Israel und die radikalislamische Hamas haben nach Angaben eines Hamas-Vertreters ein Abkommen über eine Kampfpause geschlossen. „Eine Einigung ist gefunden worden“, sagte am Mittwochabend in Kairo der Hamas-Vertreter. Der ägyptische Außenminister Mohammed Kamel Amr verkündete kurz darauf die Waffenruhe offiziell. Sie trat um 20 Uhr MEZ in Kraft. In ägyptischen Kreisen hieß es zudem, die Waffenruhe habe die „Garantien“ Ägyptens. Aus israelischen Kreisen verlautete, Israel werde nicht – wie von der Hamas gefordert – die Blockade des Gazastreifens komplett aufheben.
Israel hatte vor einer Woche eine Militäroffensive gegen Ziele im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen begonnen, um damit den Raketenbeschuss von palästinensischer Seite zu stoppen. Mit der Kampfpause sollen acht Tage heftiger Kämpfe mit mehr als 160 Toten und fast 1300 Verletzten auf beiden Seiten enden.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will der Waffenruhe nach Angaben seines Büros eine Chance geben. Bei einem Telefonat mit US-Präsident Barack Obama habe Netanjahu „dessen Empfehlung angenommen, dem ägyptischen Vorschlag über eine Waffenruhe zuzustimmen“, hieß es in der Mitteilung. Er wolle damit dem Versuch einer Stabilisierung der Lage und einer Beruhigung eine Chance geben, „bevor es notwendig wird, härter vorzugehen“.
Netanjahu betonte nach den Angaben aber, Israel werde weiter alle notwendigen Schritte unternehmen, um seine Bürger zu schützen.
„Israel hat alle Ziele beim Militäreinsatz erreicht”
Nach den Worten von Verteidigungsminister Ehud Barak beim Militäreinsatz im Gazastreifen habe Israel alle Ziele erreicht. Israel sei mit der Absicht in den Kampf gegangen, den militanten Palästinenserorganisation einen harten Schlag zu versetzen und die Angriffe auf israelische Grenzorte zu unterbinden.
„Die Ziele sind vollständig erreicht worden“, sagte Barak bei einer Pressekonferenz zu der mit ägyptischer und US-Hilfe vereinbarten Waffenruhe. „Wir erwarten, dass die Waffenruhe eingehalten wird“, sagte Barak. Anderenfalls könnte eine Bodenoffensive immer noch notwendig werden, warnte er.
Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman sagte, auch alle politischen Ziele Israels seien erreicht worden. Er dankte Ägyptens Präsident Mohammed Mursi für die Vermittlung.
Israel muss gezielte Tötung von Hamas-Führern einstellen
US-Außenministerin Hillary Clinton begrüßte die Einigung und das Ende der Raketenangriffe auf Israel. Die Bemühungen um ein dauerhaftes Ende der Feindseligkeit würden nun gemeinsam fortgesetzt, sagte sie bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Amr. „Es gibt keinen Ersatz für dauerhaften und gerechten Frieden“, sagte sie.
Die Vereinbarung, die der Nachrichtenagentur AP vorlag, sieht vor, dass sowohl Israel als auch die militanten Palästinenser im Gazastreifen alle Angriffe einstellen. Nach einer 24-stündigen Feuerpause sollen die Grenzübergänge von Israel in den Gazastreifen wieder geöffnet werden, hieß es in dem Dokument. Israel verpflichtete sich zudem, die gezielte Tötung von Hamas-Führern einzustellen. Die Hamas kümmert sich demnach auch darum, dass keine anderen militanten Gruppen das Abkommen untergraben. Vermittler in Ägypten sollten die Einhaltung des Abkommens garantieren, sagte ein Vertreter der Palästinenser.
Palästinenser feiern – „Widerstand hat triumphiert”
AFP-Korrespondenten berichteten zunächst von ausgestorbenen Straßen im Gazastreifen. Der Ruhe folgten dann kurz nach Beginn der Waffenruhe Siegesfeiern. In den Straßen waren Freudenschüsse und Explosionen von Feuerwerkskörpern zu hören, begleitet von Gesängen „Gott ist der Größte, der Widerstand hat triumphiert“. Bewaffnete feuerten Freudenschüsse in den Nachthimmel. „Wir haben dem zionistischen Feind eine Lektion erteilt“, sagte der Chef der Hamas-Regierung, Ismail Hanija, vor Journalisten.
Wenige Minuten vor dem Inkrafttreten der Waffenruhe wurde noch ein Mann im Gazastreifen bei einem israelischen Luftangriff getötet. Auch die Palästinenser setzten ihren Raketenbeschuss in den Süden Israels bis kurz vor der Frist fort. Radikale Palästinenser schossen nach israelischen Angaben auch nach Inkrafttreten der Waffenruhe Raketen auf Israel ab.
Zwölf Raketen schlagen auf offenem Gelände ein
Zwölf Geschosse seien auf offenem Gelände niedergegangen, teilte ein Polizeisprecher am Mittwochabend mit. Es sei niemand zu Schaden gekommen. Eine Militärsprecherin erklärte, das israelische Abwehrsystem habe einige der Raketen abgefangen. In Gaza berichteten Zeugen von einer Explosion kurz nach Inkrafttreten des Waffenstillstands um 20 Uhr (MEZ). Die Ursache war zunächst unklar, verletzt wurde offenbar niemand.
Währenddessen flogen auch aus dem Libanon zwei Raketen in Richtung Israel. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen in Beirut schlug eine Rakete am Mittwochabend auf libanesischem Staatsgebiet auf, die zweite knapp jenseits der Grenze. Aus Israel hieß es jedoch, es habe keinen Beschuss gegeben.
Der Generalsekretär der libanesischen Schiiten-Bewegung Hisbollah, Hassan Nasrallah, erklärte vor Anhängern nahe Beirut: „Es scheint, dass, so Gott will, heute Nacht die Konfrontation und die fürchterliche israelische Aggression gegen den Gazastreifen enden wird.“ Den palästinensischen Gruppierungen sei ein Sieg gelungen. Sie hätten aus einer Position der Stärke der Welt ihre Bedingungen diktiert.
Außenminister Westerwelle begrüßt die Waffenruhe
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) begrüßte die Vereinbarung. „Wenn diese Waffenruhe hält, wäre das eine große Erleichterung für uns alle, aber vor allem für die Menschen in Israel und in Gaza“, sagte Westerwelle nach einer am Mittwochabend vom Auswärtigen Amt verbreiteten Mitteilung. „Alle Seiten stehen jetzt in der Verantwortung, damit aus einer Waffenruhe ein stabiler Waffenstillstand wird. Wir werden tun, was wir können, um eine Stabilisierung der Situation zu unterstützen.“
Bombenanschlag versetzte Verhandlungen einen Rückschlag
Zuvor hatte ein Bombenanschlag auf einen Bus in Tel Aviv den diplomatischen Bemühungen um eine Waffenruhe einen schweren Rückschlag versetzt. Bei der Explosion des Sprengsatzes wurden am Mittwoch nach Polizeiangaben 27 Menschen verletzt. Ein Polizeisprecher sagte, es werde ein Terroranschlag vermutet. Es war der erste Bombenanschlag in Tel Aviv seit 2006.
Die Explosion ereignete sich in der Nähe des Hauptquartiers der israelischen Streitkräfte auf einer Hauptverkehrsstraße. Ein Augenzeuge sagte im israelischen Militärrundfunk, der Bus sei innen völlig ausgebrannt. Zum Explosionszeitpunkt gegen Mittag hielten sich nur wenige Fahrgäste an Bord auf.
Die Tat ereignete sich während der Offensive der israelischen Streitkräfte gegen die im Gazastreifen regierende radikale palästinensische Organisation Hamas und andere militante Gruppen. Palästinensische Kämpfer beschießen Israel mit Raketen.
Kanzlerin Merkel verteidigt die israelische Offensive
Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte die israelische Offensive. Angesichts der ständigen Raketenangriffe auf israelisches Staatsgebiet habe die dortige Regierung das Recht zur Verteidigung ihrer eigenen Bevölkerung, sagte Merkel. Zugleich versicherte sie, dass die Bundesregierung alles daran setze, den politischen Verhandlungsprozess in Gang zu bringen, um eine Waffenruhe zu erreichen.
Eine solche Waffenruhe schien schon am Dienstag in greifbarer Nähe, blieb aber trotz intensiver diplomatischer Bemühungen der USA und Ägyptens aus. Der israelische Minister für innere Sicherheit, Jizhak Aharonowitsch, sagte im Militärrundfunk, der Anschlag in Tel Aviv sei Gesprächen über eine Waffenruhe nicht dienlich. Er erklärte, ein Mann habe den Sprengsatz im Bus deponiert und sei dann ausgestiegen. Zu der Tat bekannte sich die Volksfront für die Befreiung Palästinas Generalkommando. Unklar war, ob sie tatsächlich hinter dem Anschlag steckt, den Hamas-Sprecher Fausi Barhum als „natürliche Antwort auf die (...) andauernden Massaker an Zivilisten im Gazastreifen“ begrüßte.
10.000 Bewohner des Gazastreifens flüchten in UN-Schulen
Die israelische Luftwaffe flog in der Nacht zum Mittwoch mindestens 30 Angriffe auf Ziele im Gazastreifen. Getroffen wurden Ministerien, Schmugglertunnel, das leere Haus eines Bankers und ein Hochhaus, in dem Medienbüros der Hamas, aber auch ein Büro der Nachrichtenagentur Agence France Presse untergebracht (AFP) sind. Zuvor hatten auch Panzer und Schiffe das Gebiet beschossen. Militante Palästinenser ihrerseits feuerten wieder Raketen auf südisraelisches Gebiet ab.
Bei den israelischen Angriffen wurde nach Angaben von Sanitätern mindestens ein Kind getötet. Die Zahl der palästinensischen Toten in der jüngsten militärischen Auseinandersetzung stieg auf mindestens 144. Fünf Israelis kamen bislang bei palästinensischen Raketenangriffen ums Leben.
Rund 10.000 Bewohner des Gazastreifens suchten unterdessen in Schulen der Vereinten Nationen Zuflucht vor den Luftangriffen Israels. Nachdem die israelische Luftwaffe am Dienstag Flugzettel abgeworfen hatte, in denen sie Bewohner einiger Gegenden aufrief, ihre Häuser zu verlassen, seien die Palästinenser geflohen, teilte das UN-Hilfswerk UNRWA am Mittwoch mit.
US-Außenministerin Clinton ruft zu dauerhafter Lösung auf
US-Außenministerin Hillary Clinton engagierte sich weiter als Vermittlerin. Sie sprach noch Dienstagabend in Jerusalem mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, am Mittwochmorgen dann mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas. Später traf sie in Ägypten Präsident Mohammed Mursi, der bei der Suche nach einem Ausweg aus der Krise eine zentrale Rolle spielt. Mursi kam anschließend mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zusammen.
Bei einem gemeinsamen Auftritt mit Netanjahu rief Clinton zu einer dauerhaften Lösung im Konflikt zwischen Israel und radikalen Palästinensern im Gazastreifen auf. „Das Ziel muss ein tragfähiges Ergebnis sein, das die regionale Stabilität fördert und die Sicherheit und legitimen Erwartungen sowohl der Israelis als auch der Palästinenser voranbringt“, sagte Clinton. Netanjahu erklärte, er würde eine diplomatische Lösung der Krise begrüßen. „Aber falls nicht, bin ich sicher, dass Sie verstehen, dass Israel alle nötigen Maßnahmen ergreifen muss, um sein Volk zu verteidigen“, sagte er.
Die US-Chefdiplomatin äußerte indes ihr Bedauern über den hohen Blutzoll auf beiden Seiten, rief jedoch zugleich zu einem Ende der palästinensischen Raketenangriffe auf Israel auf. Das Bekenntnis der USA zur Sicherheit Israels sei „felsenfest“, betonte Clinton. Den Anschlag auf den Bus in Tel Aviv verurteilte sie scharf, sie sprach von einem Terroranschlag. Auch der britische Außenminister William Hague sagte, er sei wegen des Anschlags tief besorgt.
Papst Benedikt XVI. erklärte am Mittwoch in seiner wöchentlichen Audienz in Rom, er bete für Opfer des Konflikts. „Hass und Gewalt sind nicht die Lösung für Probleme“, sagte er.