Nach dem Stresstest

In Stuttgart wird es wieder richtig heiß

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Hannelore Crolly

Foto: dpa / dpa/DPA

Weil die Bahn schnell neue Bauaufträge vergeben möchte, wird ein Ausstieg aus dem Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 für die grün-rote Regierung immer schwieriger.

Kaum hatte Heiner Geißler vor sieben Monaten die Ergebnisse der mühseligen Stuttgart-21-Schlichtung aufgelistet und einen Stresstest für den Tiefbahnhof gefordert, da machte sich schon Skepsis breit. Beobachter und Projektbefürworter bezweifelten bereits damals, dass Computersimulationen von Zugplänen und Taktzeiten den schweren Konflikt würden befrieden können.

Die misstrauischen Bahn-Gegner, so die Befürchtung, würden den Test ohnehin nur dann „objektiv“ nennen und akzeptieren, wenn er dem Durchgangsbahnhof massive Mängel bescheinige. Kurz vor der Präsentation des Gutachtens zeigt sich nun, dass die Skeptiker richtig lagen: Der Konflikt in Stuttgart wurde nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Im Gegenteil: Die Tonlage zwischen Gegnern und Befürwortern hat sich wieder verschärft.

Beweis ohne große Veränderungen am Bauplan gelungen?

Eigentlich sollte die Simulation Gewissheit darüber bringen, wie viel der Bahnhof wirklich kostet und ob er funktioniert. Die Vorgabe war, dass die unterirdische Station tatsächlich 30 Prozent mehr Züge bewältigt als der jetzige Kopfbahnhof. Dieser Beweis ist der Bahn zwar offenbar ohne große Veränderungen am Bauplan gelungen . Doch die Gegner melden an der Analyse bereits massive Zweifel an.

Dabei sind die Bahn-internen Daten noch gar nicht offiziell bekannt. Sie sollen der Landesregierung erst am 30. Juni zugehen. Und auch die Überprüfung des Tests durch das unabhängige Schweizer Ingenieursbüro SMA, das auf Fahrpläne spezialisiert ist, ist noch nicht abgeschlossen.

Dessen Einschätzung wird erst für 11. Juli in Stuttgart erwartet. Drei Tage später dann soll Heiner Geißler die öffentliche Präsentation des Stresstests moderieren. Doch als nun vorab die Meldung durchsickerte, der Bahnhof habe die Prüfung wohl mit einiger Bravour bestanden, gingen die Gegner umgehend in Protesthaltung.

Geschummelt und intransparent gearbeitet

Sie unterstellen der Bahn, beim Stresstest womöglich geschummelt, ganz sicher aber intransparent gearbeitet zu haben. Und sie empören sich über die „Stimmungsmache“, wie es Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) formulierte.

Das für die Bahn angeblich so positive Ergebnis sei lediglich die „durchgesickerte Bewertung seitens der Bahn“, sagte er. Zudem ist Hermann verärgert, weil die Bahn angeblich der Landesregierung, den Projektpartnern und auch dem Aktionsbündnis Informationen verweigert hat.

Diesen Vorwurf wiederum wies die Bahn empört zurück. Doch der Zank macht deutlich: Der Stresstest beschert nicht die erhoffte Wirkung; die Positionen sind verhärtet wie eh und je.

Parkschützer:"Massiv getrickst"

Der Sprecher der Gegner-Initiative Parkschützer, Matthias von Herrmann, unterstellt der Bahn sogar, sie habe womöglich „massiv getrickst“, um die gewünschten Ergebnisse zu fabrizieren. „Solange die Bahn nicht offenlegt, wie sie zu ihren Daten kam, kann sie alles behaupten“, sagte der Aktivist.

Die Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, Brigitte Dahlbender, behauptete, dass die Bahn weitere finanzielle Risiken des Mammutprojekts verschweige. Und für den Fall, dass die unabhängigen Gutachter den Test doch noch absegnen, machte Verkehrsminister Hermann vorsorglich noch ein weiteres Spielfeld auf: Der Stresstest sei schließlich nur ein Mosaikstein von vielen, sagte der Minister im Deutschlandfunk.

Schlichter Geißler habe noch viel mehr Verbesserungen am Bahnhof verlangt, die komplett ignoriert würden. Als Beispiel nannte Hermann höhere Brandschutzstandards oder breitere Durchgänge für Behinderte, Familien, Ältere und Kranke. Den Schlichterspruch interpretierte Hermann im Nachgang zudem so, dass Geißler darin ein neuntes und zehntes Gleis nicht nur angeregt, sondern zwingend verlangt habe.

„Das sind alles ganz grundlegende und entscheidende Kriterien, ob dieser Bahnhof wirklich was taugt“, sagte der Minister. Offenbar sind an dem Bahnhof nur kleinere Nachbesserungen nötig: Manche Strecken brauchen zusätzlich zum elektronischen Zugsicherungssystem konventionelle Leittechnik. Auch soll die Anbindung des Flughafens stellenweise zweigleisig werden. Die Kosten fielen mit 40 Millionen Euro überraschend niedrig aus. Die Grünen gehen von 500 Millionen Euro an Mehrkosten aus.

Schwierige Lage für grüne Landesregierung

Damit droht die grüne Landesregierung in eine schwierige Lage zu geraten. Teure Nachbesserungen hätten die vereinbarte Obergrenze von 4,5 Milliarden Euro für das Bauprojekt gesprengt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte daher inständig gehofft, dass die Bahn das Projekt doch noch abblasen und sich auf eine günstigere Renovierung des bestehenden Kopfbahnhofs einlassen würde.

Nun ist aber klar, dass sich das Problem mitnichten von selbst erledigen wird.

Die grün-rote Regierung hatte sich für diesen Fall auf eine Volksabstimmung geeinigt, die im Herbst stattfinden sollte. Doch die Bahn, die sich auf den Schlichterspruch beruft, will offenbar bereits am Tag nach der Stresstest-Präsentation zwei große Tunnelaufträge vergeben. Damit würde ein Ausstieg aus dem Projekt in weite Ferne rücken, weil die Schadenersatzsumme noch einmal deutlich steigen würde.

Mehr Zeit für die Überprüfung der Ergebnisse

Die Regierung und das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 fordern nun mehr Zeit für die Überprüfung der Ergebnisse. In drei Tagen sei ein Vorhaben dieses Umfangs mit Tausenden von Daten durch die Experten im Verkehrsministerium nicht zu überprüfen, moniert ein Sprecher von Minister Hermann.

Selbst Heiner Geißler hatte kürzlich seine Moderation bei der Vorstellung der Stresstest-Ergebnisse infrage gestellt. Er werde das nur tun, wenn die Ausgangsdaten für die Untersuchung unter allen Beteiligten unumstritten seien.

Und die Parkschützer wollen sich ohnehin nicht von Daten beeindrucken lassen: „Ich denke, dass wir diesen Sommer einen ähnlichen Protestsommer sehen werden wie 2010, wenn die Bahn es wagt, hier weiterzubauen“, prognostiziert ihr Wortführer.