden.
In dem Seitenflügel sollte im Laufe des Tages die Entkernung des Gebäudes beginnen soll. Ziel des milliardenschweren Bauvorhabens „Stuttgart 21“ ist es, den oberirdischen Kopfbahnhof durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof zu ersetzen.
Schlossgarten-Räumung noch offen
Der Polizeieinsatz im Schlossgarten hat hingegen noch nicht begonnen. Die Bahn muss dort 176 Bäume für das Bahnprojekt fällen oder umsetzen. Ihr fehlt aber noch die Genehmigung dazu. Wann diese vom Eisenbahn-Bundesamt erteilt wird, ist unklar. Solange diese nicht vorliegt, sind dort Bauarbeiten verboten.
Die Polizei hatte es deshalb abgelehnt, das Protestcamp zu räumen, wenn nicht unmittelbar danach dort gebaut wird. Vor dem 23. Januar wird es laut einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Stuttgart dort keine Räumung geben. Es muss noch über Eilanträge gegen das Aufenthalts- und Betretungsverbot für den Schlossgarten entscheiden.
Nächtlicher Stuttgart-21-Einsatz im Minutenprotokoll
Die Stuttgarter Polizei hat am frühen Freitagmorgen den Weg frei gemacht für den nächsten Bauabschnitt des geplanten Tiefbahnhofs. Die Nachrichtenagentur dpa dokumentiert den Verlauf der nächtlichen Aktion:
0.30 Uhr: Mehrere hundert Demonstranten treffen sich am Stuttgarter Hauptbahnhof.
0.37 Uhr: Die Polizei Stuttgart twittert, bis jetzt sei keine angemeldete Versammlung bekannt.
0.39 Uhr: Die Polizei Stuttgart twittert: „Aufgrund des hohen Personenaufkommens auf der Straße Am Schloßgarten vor den Hauptbahnhof ist eine Fahrbahnseite gesperrt.“
1.15 Uhr: Rund 600 Demonstranten hat die Bundespolizei nach Angaben eines Sprechers gezählt. Die Stimmung gegenüber den Beamten sei aufgeheizt.
2.37 Uhr : Eine Versammlung der Projektgegner am Südflügel wird nach Polizeiangaben von der Stadt verboten.
2.50 Uhr: Erste Polizisten mit Blaulicht werden im Schlossgarten gesichtet.
2.59 Uhr: Polizisten laufen zum Südflügel.
3.05 Uhr: Der Polizeieinsatz am Südflügel hat offiziell begonnen.
3.19 Uhr: Mit Lautsprecherdurchsagen fordert die Polizei die Demonstranten vor dem Südflügel auf, die Straße „Am Schlossgarten“ zu verlassen.
3.45 Uhr: Die Polizei teilt mit: Der Einsatz verlief bislang störungsfrei.
3.50 Uhr: Der Stuttgarter Polizeipräsident Thomas Züfle sagt: „Die Polizei hat die Lage im Griff.“
4.00 Uhr: Als neuer Versammlungsort wird den Demonstranten der Mittlere Schlossgarten zur Verfügung gestellt, wie die Polizei über Twitter und Facebook mitteilt.
4.01 Uhr: Ein Kehrfahrzeug der städtischen Müllabfuhr reinigt die Straße vorm Südflügel und umfährt dabei die Polizistengruppen.
4.40 Uhr: Die Polizei räumt eine Barrikade aus Holz, Paletten und Möbeln auf der Seite zur Innenstadt; zuvor hatten die Einsatzkräfte bereits eine andere Barrikade entfernt.
5.15 Uhr: Die Polizei hat nach eigenen Angaben bislang zwei S-21-Gegner wegen Besitzes von Pfefferspray und einer Beleidigung festgenommen.
5.30 Uhr: Die Einsatzkräfte beginnen damit, die Sitzblockaden zu räumen
7.00 Uhr: Die Bahn lobt den Polizeieinsatz. „Ich bin zufrieden, dass nichts eskaliert ist“, sagt der Konzernbevollmächtigte für Baden-Württemberg, Eckhart Fricke.
7.25 Uhr: Die Sitzblockaden sind weitgehend beendet. Zwei Demonstranten haben sich mit Fahrradschlössern an ein Fenstergitter des Südflügels gekettet.