Rede von Heinz Fromm

Vom Rechtsextremismus zum Rechtsterrorismus

| Lesedauer: 11 Minuten

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In einer Grundsatzrede spricht Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm über den Rechtsterrorismus in Deutschland. Die Rede liegt Morgenpost Online exklusiv vor

Sehr geehrter Herr Präsident Dr. Graumann,

lieber Herr Kramer, meine sehr verehrten Damen und Herren,

vor 11 Jahren hat Paul Spiegel in seiner Festrede zum 50-jährigen Bestehen des Bundesamtes für Verfassungsschutz folgendes gesagt:

„Die Anschläge und Gewaltakte der letzten Wochen und Monate – und dabei denke ich nicht nur an solche gegen jüdische Einrichtungen hier in Deutschland, sondern auch gegen andere Angehörige von Minderheiten oder Randgruppen – lassen mich daran zweifeln, dass in den mehr als 50 Jahren des Bestehens dieser Bundesrepublik Deutschland die richtigen Lehren aus der Vergangenheit wirklich gezogen wurden.“

Das wirkt bedrückend aktuell in Anbetracht der schrecklichen Erkenntnisse über die Mordserie und die Anschläge, die eine Neonazi-Gruppe aus Thürin-gen in den vergangenen Jahren verübt hat.

Meine Damen und Herren,

die Gewalt ist im Rechtsextremismus enthalten, wie das Gewitter in der Wolke, so möchte ich einen bekannten Satz von Jean Amery umformulieren. Das muss man wissen, wenn Rechtsextremisten wie der neugewählte Vorsitzende der NPD, Holger Apfel, von einer „seriösen Radikalität“ sprechen und im gleichen Atemzug die Gleichwertigkeit von Menschen in Abrede stellen.

Die rechtsextremistische Gewalt ist kein Phänomen Ostdeutschlands. Sie ist auch keines der Wiedervereinigung. Die Terrorakte der Wehrsportgruppe Hoffmann, der „Deutschen Aktionsgruppen“ eines Manfred Roeder oder der Hepp-Kexel-Bande aus den 1970er und 80er Jahren sind leider im kollektiven Gedächtnis weit weniger präsent als diejenigen von Linksterroristen.

Das erste Jahrzehnt nach der Vereinigung Deutschlands hat einen Wandel im Rechtsextremismus gebracht, dessen Spuren und Folgen bis in unsere Zeit reichen. Hier bildeten sich die Konturen einer „Generation Hoyerswerda“, wie die Tageszeitung „Die Welt“ formulierte und die „taz“ dazu veranlasste, von der Terrorgruppe „Nationalsozialistischen Untergrund“ als einem Produkt der 1990er Jahre zu sprechen.

Für den aktuellen Befund ist es wichtig, diese Genese zu kennen.

Zu Beginn der 1990er Jahre haben wir einen bis dahin nicht gekannten Aus-bruch rechtsextremistischer Gewalt erlebt. Asylbewerberheime brannten, ebenso die Wohnhäuser von Ausländern. Hünxe, Solingen und Mölln mit einer Vielzahl von Toten stehen hier beispielhaft. In Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen erzeugte ein von Rechtsextremisten organisierter Mob eine pogromartige ausländerfeindliche Stimmung, unter dem Beifall eines Teils der unmittelbaren Nachbarschaft.

1998 wurde ein Sprengstoffanschlag auf das Grab des früheren Vorsitzenden des Zentralrats, Heinz Galinski verübt, 1999 auf die Wehrmachtsausstellung in Saarbrücken. In Jena stellte eine Gruppe von Neonazis 1998 funktionsfähige Rohrbomben her und entzog sich der Festnahme durch Flucht in den Untergrund – mit all den Folgen, die wir heute kennen.

Der Rechtsextremismus ist in dieser Zeit jünger, aktionsorientierter und militanter geworden. Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte verfügte er mit den Skinheads über eine Art Jugendbewegung. Die NPD radikalisierte sich. Nach seiner Wahl im Jahr 1996 öffnete der neue Vorsitzende die Partei für Neonazis und reihte sie in das ein, was die Szene „nationaler Widerstand“ nennt: eine Aktionseinheit von NPD, Neonazis und Skinheads, eine Politik, die die Partei bis heute unvermindert fortsetzt. Rechtsextremisten propagierten offensiv den „Kampf um die Straße“. In manchen Dörfern und Stadtteilen in Ostdeutschland forderten sie „national befreite Zonen“ und schikanierten Ausländer und politische Gegner. Es etablierte sich ein enges Geflecht an Kameradschaften und informellen Gruppen, von Musikgruppen, Konzerten und Publikationen, mit denen fremdenfeindliche und antisemitische Thesen popularisiert wurden. In der Szene wurde die Schrift „Eine Bewegung in Waffen“ verbreitet, in der das Wehrwolfkonzept erläutert wurde (kleine, im Untergrund agierende Einheiten unter gemeinsamer Führung). Militante Rechtsextremisten erklärten die englisch-terroristische Organisation Combat 18 zum Vorbild. Andere propagierten die von dem US-Amerikaner Louis Beam entwickelte Konzeption des „leaderless resistance“ (eines „führerlosen Widerstands“) bei dem die einzelnen Zellen unabhängig voneinander Straftaten begehen, verbunden durch eine gemeinsame rassistische Ideologie.

Meine Damen und Herren,

mit den „al-Qaida“-Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA und später in Madrid und London ist die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in den Vordergrund getreten – politisch, medial und auch si-cherheitsbehördlich. Die veränderte Schwerpunktsetzung war zwingend angesichts der Dimension des transnationalen Terrorismus.

Die Bedeutung der Bekämpfung des Rechtsextremismus war uns gleichwohl weiter bewusst.

Es war klar, dass sich die Situation im Rechtsextremismus nicht grundlegend verändert hatte. Die Zahl rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten blieb hoch, ebenso diejenige der gewaltbereiten Rechtsextremisten (aktuell: 9.500). Nach wie vor existierten eine starke subkulturelle Szene und ein Geflecht in-formeller Neonazigruppen. Mit ihnen kooperiert eine NPD, die auf die Unterstützung von Neonazis angewiesen ist und etlichen von ihnen Posten und Pfründe verschafft hat, eine Partei, in der auf der einen Seite Neonazis in den Führungsgremien sitzen und die auf der anderen Seite bestrebt ist, sich ein bürgernahes Image zu geben. All diese Faktoren prägten den Rechtsextre-mismus nicht nur zu Beginn des neuen Jahrhunderts, das gilt bis heute.

Daneben hat es auch immer wieder schwere rechtsextremistische Gewalttaten gegeben. (Beispielsweise wird im Verfassungsschutzbericht 2005 über zwei Seiten zum Rechtsterrorismus berichtet.). Im Visier der Gewalttäter standen vor allem jüdische Einrichtungen und türkische Geschäfte. Erinnert sei an den 2003 geplanten Bombenanschlag anlässlich der Grundsteinlegung des jüdischen Gemeindezentrums in München, vorbereitet von einer Neonazigruppe. Bereits 2000/2001 hatte eine „Nationale Bewegung“ Brandanschläge auf türkische Imbissstände und auf die Trauerhalle eines jüdischen Friedhofs verübt. 2005 wurden die Mitglieder des „Freikorps Havelland“ wegen Gründung und Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung verurteilt, nachdem sie Brandanschläge gegen türkische und asiatische Imbissstuben und Geschäfte verübt hatten.

Meine Damen und Herren,

das rechtsextremistische Personenpotenzial sinkt seit Jahren, während die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten sich erhöht hat, wodurch ihr Anteil und ihr Einfluss ansteigen. Dies geht im Besonderen auf die „Autonomen Nationalisten“ zurück, die Teil der Neonaziszene sind. Sie setzen Gewalt geplant gegen politische Gegner und Polizei ein. Neonazis versuchten 2010 mit selbsthergestellten Splitterbomben an einer Demonstra-tion zum 1. Mai in Berlin teilzunehmen, um sie gegen Polizei und politische Gegner einzusetzen. Neonazistische Brandanschläge auf Partei- und Bürgerbüros sind Versuche, das demokratische Leben zu stören und den politischen Gegner einzuschüchtern.

Meine Damen und Herren,

der Verfassungsschutz unternimmt große Anstrengungen, um die rechtsext-remistische Szene auszuleuchten und zu kontrollieren. Gleichwohl ist es uns und den Sicherheitsbehörden insgesamt weder gelungen, das Abtauchen der Mitglieder des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ zu verhindern noch Hinweise auf Unterstützer zu erhalten. Vor allem aber wurde die Mordserie nicht als rechtsextremistisch erkannt, nicht zuletzt auch weil es keine Tatbe-kennungen gegeben hat, anders als zum Beispiel bei den Anschlägen einer „Nationalen Bewegung“ in den Jahren 2000/2001.

Für unsere Arbeit aber gibt es einen weiteren wichtigen Punkt. Wir haben die jetzt bekannt gewordenen Täter nicht wirklich verstanden. Wir haben die Dimension ihres Hasses ebenso unterschätzt wie ihren Willen zur Tat. Die Ermordung von Menschen aus dem einzigen Grund, weil sie als „fremdländisch“ empfunden werden, passt in die Gedankenwelt der rassistischen Täter. Das wussten wir. Und wir konnten uns das als Bombenanschlag oder als Brandstiftung vorstellen, aber nicht als eine kaltblütige Exekution. Dabei hätte man es durchaus besser wissen können. Schließlich kennen wir die historischen Vorbilder dieser Leute. Wir wissen um die Skrupellosigkeit mit der sie einen Völkermord begangen und einen Kontinent in Brand gesetzt haben.

Terrorismus braucht einen Resonanzboden. Er braucht Unterstützer und Sympathisanten.

Dies war auch bei der Zwickauer Zelle so. Noch laufen die Untersuchungen, um festzustellen, wie groß der Unterstützerkreis gewesen ist.

Aktuelle Einträge auf rechtsextremistischen Web-Seiten lassen nicht den Schluss zu, dass die Empörung über die Mordserie dort geteilt wird. Im Gegenteil. Wenn die Taten nicht verschwörungstheoretisch den Sicherheitsbehörden zugeordnet werden, gibt es auch Zustimmung – von einem inzwischen hinreichend zitierten Songtext bis hin zu T-Shirts mit dem Aufdruck „Killer Döner nach Thüringer Art“.

Diese Szene, neonazistisch und gewaltbereit, muss weiter aufgeklärt werden, mit allen zur Verfügung stehenden nachrichtendienstlichen Mitteln. V-Leute sind dabei unverzichtbar. Das in Zwickau aufgefundene Material muss intensiv ausgewertet werden, insbesondere im Hinblick auf rechts-extremistische Angriffsobjekte. Hierzu zählen auch die Datensammlungen, wenngleich daraus keine unmittelbare Gefährdung abzuleiten ist.

Terroristen wähnen sich als Vollstrecker eines geschichtlichen Projekts oder auch schlicht des Volkswillens.

Ich habe bereits ausgeführt, Rechtsterrorismus ist kein ostdeutsches Problem. Fremdenhass ist es auch nicht. Aus sozialwissenschaftlichen Studien ergibt sich aber auch, dass 20 Jahre nach der Vereinigung fremdenfeindliche Einstellungsmuster dort immer noch wesentlich weiter verbreitet sind als in Westdeutschland. Dies erfährt seine Widerspiegelung in den anhaltend hohen Zahlen fremdenfeindlicher Straftaten.

Die Frage nach dem Nährboden für Fremdenhass und Antisemitismus, für den Hass auf die Demokratie muss gestellt werden. Die extremistischen Brandstifter müssen benannt werden. Wir dürfen uns nicht nur auf den militanten Rechtsextremismus konzentrieren. Es ist in höchstem Maße bedenklich, wenn die NPD in einigen Regionen als eine „normale“ Partei wahrgenommen wird.

Die Bekämpfung des Rechtsextremismus braucht staatliche Repression und Prävention. Hier ist in den letzten Tagen vieles in Gange gesetzt worden, was die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden mit der Polizei und un-tereinander verbessern wird. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist eine Daueraufgabe für uns alle. Dies auch im Bewusstsein aller zu verankern ist ein Ziel, um das wir uns auch dann bemühen sollten, wenn das Thema Rechtsextremismus nicht im Fokus der Öffentlichkeit steht.

( WON )