So werben eigentlich Spitzenkandidaten der SPD: „Sozial und gerecht für Berlin“. Es ist aber nicht der Sozialdemokrat Klaus Wowereit, der sich den Slogan auf die Plakate für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September schreiben ließ. Es ist die Grüne Renate Künast. Damit alle verstehen, dass die Berliner Grünen mit ihr an der Spitze der SPD die Deutungshoheit über die Stadt streitig machen.
Wie sehr sie auf die Konfrontation mit dem Regierenden Bürgermeister Wowereit fixiert sind, deuteten die Grünen selbst an, als sie die ersten Motive ihrer Wahlplakate vorstellten. „Viele Berliner schätzen die Performance des Regierenden Bürgermeisters“, gab Künast zu und ließ damit erkennen, wie sehr es sie wurmt, dass Wowereits Nettigkeitsstrategie ihm Sympathien einbringt.
Wowereit ist weitaus beliebter als Künast
Laut jüngstem Berlin-Trend der Berliner Morgenpost und der RBB-„Abendschau“ käme der Amtsinhaber bei einer Direktwahl auf 62 Prozent, Künast auf nur 23. Bei der Parteienpräferenz liegt die SPD mit 29 Prozent klar vor den Grünen, die auf 24 Prozent rutschten und nur einen Punkt vor der CDU rangieren. Künast tut sich in ihrer Entschlossenheitsausstrahlung schwer gegen den jovialen Amtsinhaber.
Doch wie um zu beweisen, dass die Grünen keine Wohlfühlpartei sind, versuchen sie in ihrem 1,1 Millionen Euro teuren Wahlkampf erst gar nicht, auch charmant zu wirken. Vielmehr setzen sie auf jenes Arbeitsethos, das dem rot-roten Senat fehle. „Berlin wird nicht gut genug regiert“, sagte Künast, präsentierte den Grünen-Slogan „Da müssen wir ran“ und nannte als Schwerpunkte Bildung, Arbeit durch Industrieansiedlungen sowie Klima, also energetische Wohnungssanierung bei bezahlbaren Mieten. „Wir werden den Senat mit Politik konfrontieren, nicht mit Image.“
Konzepte des Grünen-Programms sind oft vage
Zwar sind die Konzepte für besseres Regieren im 236 Seiten dicken Grünen-Programm oft vage, aber das sind sie bei den anderen Parteien schon wegen der Berliner Haushaltsnöte auch. Immerhin wird dank der Grünen über Verwaltungsmängel und reale Probleme geredet – vom S-Bahn-Chaos bis zum Lehrermangel.
Allerdings untermauern die Grünen ihren Gestaltungsanspruch nicht durch ein Spitzenteam, sondern hängen alles an Künast auf. Damit machen sie umso deutlicher, dass sie „in einem Kopf-an-Kopf-Rennen eine Alternative zu Wowereit haben“, wie Künasts Wahlkampfmanager Heiko Thomas bekräftigte.
Der rot-grüne Kampf ist in Berlin offen ausgebrochen
Wie sehr der rot-grüne Kampf bereits jetzt die Berliner Politik bestimmt, zeigt sich in Neukölln. In dem weithin als sozialer Brennpunkt geltenden Bezirk haben sich der SPD-Bürgermeister Heinz Buschkowsky und die Grünen völlig zerstritten. Buschkowsky, als Mahner für eine ehrliche Integrationspolitik populär, wirft seiner grünen Jugendtstadträtin Gabriele Vonnekold "Misswirtschaft" vor.
Denn die Ausgaben von Hilfen für Erziehung, also für Heimaufenthalte, Familienhelfer oder betreutes Wohnen würden in diesem Jahr um vier Millionen Euro über den Planungen liegen. Prompt ließ Buschkowsky in Abwesenheit der grünen Stadträtin das Bezirksamt beschließen, die Verträge für sämtliche Träger der freien Jugendhilfe zu kündigen.
Der Brennpunkt-Bezirk würde dann ohne Hilfen für klubs, Schulstationen oder Beratungsstellen dastehen. Zwar korrigierte das Bezirksparlament mit den Stimmen der SPD und der CDU die drastische Maßnahme und verteilte die Sparauflagen auf alle Abteilungen. Aber auch das Jugendamt soll mit 200.000 Euro eingefrorenen Honorarmitteln und weiteren Einsparungen dabei sein.
Zuzug von jungen gebildeten Leuten beschert den Grünen Zulauf
Das Scharmützel rief Künast auf den Plan. Buschkowsky setze die „Streichungsorgien“ des früheren SPD-Finanzsenators Thilo Sarrazin fort, sagte sie und griff Buschkowsky bei seinem Kernthema an: „Da ist es doch paradox zu behaupten, man würde etwas für Integration tun.“
Die rot-grünen Spannungen in Neukölln sind auch auf ein Phänomen zurückzuführen, das sich in ganz Berlin zeigt. Der Zuzug von jungen, gebildeten Leuten beschert eher den Grünen Zulauf. Und je mehr von denen in die neuen In-Viertel des Neuköllner Nordens strömen, umso mehr fürchtet die SPD, ihre Vorherrschaft im Bezirk zu verlieren. Folglich stellt die SPD die Grünen als „nicht regierungsfähig“ dar.
SPD: Grünen verfolgen bloß eine Wowereit-muss-Weg-Strategie
Umgekehrt attackiert Künast die SPD. Als der parlamentarische Geschäftsführer im Abgeordnetenhaus, Christian Gaebler, am Sinn vieler der zuletzt in Berlin gestarteten Volksbegehren zweifelte, nutzte Künast die Gelegenheit zum Angriff: „Wenn die SPD kritisiert, dass Menschen sich äußern, dann ist das einer Partei, deren Vorsitzender Willy Brandt sich für mehr Demokratie einsetzte, unwürdig.“
Die SPD wundert sich, dass ihr nach allen Bekundungen favorisierter Koalitionspartner so ruppig agiert. „Die Grünen scheinen ein Problem mit uns zu haben“, sagte Gaebler. Sie hätten sich „reingesteigert“ in die Idee, dass „Klaus Wowereit weg“ müsse, um die Stadt zu retten. Dadurch hätten sie überhaupt erst die Diskussion aufgemacht, möglicherweise die CDU zum Partner einer Regierenden Bürgermeisterin Künast zu machen. Er wisse nicht, wie die Grünen nach der Wahl die Kurve kriegen und ein von vielen Berlinern gewünschtes Bündnis als kleinerer Koalitionspartner der SPD eingehen wollten.