Anfang September, Hamburger Stadtteil St.Georg: Das Telefon klingelt. Eine Frau nimmt ab. Am anderen Ende der Leitung meldet sich ihr Ehemann, der laut einem Pressebericht seit einem Jahr nicht mehr am Leben ist – der mutmaßliche Islamist Naamen Meziche. Der Algerier mit französischem Pass hatte Hamburg im März 2009 verlassen, und war mit einer Gruppe Gleichgesinnter in den "Heiligen Krieg" nach Pakistan gezogen.
Im Stammesgebiet Waziristan schloss sich Meziche der al-Qaida an. Aus dem ehemaligen Taxifahrer aus Hamburg wurde ein Krieger Allahs, bis er im Oktober 2010 bei einem US-Drohnenangriff getötet wurde - angeblich. Doch der Anrufer, der sich im September per Telefon aus Pakistan meldet, klingt quicklebendig. Naamen Meziche sagt seiner Ehefrau, er habe genug vom Dschihad und wolle nach Deutschland zurückkehren, fürchte jedoch eine Haftstrafe. Wie er zurückkommen werde, wisse er noch nicht. Er werde sich wieder melden.
Dschihadistischer Netzwerker mit beachtlichen Kontakten
Den Anruf des totgeglaubten Gotteskriegers haben die deutschen Sicherheitsbehörden mit großem Interesse registriert. Denn Naamen Meziche ist nicht irgendeine Person aus der islamistischen Szene - der 41jährige ist ein dschihadistischer Netzwerker, einer der sich im Hintergrund hielt, dessen Freundeskreis jedoch beachtlich war. Ein Dschihadist, dessen Biografie kaum brisanter sein könnte.
Meziche, 1970 in Paris geboren, ist Sohn algerischer Einwanderer und besitzt neben der französischen auch die algerische Staatsbürgerschaft. Jahrelang lebte er in Algerien, bis das nordafrikanische Land in den 90er-Jahren in einem blutigen Bürgerkrieg versank. Auch Meziches Familie wurde Opfer des Konflikts zwischen Regierung und islamistischen Oppositionellen.
Ein Bruder Meziches schloss sich Anfang der 90er-Jahre in Algerien einer Kampfgruppe an und zog gegen das Regime in den Krieg. Er wurde 1996 von algerischen Sicherheitskräften erschossen. Bereits ein Jahr zuvor wurden Naamen Meziches Vater und ein weiterer Bruder vom algerischen Geheimdienst verhaftet und verschleppt. Beide sind bis heute verschwunden.
Naamen Meziche floh vor den Unruhen in Algerien und immigrierte 1992 nach Deutschland Er siedelte sich in Hamburg an und heiratete die Tochter des prominenten marokkanischen Predigers Sheikh Mohammed al-Fazazi, mit der er zwei gemeinsame Kinder hat.
Häufige Besuche in berüchtigter Al-Quds-Moschee
Fazazi, der auch in Hamburg als Gastprediger auftrat und schon die Todespiloten vom 11.September 2001 radikalisierte, war in Marokko als mutmaßlicher Drahtzieher der Anschläge von Casablanca zu 30 Jahren Haft verurteilt worden. Der Sheikh gilt inzwischen als reuig und kam im Frühjahr dieses Jahres durch eine Amnestie frei.
Ende der 90er-Jahre verkehrte Naamen Meziche immer häufiger in der berüchtigten Al-Quds-Moschee am Steindamm, in der auch sein Schwiegervater Sheikh Fazazi auftrat. Hier, in einem unscheinbaren Gebäude zwischen Asia-Restaurant und Fitnessstudio, beteten zur gleichen Zeit die 9/11-Todespiloten Mohammed Atta und Ziad Jarrah. Sie sollen gute Bekannte von Meziche gewesen sein.
Enger Kontakt zu 9/11-Terrorhelfer Mounir El-Motassadeq
Wie eng der Kontakt des Algeriers zum Umfeld der Hamburger Al-Qaida-Zelle tatsächlich war, ist bis heute undurchsichtig. Fest steht: Naamen Meziche kannte die Attentäter und ihre Helfer. Zwischen 1996 und 1997 arbeitete er als Flugzeugbelader am Hamburger Flughafen. Einer seiner engsten Kollegen: 9/11-Terrorhelfer Mounir El-Motassadeq .
Im August 2001, nur einen Monat vor den Terroranschlägen in New York und Washington, soll Naamen Meziche für einige Wochen aus Hamburg verschwunden sein. Wo sich der Islamist aufhielt, ist unbekannt. Kurz vor seinem Verschwinden soll er Kontakt zum 9/11-Logistiker Ramzi Binalshibh gehabt haben.
Reise nach Irak endet in Syrien
Erst im Zuge der Ermittlungen gegen die Hamburger Zelle um Mohammed Atta ist Naamen Meziche ins Visier der Hamburger Sicherheitsbehörden geraten. Ob er ein aktiver Netzwerker war, oder ein Mitläufer, sei allerdings nicht ganz klar gewesen.
Klar war in den Folgejahren nach 9/11 vor allem eines: Meziche war mehr als nur ein stiller Freund und etwaiger Sympathisant der islamistischen Fanatiker. Er wollte selbst kämpfen. Zusammen mit fünf weiteren Personen aus Hamburg wollte er sich im Jahr 2003 im Irak am Dschihad gegen die US-Truppen beteiligen. Bis nach Syrien reiste Meziche, dort allerdings scheiterte die Weiterreise.
Ab 2003 gilt Meziche als "Gefährder"
Aufgrund dieser Bestrebungen, aktiv in den Kampf zu ziehen und aufgrund seines radikalen Umfeldes, führten deutsche Sicherheitsbehörden Naamen Meziche ab 2003 als terroristischen „Gefährder“. Mehrfach fiel sein Name auch in Zusammenhang mit Ermittlungen gegen islamistische Netzwerke, die Rekruten von Europa aus in den Irak schleusten.
Die Beweise reichten allerdings nie aus, um Naamen Meziche anzuklagen. Ein Ermittlungsverfahren wegen „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ aus dem Jahr 2004 wurde später eingestellt.
Wohl wissend, dass ihn Geheimdienste und Sicherheitsbehörden im Blick hatten, zögerte Meziche, 2006 nach Algerien zu reisen. Er ließ über die Familie vor Ort nachfragen, ob die Behörden ihn im Fall der Einreise verhaften würden. Es läge kein Haftbefehl gegen ihn vor, so die Antwort aus Algerien.
Folterhaft in Algerien
Am 6. Januar 2006 flog Meziche von Frankfurt in die algerische Haupstadt Algiers. Noch am Flughafen klickten die Handschellen. Meziche wurde festgenommen. Als ihn die Familie in der Haft besuchen wollte, erfuhr sie den Grund der Festnahme: Dem Hamburger wurden „Terroraktivitäten“ im Ausland vorgeworfen.
Nach Protesten von „Amnesty International“ gegen die Folterhaft, wurde Meziche im Zuge einer Generalamnestie am 3. März 2006 entlassen und kehrte nach Deutschland zurück.
Im Umfeld der von Meziche häufig besuchten „Al-Quds Moschee“ entstand Ende 2008 eine kleine Gruppe gewaltbereiter Muslime, die den dringenden Wunsch hegten, in den Dschihad zu ziehen. Die neun Männer und zwei Frauen – darunter Araber, Iraner, Deutsch-Afghanen, zwei Konvertiten – schmiedeten bei konspirativen Treffen Pläne, in die Terror-Ausbildungslager in Pakistan zu reisen.
Reise in den "Heiligen Krieg" im Jahr 2008
Naamen Meziche, der laut Ermittlern eine „Respektsperson“ innerhalb der Islamisten-Szene in Hamburg war, soll anfangs nicht Teil dieser Islamisten-Reisegruppe gewesen sein. Erst kurz vor der Abreise nach Pakistan, sollen ihn die Glaubensbrüder gefragt haben, ob er Interesse an einem Trip in den „Heiligen Krieg“ habe. Naamen Meziche hatte Interesse.
Am 5. März 2009 verließ der Franco-Algerier Hamburg. Er wolle zur Pilgerfahrt nach Saudi-Arabien fliegen, sagte Meziche seiner Frau, dann verschwand er. An der Seite des Deutsch-Syrers Rami Makanesi flog er in die iranische Hauptstadt Teheran. Mit dem Bus fuhr das Duo anschließend weiter nach Zahedan, eine Grenzstadt zu Pakistan, die als Zwischenstation für ausländischer Dschihadisten gilt.
Das eigentliche Ziel der Reise war die pakistanische Stammesregion Waziristan. Hier trafen in folgenden Wochen nach und nach die Mitglieder der „Hamburger Reisegruppe“ ein und teilten sich auf die unterschiedlichen Terrorlager auf.
"Abu Warra" fühlte sich unter usbekischen Terroristen unwohl
Meziche, der sich in Waziristan „Abu Barra“ nannte, und sein Freund Rami Makanesi landeten zunächst bei der „Islamischen Bewegung Usbekistans“ (IBU). In der von Usbeken dominierten Terrorgruppe fühlte sich der Araber Meziche offensichtlich von Anfang an nicht wohl.
„Naamen wollte weg, weil die Usbeken nicht seine Sprache sprechen“, berichtete der Weggefährte Makanesi den Ermittlern im Verhör, „Er ist noch am selben Tag gegangen.“
In Kreisen der Sicherheitsbehörden wird vermutet, dass sich Naamen Meziche früh von der IBU lossagte und sich stattdessen der al-Qaida anschloss. Unter dem Kommando eines ägyptischen Al-Qaida-Mannes namens „Jaffar“ soll Naamen Meziche in den Sommermonaten 2009 an Waffen ausgebildet worden sein. Mit den aus Hamburg angereisten Glaubensbrüdern kam er danach nur noch gelegentlich, zum gemeinsamen Essen oder Gesprächen am Lagerfeuer, zusammen.
Wo genau sich Naamen Meziche in den vergangenen zwei Jahren aufhielt, ist nur teilweise bekannt. Sporadisch fingen deutsche Ermittler Lebenszeichen Meziches, häufig in Form von E-Mails und Telefonaten, ab. Im Juli 2009 beispielsweise, als Meziche im pakistanischen Islamabad insgesamt 880 Euro von seinem Konto abhob.
Medienbericht über Tod in Waziristan im Oktober 2010
Seiner in Hamburg lebenden Frau sagte er im vergangenen Jahr, sie solle sich nicht um ihn sorgen, auch wenn sie lange nichts mehr von ihm hören werde. Die Lage habe sich verändert, die Mudschaheddin müssten ihre Stützpunkte verlassen und in die Berge ziehen.
Tatsächlich gab es daraufhin monatelang kein Lebenszeichen mehr von Meziche. War er tot? Hatten ihn die Pakistaner verhaftet? Am 4. Oktober 2010 dann die Pressemeldung: Mehrere deutsche Islamisten seien bei einem US-Drohnenangriff auf ein Haus in der Ortschaft Mir Ali in Waziristan getötet worden – unter den Opfern befanden sich einem Medienbericht zufolge der Hamburger Shahab D, der Wuppertaler Bünyamin E. und Naamen Meziche.
Angst vor Gefängnis in Deutschland
Eine offizielle Bestätigung für den Tod Meziches gab es jedoch nie, weder von Seiten einer Terrorgruppe noch von Seiten deutscher Geheimdienste. Die Zweifel am Tod des Franzosen wuchsen. „Wir wissen dass er lebt“, heißt es aus Kreisen der Ermittler. Die Generalbundesanwaltschaft stellt nach Informationen von „Morgenpost Online“ dennoch Anfang 2011 ein Verfahren gegen Meziche wegen „fehlendem Deutschlandbezug“ ein.
Bei seinem Anruf aus Pakistan beteurte Naamen Meziche seiner Ehefrau, er wolle zurück nach Deutschland und habe genug vom Leben als Gotteskrieger. Ins Gefängnis wolle er allerdings auch nicht. Er wolle nicht so enden wie sein ehemaliger Weggefährte Makanesi, der im Mai zu vier Jahren und neun Monaten Haft verurteilt wurde.