Bei der Abstimmung am Mittwoch wollen die meisten Abgeordneten der Kanzlerin ein Mandat für die EU-Verhandlungen erteilen. Doch nicht alle stehen hinter ihr.
Am Dienstag um neun Uhr morgens bekam der CSU-Abgeordnete Max Straubinger das Papier auf den Schreibtisch, das derzeit in Berlin für viel Aufregung sorgt. Als „Terms of Reference“ sind die vier Seiten überschrieben. Darin werden zwei Modelle beschrieben, wie der Euro-Rettungsschirm mit Hilfe eines Kredithebels sein Volumen in Billionenhöhe treiben könnte. Komplizierte Finanzmaterie. Deshalb konnte Straubinger auch nichts mit der englischen Version anfangen, die bereits zuvor im Umlauf war. „Aber das geht selbst Leuten so, die sehr gut Englisch sprechen.“
Die „Terms of Reference“ sorgten auch auf Deutsch noch für ausreichend Verwirrung. Auf ihrer Grundlage stimmen die Bundestagsabgeordneten am Mittwoch über den EFSF-Hebel ab. Doch noch am Dienstagmorgen wussten viele Parlamentarier nicht, was sie da eigentlich entscheiden. Einige dachten, es gehe bereits darum, zwei konkrete Hebelmodelle abzusegnen.
Tatsächlich wird aber nur der Verhandlungsstand der Beamten in Brüssel zusammengefasst. Danach sind zwei Varianten für die EFSF denkbar, die sich auch ergänzen könnten: Ein Versicherungsmodell, bei dem der Rettungsschirm Staatsanleihen von Euro-Ländern absichern kann. Und zweitens eine Art Fonds, in den private Anleger oder auch Staaten einzahlen können. Er wird ebenfalls über die EFSF abgesichert und kauft Staatsanleihen.
Bundestag soll Merkel ein Mandat für Brüssel erteilen
Doch viele Details sind noch offen. So haben sich die Euro-Staaten bisher nicht geeinigt, mit wie viel Prozent die Anleihen denn abgesichert werden können. Damit steht auch nicht fest, ob das Volumen der EFSF auf eine oder gar zwei Billionen Euro gehebelt wird.
Bei der Abstimmung im Bundestag geht es deshalb vielmehr darum, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein Mandat für die Verhandlungen beim EU-Rat am Mittwochabend zu erteilen. Einerseits erhält Merkel die parlamentarische Zustimmung, in Brüssel einem Hebel zuzustimmen. Andererseits zeigen ihr die Abgeordneten rote Linien auf, die sie dabei nicht überschreiten darf.
Eigentlich hätte es auch gereicht, wenn der Haushaltsausschuss sich mit der Angelegenheit befassen würde. Doch die Abstimmung im gesamten Plenum halten die Abgeordneten der Opposition auch deshalb für wichtig, weil Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bei der letzten EFSF-Entscheidung im Bundestag Fragen nach einem Hebel noch abgebügelt hatte.
Aber auch in der Koalition befürwortet man die erneute Debatte über die Euro-Rettung. „Es reicht schon, dass die Zahl eine Billion Euro in diesem Zusammenhang in den Mund genommen wurde“, sagt CSU-Politiker Straubinger. „Es kann nicht sein, dass der Haushaltsausschuss über eine Billion abstimmt und der Bundestag wegen 50 Millionen Euro für den Straßenbau zusammentritt.“
Allerdings verlangt die erneute Befassung im Bundestag den Abgeordneten viel ab. Bis 14 Uhr hatte der Gesundheits- und Sozialexperte Straubinger keine Gelegenheit, das Hebel-Papier zu studieren. Das Parlament hält für den Euro nicht den normalen Betrieb auf. Um 15 Uhr traten am Dienstag die Fraktionen zu ihren Sitzungen zusammen. Zumindest da wurde dann informiert.
In der Sitzung der Unionsfraktion gerieten die Skeptiker gegenüber einer Euro-Rettung mit Hebel überraschend stark in die Defensive. Der Abgeordnete Wolfgang Börnsen, eigentlich kulturpolitischer Sprecher, ergriff das Wort und ging die sogenannten Abweichler hart an. Es sei „unerträglich“, von diesen nun wieder in den Medien zu hören, noch bevor der Entschließungsantrag überhaupt vorgelegen habe. Wer sich der Euro-Rettung verweigere, falle damit seinen Fraktionskollegen und der Kanzlerin in den Rücken. Überhaupt solle man zu der alten Sitte zurückkehren, intern kontrovers zu diskutieren, aber anschließend geschlossen im Plenum abzustimmen.
Bosbach will dagegenstimmen
Dem widersprach Wolfgang Bosbach. Der prominenteste Kritiker der Rettungsschirme kündigte an, auch diesmal wieder dagegenzustimmen . Bosbach lieferte sich mit Börnsen dann ein regelrechtes Wortgefecht darüber, ob es sich bei der Abstimmung um den Entschließungsantrag um eine Gewissensentscheidung handele. Nein, meinte Börnsen, dies sei eine wichtige, aber doch gewöhnliche Sachfrage. Doch, erklärte Bosbach, jeder Abgeordnete entscheide selbst, was für ihn eine Gewissensentscheidung sei. Im vorliegenden Fall mache für ihn die enorme Dimension der möglichen Belastungen kommender Generationen die Abstimmung zu einer Gewissensfrage.
Merkel griff in die Debatte erst ein, als sie direkt gefragt wurde. Ein Abgeordneter wollte wissen, ob die Europäische Zentralbank (EZB) auch künftig Staatsanleihen ankaufen werde. Die Meldung, dass es eine entsprechende Vereinbarung in Brüssel gebe, hatte für Unruhe gesorgt. „Der Satz ist von Deutschland nicht akzeptiert, wie er jetzt in dem Kommunique steht“, hatte sie auch bereits vor der Sitzung gesagt.
Auch in dem Entschließungsantrag, der "Morgenpost Online“ vorliegt, wird ausgeschlossen, dass die EZB ihr Sekundärmarktprogramm fortführen kann. Das würde sie nach Ansicht der Koalition zur „Gelddruckmaschine“ machen und die Inflationsgefahr anheizen. Bei einer abschließenden Probeabstimmung votierten sieben Abgeordnete mit Nein, drei enthielten sich.
Scheitern wird der Antrag nicht
Für Merkel kann man das durchaus als hoffnungsvolles Signal werten, dass sie bei der Abstimmung im Bundestag eine eigene Mehrheit erhalten wird. Scheitern wird der Entschließungsantrag ohnehin nicht, denn die SPD und die Grünen tragen ihn mit. Der Fraktionsgeschäftsführer der Union, Peter Altmaier (CDU), hatte bis zuletzt mit der Opposition verhandelt und diese schließlich bewegt, einem gemeinsamen Entschließungsantrag zuzustimmen.
Ausdrücklich wird betont, dass durch Erhöhung der Kapazität des EFSF, also durch den geplanten Hebel, sich „das Verlustrisiko verändern kann“.
„Die Qualität des Risikos hat sich verschoben, davon gehe ich aus.“ Dieses Gefühl hatte Straubinger schon, bevor er den Wortlaut des Antrages auf der Fraktionssitzung erfuhr. Das Entscheidende, so Straubinger, lerne man aber ohnehin nicht aus offiziellen Papieren. „Das Wichtigste sind die Gespräche mit den Kollegen. Hier klärt sich vieles.“